Analyse Beamtentum auf dem Prüfstand

Karlsruhe · Können Beamte gleichzeitig treue Diener sein und gegen den Staat streiken? Das Bundesverfassungsgericht könnte nun einen 100 Jahre alten Grundsatz kippen. Reformbedürftig ist das System allemal.

Bevor sich zwei Menschen für die Ehe entscheiden, denken sie gut nach. Sie wägen ab: die Vorteile, die auf der Hand liegen, und die Nachteile, die sich verstecken mögen. Sie verstehen, dass eine Ehe nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten mit sich bringt. Mit Beamten verhält es sich ähnlich. Staat und Bürger überlegen gut, ob sie den Bund fürs Leben eingehen. Sowohl Beamte als auch Eheleute müssen gegenüber ihren Partnern treu sein. Zumindest war das die vergangenen 100 Jahre so.

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt seit gestern die Frage, ob das so bleiben kann. Vier verbeamtete Lehrer beschweren sich, weil sie - im Gegensatz zu ihren angestellten Kollegen - nicht streiken dürfen. Sie wollen treue Diener des Staates sein und ihn gleichzeitig unter Druck setzen dürfen. Beamte haben indes eine "besondere politische Treuepflicht gegenüber dem Staat". Aber die Arbeitswelt hat sich gewandelt, sie ist flexibler und dynamischer geworden. Der Zweite Senat entscheidet daher nicht bloß über das Streikrecht, sondern auch über die Frage, ob das alte deutsche Beamtentum noch zeitgemäß ist.

Bisher beschließen Beamte eine Art Tausch mit dem Staat. Der Staat verpflichtet sich, den Beamten lebenslang zu versorgen, der Beamte verpflichtet sich zu besonderer Treue. Verbeamtete Lehrer haben durch ihren Status gegenüber ihren angestellten Kollegen Vorteile: So verdienen sie mehr, sind im Krankheitsfall und im Ruhestand besser versorgt und unkündbar. Dafür müssen sie sich politisch zurückhalten und mit Versetzungen rechnen. Das wird seit Jahrzehnten mit den "hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums" aus Artikel 33 Absatz 5 des Grundgesetzes begründet.

Dass die Lage nicht mehr so klar ist wie noch in den 70er Jahren, sieht man schon an der Tatsache, dass der Zweite Senat sich mit ihr in einer seiner seltenen mündlichen Verhandlungen befasst. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mit zwei Entscheidungen vor rund zehn Jahren Schwung in die angestaubte Debatte gebracht. Darin sprachen die Straßburger Richter zwei türkischen Beamten ein Streikrecht zu. Allerdings lassen sich die Fälle nicht ganz so einfach auf das deutsche Recht übertragen, weil sich das türkische und das deutsche Beamtenrecht wesentlich unterscheiden.

In Deutschland unterrichten gut 800.000 Lehrer, etwa drei Viertel von ihnen stehen in einem Beamtenverhältnis. Es kommen noch gut eine Million weitere Beamte in Polizei, Bundeswehr, Verwaltung oder privatisierten Unternehmen wie Post oder Bahn hinzu. Weil es um eine recht große Gruppe geht, springt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) persönlich in Karlsruhe in die Bresche. Er warnt vor einem Zerfall des Beamtentums an sich, das durch ein Recht auf Streik an Bedeutung verlöre. "Beamte haben eine Garantenfunktion für die Demokratie", findet de Maizière. Den Klägern wirft er vor, das Beste aus beiden Welten haben zu wollen: das Alimentationsprinzip der Beamten und das Streikrecht der Angestellten. "Ein Rosinenpicken darf es nicht geben."

Das Streikrecht indes ist kein Privileg, das der Staat nach Gutdünken zuteilen oder verweigern kann. Das Streikrecht ist laut EGMR ein Menschenrecht und laut Artikel 9 des Grundgesetzes ein Grundrecht. "Menschenrechte kann man nicht abkaufen", sagt daher Professor Jens Schubert für die Gewerkschaft Verdi. Die Gründe dafür, jemandem dieses Recht vorzuenthalten, müssen gut sein. Bei Lehrern, Polizisten und Soldaten liege dieser gute Grund nun darin, dass sie das Funktionieren des Staates garantierten, argumentieren Bund und Länder. Polizisten dürften nicht streiken, sonst wären die Bürger schutzlos. Ein generelles Streikverbot für alle Beamten hält Frauke Brosius-Gersdorf, Staatsrechtlerin an der Uni Hannover, für verfassungswidrig: "Beamte sind ohne ein gesetzliches Verbot kollektiver Kampfmaßnahmen berechtigt zu streiken - und nicht umgekehrt erst, wenn der Gesetzgeber es erlaubt."

Doch wie man es dreht und wendet, auf beiden Seiten bleiben logische Brüche. Wenn man etwa mit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zwischen einem Streikrecht für Lehrer und einem Streikverbot für Nicht-Lehrer (also etwa Polizisten) unterscheidet, gerät man schnell an Grenzen. Es würden sich Beamte erster und zweiter Klasse herausbilden.

Welche Ziele ein Streik verbeamteter Lehrer verfolgen würde, ist nicht offensichtlich. Nimmt man die Maßstäbe des Beamtentums ernst, so ist die Alimentation der Lehrer "amtsangemessen". Wenn sie mehr Geld bekämen, würde die Alimentation "überamtsangemessen". Gegen Überstunden oder zu lange Arbeitszeiten indes können sich Beamte aktuell nicht so leicht zur Wehr setzen.

Wie kompliziert die Lage ist, sieht man auch an den zerstrittenen Gewerkschaften - der Deutsche Beamtenbund etwa ist gegen ein Streikrecht. Es wird auch dadurch nicht einfacher, dass 200.000 Lehrer streiken dürfen und 600.000 nicht. Wenn schon ein Viertel der Lehrer nicht verbeamtet wird, fällt es schwer zu glauben, dass das Wohl und Wehe des Bildungswesens davon abhängt, ob die anderen drei Viertel ein theoretisches Recht auf Streik besitzen. Wenn die Verhandlung in Karlsruhe eines gezeigt hat, dann ist das die Reformbedürftigkeit des Systems. Bundesländer, die vor Gericht die Bedeutung der Lehrer hochhalten, könnten sie schlicht besser bezahlen und müssten vor allem mehr von ihnen einstellen. Gerade in NRW ist der Lehrermangel eklatant.

Wie auch immer die Entscheidung ausfällt, die erst in einigen Monaten erwartet wird, die Ankündigung des Gerichtspräsidenten lässt Veränderungen erahnen. "Die Entscheidung ist hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Berufsbeamtentum sicherlich nicht zu unterschätzen", so Andreas Voßkuhle.

(her)
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