Betrug bei wissenschaftlichen Publikationen Warum viele Studien Unsinn sind

Düsseldorf · In Deutschland hat sich die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen deutlich erhöht. Nur sind viele Arbeiten unwahr. Pseudoverlage scheren sich nicht um Kontrolle, es geht nur um Geld. Das schadet der Wissenschaft.

 Ein Mikroskop steht in einem Labor (Symbolbild).

Ein Mikroskop steht in einem Labor (Symbolbild).

Foto: dpa/Wolfram Kastl

Die Nachricht selbst ist keine Überraschung. Es musste ja so kommen. Mehr als 5000 Forscher von deutschen Hochschulen haben ihre wissenschaftlichen Ergebnisse in vermeintlichen Fachmagazinen veröffentlicht, die gegen einen Geldbetrag alle wissenschaftlichen Standards ignorieren. Solche Pseudoverlage bieten Magazine mit seriös klingenden Namen und sind durchaus bereit, auch kompletten Unsinn als Wissenschaft zu präsentieren, wenn der Autor nur genug Geld dafür bezahlt.

Über diesen Umweg können Scharlatane beispielsweise unwirksame Hokuspokus-Medizin mit dem Mäntelchen „erprobt in wissenschaftlichen Studien“ bewerben und sich damit ein ungerechtfertigtes Vertrauen bei den Betroffenen erschleichen. Unsinn und Unwahrheiten werden salonfähig. Die Betreiber dieser Verlage interessieren sich nicht im Geringsten für die vermeintliche Studie; sie lesen nicht deren Inhalt, sondern nur ihre Kontoauszüge. Die Verlage bezeichnen das Honorar gern unauffällig als Verwaltungskosten für administrative Aufwände.

Offenbar sind diese Magazine so gut gemacht, dass auch vielen hochqualifizierten Wissenschaftlern die bedenkliche Qualität der Erzeugnisse nicht aufgefallen ist. Denn zu den Forschern, die in solchen Fake-Produkten publizieren, gehören nach Erkenntnissen des Rechercheverbundes aus NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ auch namhafte Wissenschaftler, die es gar nicht nötig haben, auf dieses Niveau hinabzusteigen.

Zu den 5000 Autoren zählen Mitarbeiter der renommierten Helmholtz-Gemeinschaft, der Fraunhofer-Institute und von Bundesbehörden. Diejenigen, die sich zu diesem Vorwurf offiziell geäußert haben, sehen sich nicht als Täter, sondern verstehen sich eher als Opfer eines Betruges. So erklärte Bernd Scholz-Reiter, der Rektor der Universität Bremen, er habe zum Zeitpunkt der Publikation keine Zweifel an der Seriosität der betreffenden Verlage gehabt.

Man kann nur spekulieren – aber die Vermutung liegt nahe, dass die Autoren die Qualität des Fachjournals gar nicht überprüft haben. Vielmehr haben sie eine günstige Gelegenheit gefunden, dem hohen Druck auszuweichen, unter dem Forscher auf befristeten Stellen, die ständig neu beantragt werden müssen, und Nachwuchswissenschaftler stehen. Sie müssen viel publizieren, denn die Anzahl ihrer wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist mehr und mehr zum Gradmesser der fachlichen Qualifikation geworden und damit richtungsentscheidend für die berufliche Zukunft.

Sicher, es gibt ein paar Dutzend herausragende Forscher, die ihre Ergebnisse in den besten wissenschaftlichen Journalen wie „Nature“ oder „Science“ unterbringen und damit quasi den Ritterschlag der internationalen Forscher-Community bekommen. Aber es gibt auch jene Forscher, die gute Arbeit leisten, deren Resultate es aber nicht bis in die Spitzen-Magazine schaffen. Nicht jede Studie, die in Fake-Magazinen erscheint, ist falsch oder gar Betrug, manche sind nur so flach oder unwichtig, dass sie von den Kontrollgremien der seriösen Verlage abgelehnt werden.

Das alles kann eine Erklärung sein, warum sich die Zahl solcher Publikationen in den vergangenen fünf Jahren weltweit verdreifacht und in Deutschland sogar verfünffacht hat. Aber es darf natürlich nicht als Rechtfertigung dienen für den Verlust an Vertrauen in die Wissenschaft, den die Autoren damit auslösen und zumindest in Kauf nehmen, wenn sie sich für ein solches Schlupfloch entscheiden. Das Ansehen der Wissenschaft kann dadurch in eine dauerhafte Krise geraten, dabei können viele unserer Probleme nur mit Hilfe  gut ausgebildeter, kritischer und seriöser Forscher gelöst werden.

Wissenschaft ist dabei abhängig von einem System der Selbstkontrolle, das über Jahrzehnte hinweg meist tadellos funktioniert hat. Das Verfahren heißt „Peer Review“ und besagt, dass Experten auf dem gleichen Gebiet, die nicht an der Forschung beteiligt waren, die Manuskripte ihrer Kollegen bewerten, zusätzliche Nachweise anfordern und so die Ergebnisse kontrollieren. Diese konsequente Qualitätssicherung hat den Fachzeitschriften den guten Ruf eingebracht, den sie zu Recht genießen.

Natürlich hat dieser Prozess Fehler in wissenschaftlichen Arbeiten übersehen, die wurden dann aber nach der Veröffentlichung publik, wenn andere Kollegen sich mit den neuen Erkenntnissen beschäftigten. Fake-Magazine verzichten auf „Peer Review“ oder täuschen sie nur vor. Und weil deren Inhalte beim Fachpublikum kein großes Interesse finden, bleibt wissenschaftlicher Unsinn später unentdeckt. Die Leidtragenden sind Laien, die auf einen Artikel vertrauen, den niemand überprüft hat.

Jeder Forscher, der seine Arbeiten ohne Kontrollen veröffentlicht, schadet der Wissenschaft. Denn von jedem prominenten Namen in einem Fake-Magazin profitieren die teils kriminellen Fälscher, die eine von ihren eigenen Interessen geprägte Forschung salonfähig machen wollen und als Trittbrettfahrer vom Vertrauensvorschuss der Wissenschaft profitieren. So verbreiten sich Halbwahrheiten und gezielte Falschmeldungen, die den Recherchen zufolge bereits in Gutachten von deutschen und internationalen Behörden zitiert worden sind.

Es ist müßig, erneut an den Anstand und die Sorgfaltspflicht der Forscher zu appellieren. Das Problem ließe sich lösen, wenn die Qualität der Fachjournale weltweit kontrolliert und mit Qualitätszertifikaten versehen würde. Dass dafür keine Mehrheit in Sicht ist, stimmt traurig. Denn in einer Welt, in der jeder Bürger vermehrt Zugang zu Informationen bekommt, sollte die Qualität einer Quelle bekannt sein. Das gilt auch für die Wissenschaft.

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