Beatrix auf Abschiedstour

Die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und den Niederlanden waren noch nie so eng wie heute. Der Besuch der niederländischen Königin ist eine Visite bei alten Freunden.

Düsseldorf/Amsterdam Nach einem holländischen Sprichwort hat der "beste Deutsche nur ein Pferd gestohlen". Doch von solchem Ingrimm sind die derzeitigen Beziehungen beider Länder weit entfernt. Selbst die früheren Irritationen durch die Nazi-Vergangenheit, deutsche Arroganz oder niederländischen Moralismus haben deutlich nachgelassen. Dafür hat der Grad der Verflechtung so zugenommen, dass einige Experten schon von einem gemeinsamen Wirtschaftsraum der Deutschen und Niederländer sprechen.

Wenn also die Monarchin des Nachbarlandes in dieser Woche Station in Berlin, Sachsen und Nordrhein-Westfalen macht, reist sie in die Region, in der die Niederländer jeden vierten Euro ihres gesamten Exports verdienen. Zu keinem anderen Land, nicht einmal zum direkten Nachbarn Belgien, der im nördlichen Teil die gleiche Sprache spricht, pflegen die Holländer einen vergleichbaren Austausch. Beatrix reist zum zweiten und vermutlich letzten Mal nach Deutschland. Auch diese Ehre erwies sie nur noch dem Nachbarland Belgien.

Die Beispiele für das vertraute Verhältnis sind Legion. An der Spitze des größten deutschen Pharmakonzerns Bayer steht ein Niederländer. Deutsche, die an holländischen Fakultäten lehren und umgekehrt, sind längst Alltag geworden. Niederländische Schriftsteller wie Cees Noteboom, Maarten 't Hart oder Tessa de Loo erreichen Rekordauflagen in Deutschland. Zugleich ziehen Berlin, der Schwarzwald oder die Eifel so viele Touristen aus dem Tulpenland an wie nie.

Wie intensiv der Austausch zwischen beiden Ländern ist, lässt sich am besten an Nordrhein-Westfalen ablesen. Das direkte Nachbarland der Niederländer hat die engsten Beziehungen zum Land der Deiche und Windmühlen. Beide Länder haben ungefähr gleich viele Einwohner. Nach der Wirtschaftsleistung liegen die Niederlande weltweit auf Rang 16, Nordrhein-Westfalen einen Platz dahinter.

Die Verbindung ist so eng, dass der frühere NRW-Regierungschef Jürgen Rüttgers (CDU) allen Ernstes erwog, den Benelux-Staaten beizutreten. Seine Nachfolgerin Hannelore Kraft (SPD) hat sich dazu noch nicht erklärt. Gleichwohl strebt auch sie den engstmöglichen Austausch mit dem Nachbarn an und hat bereits einen Plan erarbeiten lassen, wie die Zusammenarbeit vertieft und offene Fragen zwischen beiden Ländern noch schneller gelöst werden können als bisher. Denn nach wie vor ist es nicht einfach, gemeinsame Gewerbegebiete zu entwickeln, den Nahverkehr über die Grenze zu organisieren oder die Anerkennung von Schul- und Berufsabschlüssen zu vereinheitlichen.

Die Ministerpräsidentin bereitet sich schon seit Wochen intensiv auf den Besuch vor und ist vor allem auf das Thronfolgerpaar Willem und Maxima gespannt. Die gelten als unkompliziert und stellten einen neuen, modernen Typ bei Europas Königsfamilien dar.

Auch sonst sind die Niederlande ein spannender Nachbar. Kaum ein Staat der Erde ist so international ausgerichtet. Englisch ist längst zur Zweitsprache geworden. Die Niederländer orientieren sich fast ausschließlich an der angelsächsischen Variante einer freien und offenen Wirtschaft, weniger am deutschen Sozialstaats- und Mitbestimmungsmodell. Politisch geben zwischen Texel und Schelde die Rechts-Liberalen den Ton an, während Deutschland ein ganzes Stück nach links gerückt ist.

Vielleicht holen die Deutschen die Zeit nach, in denen die Niederlande wegen ihrer toleranten und sozialen Art als fortschrittlichstes Land Europas galten. Doch die pragmatischen Holländer merkten bald, dass manche dieser Träume unbezahlbar waren oder der Realität nicht standhielten. Gut möglich, dass die Deutschen nun ein zweites Mal vom flexiblen Nachbarn lernen.

(RP)
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