Putins TV-Fragestunde "Direkter Draht" Kein Adrenalin mehr fürs Volk

Moskau · Jedes Jahr einmal dürfen Russlands Bürger dem Präsidenten im Fernsehen Fragen stellen. "Direkter Draht" nennt sich diese Veranstaltung, die Donnerstag zum 13. Mal seit Amtsantritt Wladimir Putins vor 15 Jahren abgehalten wurde. Putins Auftritt fiel vergleichsweise moderat aus.

Wladimir Putin im Fokus der russischen Öffentlichkeit.

Wladimir Putin im Fokus der russischen Öffentlichkeit.

Foto: ap

Mit jedem Jahr werden die Bürger eifriger. Diesmal ging die Rekordmenge von mehr als drei Millionen Kontaktaufnahmen ein. Auch der Präsident legte einen neuen Rekord hin: vier Stunden ohne Pause stand er Rede und Antwort — ohne auch nur das leiseste Anzeichen von Schwäche. Der Präsident hat alles im Griff so die Botschaft.

Der Bürger kann sich zurücklehnen und die politischen Geschäfte ruhigen Gewissens dem Kremlchef überlassen. Der kümmert sich schon drum. Ob der Vorortzug von Balaschow nach Saratow wieder fährt, den Feuerbrunstopfern in Sibirien Entschädigungen zustehen, die Erhöhung der KFZ-Versicherung berechtigt ist und wie es mit den Preisen für Arzneimittel steht, Wladimir Putin überzeugt das Fernsehvolk in jedem Lebensbereich mit Datensätzen und Expertenmeinung. Nur einen Tag soll er sich auf den Dialog mit dem Volk vorbereitet haben.

Nichts wird dem Zufall überlassen

Der "Direkte Draht" wird in Russland als großes TV-Event inszeniert.

Der "Direkte Draht" wird in Russland als großes TV-Event inszeniert.

Foto: ap

Natürlich wird in diesem Format nichts dem Zufall überlassen. Die Fragesteller sind handverlesen und vorher auf Herz und Nieren geprüft. Die Inszenierung ist unterdessen kaum noch zu erkennen, weil die Techniken der hybriden Kriegsführung auch im Umgang mit dem eigenen Volk greifen. Plumpe Ergebenheitsadressen sind nicht mehr so gefragt.

Loyalitätsbekundungen kommen eher als Showeinlage daher, wenn etwa die Freundin einer mit einem Militär verheirateten Ehefrau Wladimir Putin per MMS bittet, den eisernen Gatten umzustimmen, der Freundin einen Hund schenken zu dürfen. Grenzen zwischen Realität und Virtualität verschwimmen.

Höhepunkte fehlten diesmal. In der gleichen Sendung im letzten Jahr hatte der Kremlchef noch eingeräumt, dass die "höflichen grünen Männchen", die die Krim besetzt hatten, nun doch - anders als zunächst behauptet - russische Soldaten gewesen seien. Die Ukraine, die Krim und der Westen standen diesmal nicht im Mittelpunkt.

Von ukrainischen Faschisten, die seit einem Jahr den russischen Äther regieren, war gar nicht mehr die Rede. Auch Wladimir Putins Dictus geriet moderater ohne derbe und halbseidene Sprüche. Kurzum der Kremlchef versagte dem Volk den Adrenalinstoß.

Rundum beruhigendes Szenario der wirtschaftlichen Entwicklung

Stattdessen malte er ein rundum beruhigendes Szenario der wirtschaftlichen Entwicklung. So sei die Ölförderung 2014 auf Rekordniveau gestiegen und selbst das Wachstum hätte noch um 0,6 Prozent zugelegt. Die Bauwirtschaft entwickle sich ebenso prächtig wie der Nachwuchs, denn die Geburtenrate sei erneut positiv. Allerdings räumte er ein, dass die Investitionen zurückgegangen seien, die Arbeitslosenzahl auf 5,8 Prozent und die Inflation gar auf 11,4 Prozent hoch geschnellt seien. "Experten glauben, dass wir den Höhepunkt der Krise überwunden haben", sagte Putin.

"Der Rubel hat sich stabilisiert und ist stärker geworden", meinte der Kremlchef. Vielleicht könne die Erholung der Wirtschaft, schon früher als zunächst vermutet, in weniger als zwei Jahren einsetzen. Mit Genugtuung verwies er im gleichen Atemzug auf wirtschaftliche Schwierigkeiten in der Eurozone und den USA.

Er appellierte an die Bürger, die westlichen Sanktionen nach der Krimbesetzung weniger als Last denn Chance zu begreifen, "die Wirtschaft nach modernen Methoden zu organisieren". Russische Beobachter zweifeln unterdessen daran, dass die Anti-Krisen Maßnahmen der Regierung eine neue Modernisierungsphase in Bewegung setzen könnten. Als Ex-Finanzminister Alexej Kudrin den Kremlchef gemahnte, überfällige Strukturreformen einzuleiten und ein vom Rohstoffsektor unabhängiges Wachstumskonzept zu initiieren, wies Putin den Einwurf zurück. Alles ginge schon seinen richtigen Weg.

Dies legt den Schluss nahe, dass der Kreml in der Tat nur auf bessere Zeiten wartet. Andererseits wiederholte Putin die Behauptung, die Sanktionen hätten nichts mit der Ukraine zu tun. Ihre Zielsetzung sei politisch, da der Westen Russland in die Knie zwingen wolle. Daher müsse Moskau langen Atem beweisen.

Große Pressekonferenz: Wladimir Putin erklärt die Welt
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Putin wies in der Ukrainefrage dem Westen und der Regierung in Kiew die alleinige Schuld zu. Dass in der Ostukraine russische Militärs im Einsatz seien, leugnete Putin trotz erdrückender Indizienlage. Noch will er die Wahrheit dem eigenen Volk nicht zumuten. Der Tenor Putins außenpolitischer Betrachtungen lässt sich auf die einfache Formel bringen: Russland muss keine Feinde fürchten, da es militärisch und wirtschaftlich zu stark ist. Putin sei Dank.

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