Berlin

Berlin · Nordrhein-Westfalen verliert immer häufiger qualifizierte Arbeitskräfte an die stark wachsenden Wirtschaftsregionen in Bayern, Berlin und Baden-Württemberg. Allein im Jahr 2012 sind nach einer noch unveröffentlichten Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) 16 000 Personen mehr aus NRW in andere Bundesländer abgewandert als zugewandert.

"Dieser Verlust war höher als in allen fünf ostdeutschen Bundesländern zusammen", heißt es in der IW-Studie. "Ein Land im Westen macht jetzt die Erfahrung, dass Menschen ihre Heimat verlassen, wenn anderswo attraktive Jobs locken: Nordrhein-Westfalen", schreibt der Autor der Studie, Klaus-Heiner Röhl. Gewinner der Abwanderung aus NRW seien neben den süddeutschen Ländern und Berlin auch Hamburg und Niedersachsen.

Die Wanderungsströme zwischen den Bundesländern sind für die Wirtschaftsforscher ein wichtiges Indiz für die Veränderungen der regionalen Wirtschaftskraft: Gebiete, die bessere Job-Perspektiven bieten können, ziehen Arbeitskräfte nicht nur aus dem Ausland, sondern auch anderen Teilen Deutschlands Heimat an. Weniger florierende Gebiete verlieren dagegen vor allem die qualifizierten und gefragten Arbeitskräfte. NRW hat nach der IW-Analyse für inländische Arbeitskräfte tendenziell an Attraktivität verloren. Zugleich bleibt das bevölkerungsreichste Bundesland allerdings für Zuwanderer aus dem Ausland das Zielland Nummer zwei in Deutschland nach Bayern, wie das Statistische Bundesamt gestern mitteilte.

"Rheinländer und Westfalen zieht es vor allem in den prosperierenden Süden der Republik", schreibt IW-Forscher Röhl. "Aber auch Berlin ist für die Bürger aus NRW ein attraktives Ziel. Vor allem junge Leute und Kreative lieben die Hauptstadt."

Dank der guten Wirtschaftslage fast überall in Deutschland verließen heute aber deutlich weniger Menschen ihre Heimat als noch vor zehn Jahren, heißt es in der Studie, die kommende Woche veröffentlicht wird. "Im Jahr 2002 wanderten insgesamt noch 141 650 Menschen von einem in ein anderes Bundesland - 2012 belief sich die Zahl nur auf 43 640." In Ostdeutschland sei die Abwanderungswelle fast zum Erliegen gekommen. Die fünf Ost-Länder hätten 2012 nur noch 14 800 Menschen verloren. Die ostdeutschen Universitäten zögen verstärkt Studenten aus West-Ländern an.

Auch international haben sich die guten Job-Chancen in Deutschland herumgesprochen: Der Zuwanderungsgewinn der Bundesrepublik war im vergangenen Jahr mit 437 000 Menschen so hoch wie seit 1995 nicht mehr, so das Statistische Bundesamt. 2008 hatten dagegen unter dem Strich noch 58 000 Menschen Deutschland verlassen. Dieser Abwanderungstrend früherer Jahre ist heute vorbei: Die Industrieländer-Organisation OECD hatte in dieser Woche erklärt, Deutschland sei derzeit nach den USA das Einwanderungsland Nummer zwei weltweit. Von den insgesamt mehr als 400 000 Zuwanderern kamen im vergangenen Jahr netto 81 000 Migranten zusätzlich nach NRW, das war fast jeder Fünfte. Auch 2012 waren netto bereits 65 000 Menschen aus dem Ausland nach NRW gekommen. Daraus ergibt sich eine schwierige Gemengelage: Während das Land qualifizierte inländische Arbeitskräfte tendenziell verliert, zieht es wegen seiner Größe und hohen Bevölkerungszahl aus dem Ausland auch solche Migranten in größerer Zahl an, die auf dem Arbeitsmarkt zunächst schwer zu vermitteln sind. In den davon betroffenen NRW-Städten wachsen dadurch die sozialen und finanziellen Probleme.

Als bevölkerungsreichstes Bundesland musste NRW 2012 jeden fünften der insgesamt 65 000 Asylbewerber aufnehmen, heißt es in der IW-Studie. Viele Migranten gingen zudem "bevorzugt dorthin, wo sie bereits Bekannte und Verwandte haben und eine entsprechende Infrastruktur vorfinden", schreibt Röhl.

Das Qualifikationsniveau der Mehrheit der Zuwanderer insgesamt war aber wie schon in den Vorjahren auch im Jahr 2013 hoch. Deutschland profitiere derzeit insgesamt stark von der Zuwanderung qualifizierter Kräfte, sagte Röhl.

(mar)
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