Der Tod als Werbeträger Benetton-Kampagne "Dem Tod ins Gesicht schauen" umstritten
New York (dpa). Bobby Lee Harris stellt sich oft vor, wie es sein wird, wenn die Giftspritze sein Leben beendet. "Ich frag' ich mich, ob es wehtun wird." Dem Interviewer, den die Bekleidungsfirma Benetton in Harris' Zelle geschickt hat, genügt das nicht. Was ihn sonst beim Gedanken an seine Hinrichtung bewege, fragt er den 34-jährigen Mörder. Ob seine Mutter ihn besuche, wie ihm das Gefängnisessen schmecke und ob er schon mal verliebt gewesen sei.
Ja, Bobby Lee Harris war verliebt. Nein, Kontakt hat er nicht mehr zu der Frau. "Sie hat da draußen geheiratet." Das Gefängnisessen sei gut, wenn man bedenke, dass manche Menschen gar nichts zu essen hätten. Die Mutter war bisher nur einmal da. Wenn er an den Tod denke, mache er sich auch Sorgen um seine Familie.
Mit einem roten Hemd bekleidet wird Bobby Lee Harris bald in vielen Ländern traurig von Reklamewänden herabschauen. In Zeitungen, Magazinen und im World Wide Web kann man das Interview mit dem Todeskandidaten nachlesen. "United Colours of Benetton" wird dabei nur am Rande in Erscheinung treten. Denn bei der neuen Kampagne des italienischen Konzerns geht es wieder nicht vordergründig um Produktwerbung.
"Zum Beginn des neuen Millenniums zeigt Benetton die wahren Gesichter von Gefangenen in Todeszellen, die Gegenwart jener, die keine Zukunft haben", heißt es pathetisch in der Ankündigung der Kleidermacher. Oliviero Toscani, Benettons künstlerischer Direktor, hat Dutzende von zum Tode Verurteilten in verschiedenen US- Gefängnissen fotografiert. "Fast alle schauen direkt in die Kamera und klagen ihre Menschenrechte ein."
"Dem Tod ins Gesicht schauen" heißt der neue Werbefeldzug, der am Montag in den USA eröffnet wurde und bald auf Europa und Asien ausgedehnt werden soll. Mit dem Tod als Werbeträger hat Benetton Erfahrung. Heftige Kritik lösten vor einiger Zeit hauptsächlich in Deutschland Plakate mit Bildern eines zum Skelett abgemagerten Aids- Kranken oder der blutverschmierten Kleidung eines im Bosnien-Krieg getöteten Soldaten aus.
Keine traditionelle Produktwerbung Firmenchef Luciano Benetton reagierte gelassen: "Wir werden weiterhin keine traditionelle Produktwerbung machen." Schließlich sei die Reklame mit der blutgetränkten Kleidung "in Japan als beste Werbung des Jahres ausgezeichnet" worden. Es sei die Absicht seines Unternehmens, zu den großen Themen unserer Zeit Stellung zu nehmen, "um Energie abzustrahlen".
Dafür scheint er wieder den richtigen Zeitpunkt gewählt zu haben. Fast zeitgleich mit der neuen Kampagne lief in den USA der Film "Hurricane" über das Schicksal des 1966 für einen dreifachen Mord verurteilten Boxers Rubin (Hurricans) Carter an, den er nicht begangen hatte. Den bereits für einen Golden Globe nominierten Hollywood-Streifen mit Denzel Washington setzt auch die UN- Menschenrechtskommission ein, um bei Diskussionsforen auf ihre Forderung nach einem weltweiten Verbot der Todesstrafe aufmerksam zu machen.
Menschliche Botschaft Nicht zuletzt dürfte das Thema auch im langsam heißer werdenden Wahlkampf um die US-Präsidentschaft wieder hochkommen. Mit 98 Hinrichtungen wurden in den USA im letzten Jahr 30 Prozent mehr Todesurteile vollstreckt als 1998 - die zweithöchste Zahl seit 1951, als 105 Menschen exekutiert wurden.
Kann all das den Verkauf von Kleidung ankurbeln? "Aber sicher", sagt ein Benetton-Händler in New York und verweist auf die "erprobte Philosophie des Firmenchefs": Zwischen zwei Pullovern mit gleicher Qualität und gleichem Preis würden sich Kunden für die Marke entscheiden, die mit einer Botschaft käme. "Und unsere Botschaft ist doch wirklich eine menschliche."