Amerika misstraut Putin "Die Russen kommen"

Was führt Wladimir Putin wirklich im Schilde? Seit der Krim traut ihm kein westlicher Politiker mehr über den Weg. Top-Diplomaten verhandeln über eine friedliche Lösung. Doch aus Sicht von US-Sicherheitsdiensten wächst die Gefahr einer Invasion in der Ukraine stündlich. Schon heißt es in den USA "Die Russen kommen."

Wladimir Putin und sein doppeltes Spiel: "Die Russen kommen"
Foto: afp, ski

Europa und die USA befinden sich in einer denkbar unangenehmen Lage. Wie sollen sie mit dem aggressiven Wladimir Putin umgehen? Gewalt anwenden will keiner. Aber ihm freie Hand in der Ukraine zu lassen, wäre ebenso fatal.

Schwäche zeigen käme einer Aufforderung gleich, davon sind nicht eben wenige überzeugt "Sanftheit wird in Moskau als Ermutigung begriffen", schreibt etwa der ehemalige grüne Außenminister Joschka Fischer in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung. Putins fatale Strategie: den Status einer Weltmacht zurückerlangen.

Dagegen hilft aus Fischers Sicht nur Standfestigkeit. Die EU ist in seinen Augen gefordert, sich in dieser Ausnahmesituation wie ein machtpolitischer Akteur zu verhalten. Wer wie die "Putin-Versteher" nachgibt, werde nicht zum Frieden, sondern zur Eskalation beitragen. Denn nun werde darüber entschieden, "nach welchen Regeln die Staaten und Völker auf dem europäischen Kontinent in Zukunft leben werden: nach denen des 19. oder des 21. Jahrhunderts", so Fischer.

Am Montag schilderte vor Berliner Schülern auch Finanzminister Wolfgang Schäuble ein Krisenszenario, das Putins Kalkül erklären könnte: Lauern und eine weitere Destabilisierung provozieren und dann mit der Begründung einmarschieren, im Chaos der zerfallenden Ukraine russisch-stämmige Bürger beschützen zu müssen. So wie Hitler 1938 in der Tschechoslowakei.

Auch in Amerika sitzt das Misstrauen gegenüber Putin tief. Angesichts der Bilder, die die Sicherheitsdienste aus der Krisenregion vorlegten, zeigte sich zuletzt etwa die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, Dianne Feinstein, verunsichert.

Ihre Hoffnung, auf diplomatischem Weg zu einer Lösung zu kommen, hat bisher nicht getragen. Auch nach vierstündigem Austausch der beiden Außenminister liegen die USA und Russland noch meilenweit auseinander. Der Westen beklagt offen den bedrohlichen Truppenaufmarsch, Moskau verweist auf Übergriffe auf russischsprachige Bürger, bestreitet aber Absichten zum Einmarsch.

In der politischen Diskussion rechnen Beobachter bereits mit dem Schlimmsten. So etwa der erfahrene Russland-Kenner Michael Weiss, der für das Fach-Magazin Foreign Policy unter dem griffigen Titel "Die Russen kommen" gleich zehn Gründe aufführt, die in Summe für einen russischen Einmarsch sprechen.

So verweist er unter anderem nicht nur auf Videos, die russische Truppenbewegungen von bis zu 50.000 Mann dokumentieren, sondern auch logistische Manöver, die auf einen längeren Einsatz schließen lassen: Lebensmittel, Medizin und Ersatzteile wurden demnach ebenfalls an die Grenze verschoben, zudem sei ein Feldlazarett errichtet worden. Offenkundig mehr als man üblicherweise für ein schlichtes Übungsmanöver benötigt.

Auch auf Putin persönlich geht Weiss ein. Dem Kreml-Chef sagt er eine fast diabolische Freude daran nach, Obama als hilfloses Weichei vorzuführen. So folgte die Invasion auf der Krim unmittelbar auf Obamas Drohung, eine militärische Intervention auf ukrainischem Territorium werde nicht folgenlos bleiben. Wohl selten wurde eine Drohung eines US-Präsidenten schneller beiseite gewischt, kommentierten US-Medien.

Zudem verweist Weiss auf knallharte militärisch-wirtschaftliche Interessen und verweist dafür auf einen russischen Experten und dessen Ausführungen zu einer russischen Abhängigkeit von ukrainischen Militärgütern. So befindet sich beispielsweise in der ostukrainischen Stadt Saporischschja mit dem Unternehmen "Motor Sich" einer der weltweit größten Hersteller von Motoren für Flugzeuge und Helikopter. "Deren Bedeutung für unser Militär kann man gar nicht überschätzen", so der russische Experte. Zudem sei Moskaus Flotte ebenso eng mit der Ukraine verwoben wie das Nuklear-Programm.

Ob sich die düstere Szenarien bewahrheiten werden, entscheidet sich in den kommenden Tagen. Zumindest am Montag gab es Anzeichen für eine leichte Entspannung. So berichtete der ukrainische Militärexperte Dmitri Tymtschuk von Hinweisen zu einem Teilrückzug russischer Soldaten ins Hinterland. Eine offizielle Bestätigung gab es zunächst nicht.

Die deutsche Bundesregierung stellte sich am Montag hinter die Forderung nach einem Abzug der russischen Truppen von der Grenze. Damit könnte Moskau ein "Zeichen der Deeskalation" setzen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.

(pst)
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