Blog aus Afghanistan Zeppelin über Kabul

Kabul (RP). Unser Redaktionsmitglied Helmut Michelis bereist zurzeit erstmals Afghanistan. Auf Einladung der amerikanischen Mission bei der Nato besucht er mehrere Provinzen. In seinem Online-Blog berichtet er aktuell von seinen Erlebnissen.

Helmut Michelis in Afghanistan
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Kabul im Sonnenschein - es riecht verbrannt, überall Bewaffnete, Betonsperren, Schranken, Sandsäcke, Mauern und Stacheldraht. Die afghanische Hauptstadt wirkt auf den ersten Blick wie ein gigantischer Hochsicherheitstrakt. Einsam setzt die rote Rose im vertrockneten Blumenbeet eines Kreisverkehrs einen verzweifelten bunten Farbtupfer gegen das allgegenwärtige Sandbraun und Staubgrau.

Ringsherum stauen sich hupende Autos, Motorräder, Fahrräder, Pferdefuhrwerke und Eselskarren. Hoch am Himmel schwebt unübersehbar eine Art Zeppelin: Das unbemannte, mit Kameras bestückte hellgraue Luftschiff wacht zusätzlich über das Gewühl; es soll schneller vor Anschlagsversuchen warnen.

Das Land am Hindukusch ist für den Neuling in vielfacher Hinsicht anstrengend: Ein scheinbar nicht enden wollender, tagelanger Papierkrieg - welch bizarrer Begriff in Zusammenhang mit einem Land, in dem seit Jahrzehnten blutigste Kämpfe toben - ist die Grundvoraussetzung, um überhaupt einreisen zu können. Formulare, Formulare, danach vor Ort eindringliche Verhaltensmaßregeln fürs Überleben: Bei einem Unfall im sichereren Auto bleiben, er könnte vorgetäuscht sein. Nichts aufheben, was man nicht selbst fallengelassen hat, auch keine Geldmünze — das könnte eine heimtückische Sprengfalle auslösen.

Dass dies leider keine Theorie ist, beweist ein Besuch im Haus der "Kabul Orthopedic Organization" (KOO), in dem Minenopfern Prothesen angepasst werden. 17 Männer mit entsetzlichen Verletzungen, alle haben Arme oder Beine verloren, warten in einem kleinen, türkisfarben gestrichenen Raum — 17 Menschen, hinter denen mehr als 52.000 weitere Verstümmelte stehen. Jeden Monat fordern die teils alten Sprengfallen, von den Russen, den Taliban und anderen Kriegsparteien versteckt, etwa 50 neue Todesopfer, knapp die Hälfte davon sind Kinder.

Besuch in einer Prothetik-Klinik

Vizedirektorin Fahima Khostani erläutert die schlichte, aber wirkungsvolle Funktion eines Ersatzarms mit Greifhand: Die Plastikfinger schließen sich beim Ausstrecken des Armes durch einen am Rücken befestigten Seilzug. Holzfüße, Metallbeine und Plastikglieder lagern in den Regalen. Das scheinbare Kabinett des Grauens hilft Hunderten Verzweifelten, das Leben wieder zu meistern. An einem Barren üben Mohammed Halib (26) aus der Provinz Laghman und Ayatulah (22) aus Masar-i-Scharif das Gehen mit den neuen Hilfsmitteln.

Ayatulah hat es besonders hart getroffen: Eine Mine riss ihm gleich beide Beine ab. Khostani und die anderen mutigen Frauen, die für die KOO arbeiten, riskieren ebenfalls ihr Leben: Religiöse Fanatiker sähen sie lieber unter der Burka, dem Ganzkörperschleier mit grobem Gitterschlitz vor den Augen, den viele Frauen in Kabul auf der Straße tragen.

Hunde als Minensucher

Einige Kilometer vom KOO entfernt ist lautes Gebell zu hören: Eine vor allem von den USA, aber auch von Deutschland finanzierte Hundeschule bildet 18 Monate lang geeignete Tiere zu Minensuchern aus. 300 von ihnen sind bereits im Spüreinsatz. Eine Werkstatt in der Nähe stellt einfache Suchgeräte für menschliche Minensucher her, darunter eine besonders lange Suchnadel und antimagnetische Schaufeln. Der Direktor ist stolz darauf, gleich mehrere Behinderte zu beschäftigen. Hamid hat durch eine Explosion ein Auge verloren, mit dem anderen kann er nur noch wenig sehen. "Ich bin sehr dankbar, ich hatte kein Geld mehr, meine Familie war verzweifelt", berichtet er.

Es sind kleine Erfolge, die sich hoffentlich summieren. Ein gutes Zeichen ist auch die Bauwut in Kabul: Bis tief in die Nacht wird gebaggert, gehämmert und geschweißt. Wer ein Haus baut, so denke ich, der glaubt an eine Zukunft. Auch die zeitaufwändige zivile Anreise von Brüssel über Zürich und Dubai nach Kabul vermittelt einen Fortschritt in Sachen Frieden. Denn das letzte Teilstück legt keine Militärmaschine, sondern ein farbenfroher Airbus A 320 von Safi-Airlines zurück, eine seit drei Jahren langsam in die schwarzen Zahlen fliegende afghanische Privat-Airline.

Alle Beschriftungen im Innern sind Englisch und Serbokroatisch, nagelneu kann dieser Jet demnach wohl nicht sein. Aus dem Cockpit grüßt ein Pilot namens Timo besonders seine Landsleute an Bord — deutsche Starthilfe für Afghanistan im ursprünglichen Wortsinn.

(felt/top)
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