Analyse Bekenntnisschule wird Kirchen zur Last

Düsseldorf · Jede dritte Grundschule in NRW ist eine Bekenntnisschule. Das Modell spiegelt eine Gesellschaft wider, die es so nicht mehr gibt. Selbst den Kirchen gilt das mittlerweile als Problem. Dabei sind die Schulen wichtig für die Wertevermittlung.

Wer besichtigen möchte, wie bisweilen in der Schule Ansprüche und Wirklichkeit auseinanderklaffen, der ist bei den Grundschulen in Nordrhein-Westfalen gut aufgehoben. Genauer: bei den staatlichen konfessionellen Grundschulen. 975 Bekenntnisschulen gibt es in NRW – komplett öffentlich finanziert, aber mit Unterricht nach konfessionellen Grundsätzen. 879 Bekenntnisschulen sind katholisch, 94 evangelisch, zwei jüdisch. Fast ein Drittel aller Grundschulen im Land wird katholisch oder evangelisch geführt. Bekenntnisschulen sind ein Massenphänomen in NRW.

Trotzdem sind sie zur Last selbst für die Kirchen geworden. Denn sie spiegeln eine Gesellschaft wider, die es nicht mehr gibt. Das alte Bekenntnisschul-Ideal war das einer homogenen Schüler- und Lehrerschaft; "Bekenntnisfremde" (so heißt das im Amtsdeutsch) sollte es nur in Ausnahmefällen geben. Das entspricht den Verhältnissen der Nachkriegszeit – damals waren mehr als 90 Prozent der Bundesbürger Mitglied einer der beiden großen Kirchen; die Gräben zwischen den Konfessionen waren tief.

Das ist lange vorbei. 2012 waren an den katholischen Bekenntnisschulen in NRW nur noch 57 Prozent der Schüler katholisch, an den evangelischen nur noch 44 Prozent evangelisch, Tendenz weiter sinkend. In Großstädten gibt es muslimische Schülermehrheiten an christlichen Bekenntnisschulen. Diese zunehmende Diskrepanz ist das erste Problem der Bekenntnisschulen – kann an solchen Orten noch nach kirchlichen Grundsätzen erzogen werden, wie es das Schulgesetz fordert?

Das zweite Problem ist das Personal. In NRW werden Schulleiter händeringend gesucht. Allein 350 Rektorensessel in Grundschulen sind unbesetzt, ein Drittel davon in Bekenntnisschulen. Immer wieder aber finden die keine "richtigen" Bewerber – laut Gesetz müssen Lehrer an Bekenntnisschulen die entsprechende Konfession besitzen. "Es ist besser, einen evangelischen Lehrer zum Leiter einer katholischen Schule zu machen und auch so zu bezahlen, als jahrelang den evangelischen Konrektor die Arbeit machen zu lassen", sagt Thomas Minor, Vorsitzender der Landeselternschaft der Grundschulen.

Das dritte Problem ist die verbreitete Monopolstellung der Bekenntnisschulen. In jeder fünften Kommune in NRW müssen Eltern ihr Kind an der Bekenntnisschule anmelden, weil es keine Gemeinschaftsgrundschule gibt. In Kalkar, Kerken, Kevelaer, Rheurdt, Straelen, Uedem, Wachtendonk und Weeze etwa gibt es nur katholische Grundschulen. Evangelische, muslimische oder konfessionslose Eltern haben dort keine Wahl, was die Erziehungsgrundsätze für ihre Kinder angeht. "Kinder müssen die nächstgelegene Grundschule besuchen können, ohne dass die Eltern gezwungen sind, ihre Kinder in einer bestimmten Konfession erziehen zu lassen", fordert Grünen-Schulexpertin Sigrid Beer.

Das vierte Problem sind die Querelen bei Anmeldungen. Aufsehen erregte jüngst der Fall eines Muslims aus Paderborn, der seinen Sohn an einer katholischen Bekenntnisschule anmelden, ihn aber vom Religionsunterricht befreien lassen wollte; der Mann scheiterte vor Gericht. Wenig später verschickte das Schulministerium (nach Abstimmung mit den Kirchen) einen Hinweis an die Grundschulen, bei der Anmeldung müssten Schüler nicht bevorzugt nach Bekenntnis berücksichtigt werden; auch der Wohnort kann das Kriterium sein. Das wiederum erzürnt katholische Eltern, die nun für ihre Kinder keinen sicheren Platz mehr an einer Bekenntnisschule finden.

Die Bekenntnisschule hat sich zum Sorgenkind entwickelt. Man habe kaum Einfluss auf das Schulleben, heißt es etwa bei den Kirchen, aber bei allen Streitigkeiten werde man sofort verantwortlich gemacht, obwohl die Schulen doch öffentlich seien. Das ist die Perspektive der Bildungsbehörde Kirche – politisch gibt es für sie in der derzeitigen Lage wenig zu gewinnen. Wahr ist freilich auch: Bekenntnisschulen dürften für die Kirchen einer der erfolgreichsten Wege sein, ihre Werte in die Gesellschaft zu vermitteln.

Zweierlei Schlüsse können aus diesem Dilemma gezogen werden. Die eine Alternative ist eine stärkere Öffnung: Das schlagen die katholischen Bistümer in ihrem aktuellen Positionspapier vor. "Bekenntnisfremde" Lehrer sollen auch grundsätzlich und nicht nur zur Betreuung konfessioneller Minderheiten möglich sein, ebenso "Religionsunterricht anderer Konfessionen und Religionen". Verbunden werden soll das mit leichterer Umwandlung in "normale" Grundschulen, wenn Eltern, Kommune oder Schulaufsicht das wollen – im Gegenzug wünscht sich die Kirche, dass Gründungen katholischer Privat-Grundschulen einfacher werden.

Die andere Alternative ist Konzentration. Ein kirchlicher Experte formuliert es so: "Wenn Bekenntnisschule, dann klar profiliert. Was nutzt uns eine Schule mit 80 Prozent Muslimen?" Das hieße: konfessionelle Schulen als Alternativ-Angebot; kein kirchliches, aber auch kein staatliches Monopol. In diese Richtung gehen die Thesen der Zwischenkirchlichen Schul- und Bildungskonferenz der drei evangelischen Landeskirchen in NRW, die aber noch nicht offizielle Beschlusslage sind. Dort heißt es: "Profilierte Bekenntnisschulen ergänzen das Schulangebot. Die Vielfalt unterschiedlicher Schulprofile stärkt das Wahlrecht der Eltern." Beide Strategien dürften die Zahl der Bekenntnisschulen fast zwangsläufig deutlich verringern.

Für diese Positionierungen kommt Lob aus den Regierungsfraktionen. "Die Kirchen haben sich weit bewegt", sagt Sigrid Beer von den Grünen. Man werde "zügig" einen Gesetzentwurf erarbeiten, der die Umwandlung erleichtert. CDU-Fraktionsvize Klaus Kaiser zeigt sich zurückhaltender – zwar gebe es Änderungsbedarf bei den Bekenntnisschulen, "aber sie sind integraler Bestandteil des Bildungssystems".

(RP)
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