Gipfel in Istanbul will Übergangsregierung helfen Zeitbombe Irak führt NATO wieder zusammen

Brüssel (rpo). Vor anderthalb Jahren befand sich die NATO in der tiefsten Krise seit ihrer Gründung. Der sich abzeichnende Irak-Krieg spaltete die damals noch 19 Mitgliedstaaten in zwei Lager, die sich unversöhnlich gegenüberstanden.

Das ist lange her. Die tickende Zeitbombe, zu der Irak nach dem Krieg geworden ist, hat die früheren Kontrahenten wieder zusammengeführt. Konsens ist jetzt, dass die Allianz Irak beim Wiederaufbau unterstützen wird. Die USA scheinen akzeptiert zu haben, dass mehr nicht geht.

Der Irak-Kurs der NATO soll beim Treffen der Staats- und Regierungschefs am Montag und Dienstag in Istanbul festgeklopft werden. Diplomaten am Brüsseler Hauptquartier erwarten "zu den heißesten Punkten eine offene Aussprache". US-Präsident George W. Bush wird sich wahrscheinlich vom französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac, möglicherweise auch von Bundeskanzler Gerhard Schröder deutliche Worte anhören müssen, was in Irak schief gelaufen ist.

Letztlich aber wird die NATO in Istanbul ein geschlossenes Bild abgeben, indem sie das Hilfsgesuch des designierten irakischen Ministerpräsidenten Ijad Allawi annehmen wird. Allawi hat die Allianz darum gebeten, bei der Ausbildung irakischen Militärs und Polizei zu helfen. Dies ist unter den jetzt 26 Mitgliedstaaten unstreitig, wie es in diplomatischen Kreisen hieß.

Deutschland ist zwar nach wie vor skeptisch, ob die NATO das richtige Instrument zur Befriedung des Landes ist. Dass sich die Rolle der NATO jetzt auf die Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte beschränken wird, und dies voraussichtlich nicht in Irak umgesetzt werden soll, kommt der Linie der Bundesregierung aber entgegen. Denn von Anfang an hatte sich Deutschland dazu bereit erklärt, bei der Ausbildung zu helfen, vorausgesetzt, dass das nicht in Irak geschehen müsse. Vom Tisch ist in Brüssel der Gedanke, dass die NATO wie in Afghanistan eine militärische Führungsrolle übernehmen könnte.

Noch Ende vergangenen Jahres waren US-Außenminister Colin Powell und sein Kollege aus dem Pentagon, Donald Rumsfeld, selbstbewusst bei der NATO aufgetreten und hatten ein stärkeres Engagement der Allianz gefordert. Auch Polen und das damals noch fest an der Seite Washington stehende Spanien mahnten dies an. Diese Haltung ist mittlerweile "deutlich abgeflaut", gab ein ranghoher Diplomat zu Protokoll, um nicht zu sagen, von der Tagesordnung gestrichen.

Was bei der NATO aber ebenso Konsens zu sein scheint, ist die Einsicht, dass Irak ein Pulverfass ist und Europa die USA in der gegenwärtigen Lage nicht alleine lassen darf. Ihre Hoffnung setzt die Allianz jetzt vor allem auf die Übergangsregierung Allawis. "Das ist die letzte Karte in diesem Spiel. Wenn es die Regierung nicht schafft, dann entsteht die Gefahr, dass das Land abkippt in einen Bürgerkrieg", sagte ein ranghoher Diplomat.

"Entschlossenheit ist das Entscheidende"

Eine solche Entwicklung scheint in Afghanistan, wo die NATO die Führung der internationalen Friedenstruppe ISAF übernommen hat, bislang zumindest abgewendet zu sein. Dennoch tut sich die Allianz schwer, das Land über die Hauptstadt Kabul hinaus zu kontrollieren. Das Zauberwort dafür heißt "Regionale Wiederaufbauteams". Die sollen dabei helfen, in den afghanischen Provinzen zivile Strukturen wieder herzustellen.

Pionier dabei ist die Bundeswehr, die in der Region Kundus im Nordosten des Landes seit Herbst vergangenen Jahres rund 250 Soldaten stationiert hat. Beim Gipfel in Istanbul sollen weitere dieser Teams hinzukommen. Gesucht werden aber noch Truppensteller, bei der NATO seit je her ein Problem. Diplomaten äußerten sich aber zuversichtlich, dass sich weitere Mitgliedstaaten engagieren. In Berlin hieß es, es gebe Angebote aus Dänemark und Sondierungen mit Spanien, der Türkei und Bulgarien.

Zweites heißes Thema ist die für September vorgesehene Wahl in Afghanistan. In Brüssel bereitet vor allem die Frage der Sicherheit Kopfschmerzen. Dazu will die NATO in Kabul ein Bataillon mit bis zu 1.200 Soldaten abkommandieren. Zwei weitere Bataillone sollen bereit stehen, schnellstmöglich nach Afghanistan verlegt zu werden, falls dies erforderlich sein wird.

In Afghanistan wie auch in Irak kommt es nach Einschätzung eines ranghohen Diplomaten jetzt vor allem darauf an, dass die NATO glaubwürdig bleibt. "Dass sich die NATO in Istanbul entschlossen zeigt, ihre Aufgaben zu erfüllen, das ist das Entscheidende." Damit habe die Allianz auch den Kalten Krieg erfolgreich bestritten. "Erst wenn es Zweifel daran gibt, dann wird es gefährlich", sagte der Diplomat.

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