Kanzler im Weißen Haus Biden gibt Nord Stream 2 zum Abschuss frei - doch Scholz folgt nicht

Analyse | Washington/Berlin · Es ist die erste große Bewährungsprobe des Kanzlers auf der Weltbühne. In Washington bereitet ihm Joe Biden einen herzlichen Empfang, wischt Zweifel an deutscher Verlässlichkeit mit gönnerhafter Geste weg. Doch ausgerechnet bei Nord Stream 2 springt Olaf Scholz wieder nicht über seinen Schatten.

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Scholz reist zum Antrittsbesuch nach Washington

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Foto: AP/Alex Brandon

Der US-Präsident hat im Oval Office für den Gast ordentlich anheizen lassen. Im Kamin knistern munter die Flammen. Was noch wichtiger ist für Olaf Scholz an diesem vorläufigen Höhepunkt seiner noch frischen Kanzlerschaft: Joe Biden, der mächtigste Mann der Welt, strahlt menschliche Wärme aus. “Deutschland ist einer der engsten Verbündeten Amerikas“, beide Länder arbeiteten in der Ukraine-Krise "im Gleichschritt" zusammen, sagt ein Präsident, der zwischendurch die schwarze Corona-Maske abnimmt.

Was für ein Kontrast zu 2017. Damals zuckte selbst die so erfahrene Angela Merkel ob der Schroffheit eines Donald Trumps im Weißen Haus zusammen. Einen Händedruck lehnte der damals ab. Danach ziehen sich Biden und Scholz zurück. Ende November waren sich die beiden das erste Mal am Rande des G20-Gipfels begegnet, damals saß Angela Merkel noch mit am Tisch. Gut eine Stunde dauert dann das Gespräch. Mit Verspätung beginnt die Pressekonferenz im Weißen Haus. Und Biden macht da weiter, wo er im Oval Office aufgehört hat. Er lobt Scholz und Deutschland über den grünen Klee.

Zuletzt waren in Washington immer wieder Zweifel an der Verlässlichkeit Berlins laut geworden. Senatoren, Demokraten und Republikaner, stellten bohrende Fragen. Hatte Scholz Nord Stream 2 wegen der großen deutschen Abhängigkeit von russischen Gasimporten nicht erst spät und eher halbherzig in den Sanktionskatalog aufgenommen?

Biden verteidigt den Kanzler. „Deutschland hat unser volles Vertrauen und ist unser wichtigster Bündnispartner in der Welt.“ Und dann platziert der Hausherr die wichtigste Botschaft des Tages, eine Botschaft an Wladimir Putin. Wenn Russland tatsächlich die Ukraine angreift, Panzer und Truppen über die Grenze marschierten, „dann wird es Nord Stream nicht mehr weiter geben“. Dies habe er mit Scholz vereinbart. „Ich kann ihnen versprechen, wir werden das so handhaben“, sagt der US-Präsident. Jetzt müsste Scholz, dem die Frage nach der Zukunft der erweiterten Ostsee-Gaspipeline natürlich auch gestellt wird, nachziehen, Fakten schaffen.

Doch Scholz windet sich erneut, spricht den Namen des Milliardenprojekts nicht aus, das er vor wenigen Wochen noch allen Ernstes als privatwirtschaftliches Engagement kleinreden wollte. Russland würde „sehr, sehr hohe Kosten“ für einen Angriff bezahlen. Diese Botschaft sei in Moskau auch angekommen, sei sein Eindruck. Der Westen werde „sofort, schnell und gemeinsam vereint“ mit Sanktionen handeln. Aber was ist mit Nord Stream, Biden hat doch glasklar vorgelegt?

Scholz sagt, es werde keine Maßnahme geben, die Berlin und Washington unterschiedlich beschließen würden. Der Kanzler verkündet das noch einmal auf Englisch, so als wolle er den US-Zuschauern (an die er sich auch noch in einem CNN-Interview wenden wollte) persönlich versichern, er werde alles mittragen, was Biden gegen Putin als Drohkulisse aufbaue. Doch Nord Stream kommt ihm nicht über die Lippen. Das dürfte Scholz im Nachgang seines Antrittsbesuchs in Washington noch Scherereien bereiten.

