Analyse Der glücklose Außenpolitiker Obama

Berlin/Washington · Der Vormarsch der Islamisten im Irak bringt den amerikanischen Präsidenten in Zugzwang. Spezialeinheiten sollen die Regierung in Bagdad beraten, doch Kampftruppen sollen nicht in das Gebiet zurückkehren.

Chronologie des Aufstiegs des IS im Irak
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Chronologie des Aufstiegs des IS im Irak

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Foto: afp, FC

Barack Obama war von einem kriegsmüden Amerika auch deshalb ins Präsidentenamt gewählt worden, weil er versprochen hatte, die Soldaten endlich heimzuholen. Heim aus dem Irak, heim aus Afghanistan. Vor zweieinhalb Jahren begrüßte er den letzten Irak-Heimkehrer mit großer Geste. Nun bereitet er sein Volk aber auf einen neuen Irakkrieg vor. Nicht mit Bodentruppen, aber mit mehreren hundert Spezialkräften. Nicht als massiven Einsatz einer Supermacht, aber mit vielen gezielten Luftschlägen. Nicht auf Eskalation ausgerichtet, aber ein Flugzeugträger hat schon einmal Kurs aufgenommen.

Grund ist der seit Tagen ungehemmte Vormarsch der islamistischen Terrortruppe "Islamistischer Staat im Irak und Syrien" (Isis), von deren Potenzial und Erfolgen der US-Geheimdienst peinlicherweise überrascht wurde. Kein schöner Befund für den Führer der Supermacht, der die Welt gegen sich aufbrachte, weil er Milliarden Kommunikationsdaten ohne Rücksicht auf Freund und Feind sammeln lässt. Und zwar immer mit dem Hinweis, bevorstehende terroristische Bedrohungen vor allem islamistischer Art rechtzeitig aufklären zu können - und nun versagen die US-Spione angesichts der größten aktuellen islamistischen terroristischen Bedrohung? Dass Isis nun immer mehr irakische Städte im Grenzgebiet zu Syrien beherrscht und die Vielzahl im Irak erbeuteter moderner Waffen im syrischen Bürgerkrieg einsetzt, macht die Sache nicht einfacher.

Für die US-Administration ist die neue Krise im Irak eine Katastrophe. 4400 gefallene Amerikaner und 32 000 verwundete GIs dokumentieren den hohen Preis, den die USA für den Sturz Saddam Husseins und eine Befriedung des Iraks in jeder Stadt, in vielen Nachbarschaften des Landes zu zahlen hatte. Zudem hat Obama einen Zusammenhang zwischen dem wirtschaftlichen Niedergang vieler Millionen US-Familien und dem Irakkrieg hergestellt. Weil dafür eine Billion Dollar aufgebracht werden musste, habe sich das Land verschulden müssen und in zweifelhafte Abhängigkeiten begeben.

Mit dem radikalen Kursschwenk in Richtung neuer militärischer Irak-Intervention manövriert Obama die Frage nach den Gründen und der Verantwortung ins eigene Fahrwasser: Wenn denn die immensen Opfer für die Irak-Befriedung plötzlich als vergebens erscheinen, wer sonst könnte es verbockt haben, dass der Irak doch nicht alleine mit seinen Problemen fertig wird, wie es Obama als Erklärung für den Rückzug verkündet hatte?

Die Frage gewinnt an Brisanz angesichts des Herannahens der traditionellen Halbzeitwahlen. Zur Hälfte einer Amtszeit eines Präsidenten werden alle Abgeordneten des Repräsentantenhauses und ein Drittel der Senatoren neu gewählt. 2010, mitten in Obamas erster Amtszeit, errangen die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus. Nun, am 4. November, droht auch noch der Senat, mehrheitlich republikanisch zu werden. Ein demokratischer Präsident kann bei solchen Mehrheitsverhältnissen im Kongress im Grunde einpacken. "Lahme Ente" wäre als Gewohnheitsbezeichnung für einen nicht wieder wählbaren Präsidenten in der letzten Phase seiner Amtszeit noch eine Schmeichelei für Obama, der kein Projekt mehr ohne riesige Anstrengungen und Zugeständnisse durch den Kongress bekäme.

Schon hat sich Obama vom (republikanischen) Chef des Auswärtigen Ausschusses, Ed Royce, vorhalten lassen müssen, dass er die Dimension der Bedrohung im Irak unterschätzt habe. Und auch der republikanische Senator John McCain fordert Obama auf, "jetzt endlich zu handeln". So zeichnet sich ab, dass Obamas neuer Irakkrieg zum Wahlkampfthema wird.

Die Fraktionschefin der Demokraten im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, hat bereits Probleme mit der Entscheidung Obamas, Spezialtruppen nach Bagdad zu schicken. Erfahrungsgemäß neige ein solcher Einsatz dazu, nach und nach zu wachsen. Obama versicherte eilig, dass US-Streitkräfte "nicht zu Kämpfen in den Irak zurückkehren" werden.

Doch viele der militärischen Profis, die hinter dem Isis-Vormarsch stecken, waren Saddam-Getreue und haben mit den USA noch eine Rechnung offen. Das gezielte Entführen von Ausländern wirkt bereits wie eine Generalprobe dafür, auf diese Weise auch die USA noch stärker in den Konflikt hineinzuziehen. An dieser Stelle droht Obamas Strategie eine doppelte Niederlage: Seine Gegner können den Truppenrückzug als Fehler präsentieren, der nun erneut das Leben von US-Staatsbürgern bedroht. Und bei den Partnern Obamas wächst die Verbitterung darüber, dass er das Projekt Nahostfrieden so lust- und konzeptionslos vor sich hin dümpeln ließ, statt es engagierter anzugehen. Die Entscheidung, US-Außenminister John Kerry mit einer Krisen-Bewältigungsmission nach Europa und in den Nahen Osten zu entsenden, könnte Zweifel bestätigen, ob Obama das nicht vor Jahren schon hätte tun müssen.

Deutschlands Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen war auf USA-Besuch, als sich die Irak-Krise zuspitzte. Sie lobte nach ihrem Gespräch mit Amtskollegen Chuck Hagel, mit wie viel Bedacht die Amerikaner ihre Entscheidungen zum Irak treffen. Danach geht es der Obama-Administration um drei Ziele. So soll das Leben der im Irak ansässigen Amerikaner geschützt werden. Zudem soll die Gefahr von Isis weitgehend gebannt werden, und nicht zuletzt streben die Amerikaner eine funktionsfähige Regierung in Bagdad an.

Aus der Not geboren eruieren Obamas Diplomaten auch die Möglichkeiten, sich mit dem Iran auf eine Isis-Bekämpfung zu arrangieren. Wie dieser zusätzliche Schwenk einer Zusammenarbeit mit den erklärten Feinden der USA im US-Wahlkampf erklärt werden könnte, testen die Kommentatoren derzeit aus. Es dürfte jedoch für die Demokraten eher eine neue Bürde bilden.

(may-/qua)
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