Für den US-Sender CNN sind das am Abend Breaking News: „Deutschlands Kanzler weigert sich, Bidens Ankündigung zu unterstützen, eine der wichtigsten russischen Gaspipelines stillzulegen, wenn Putin in die Ukraine einmarschiert - aber verspricht eine gemeinsame Antwort.“ Direkt vom Weißen Haus fuhr Scholz zu einem Interview mit CNN-Starmoderator Jake Tapper. Der Kanzler schlug sich wacker, seit Helmut Schmidt hat wohl kein deutscher Regierungschef so souverän in Englisch parliert. Doch auch bei Tapper gab es kein endgültiges Nein zur fertig gebauten, aber nicht endgültig genehmigten Nord-Stream-Erweiterung - nur die Einsicht, dass Sanktionen gegen Russland auch für Deutschland hohe Kosten hätten. Und Tapper bohrte, welche Rolle Putin-Freund Gerhard Schröder bei dem Ganzen spiele? „Er spricht nicht für die Regierung. Er arbeitet nicht für die Regierung. Er ist nicht die Regierung“, erwiderte Scholz. Er sei Kanzler.

Bidens nationaler Sicherheitsberater Joe Sullivan bot zuletzt wieder an, dass die USA Europa notfalls mit Flüssiggas versorgen könnten. Das würde US-Energiekonzernen Milliardengeschäfte einbringen. Allerdings hat Deutschland nicht einmal ein eigenes LNG-Terminal. Als Hamburger Bürgermeister wollte Scholz einmal in Brunsbüttel eine Anlage hinstellen, daraus wurde aber nichts. Aber vielleicht kommt es gar nicht zum Äußersten. Scholz wirbt für strategische Ambiguität in der Ukraine-Krise. Einerseits Ankündigung harter Sanktionen, andererseits das Nutzen aller internationaler Gesprächsformate.

Biden betont, er spreche im guten Glauben mit Kreml-Chef Putin. „Diplomatie ist der beste Weg nach vorne für alle Seiten.“ Er wisse nicht, was Putin vorhabe. „Niemand außer ihm weiß das so genau.“ Doch Washington schätzt die Kriegsgefahr unverändert so hoch ein, dass Biden den rund 30.000 US-Bürgern in der Ukraine die Ausreise aus dem Land empfiehlt, damit sie nicht ins Kreuzfeuer gerieten. Klar sei, der russische Präsident würde mit einem Angriff einen gigantischen Fehler begehen, mit schweren Folgen für Europa und die Welt. Der Westen würde nicht zur Tagesordnung übergehen. In einem Nebensatz wirft Biden sogar den Punkt auf, ein russischer Angriff gegen die Ukraine könnte Artikel 5 des Nato-Vertrages berühren, also die gegenseitige Beistandspflicht der Mitglieder. Dabei ist die Ukraine kein Bündnispartner. Der Preis, den Putin zahlen müsste, wären jedenfalls die „schärfsten Sanktionen, die jemals verhängt worden sind“, kündigt der US-Präsident an.

Was die Klarheit politischer Botschaften angeht, kann Scholz in diesen Minuten vom Schlachtross der Demokraten und Trump-Bezwinger noch dazulernen. Dafür hat der Kanzler Biden die Nachricht mitgebracht, dass die Bundeswehr stockt ihre Präsenz in Litauen an der Nato-Ostflanke um bis zu 350 Soldaten auf. Die USA ihrerseits sind dabei, 1700 Soldaten zusätzlich nach Polen sowie 300 nach Deutschland zu verlegen. Deutsche Waffen in die Ukraine will Scholz unverändert keine liefern. Dafür zahle Deutschland so viel Geld wie kein anderes Land: „Wir sind der stärkste wirtschaftliche Unterstützer der Ukraine. Und das werden wir auch weiterhin sein.“ Der US-Präsident dankt Scholz dafür. Und trotz Corona kommt es zum Abschied noch zu einem Handshake im Weißen Haus.

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