Nordafrika Wird Libyen zu einem zweiten Syrien?

Tripolis · Der blutige Machtkampf zwischen General Haftar und der Regierung in Tripolis könnte zum Stellvertreterkrieg ausufern.

 Ein Kämpfer der international anerkannten Regierung während der Gefechte mit Truppen der Libysch-Nationalen Armee von General Haftar.  Foto: dpa

Ein Kämpfer der international anerkannten Regierung während der Gefechte mit Truppen der Libysch-Nationalen Armee von General Haftar. Foto: dpa

Foto: dpa/Amru Salahuddien

Immer weitere Horrormeldungen aus Libyen – und das schon seit Wochen. Von Folterlagern ist die Rede, von Luftangriffen auf Flüchtlinge, von Menschen, die auf der Flucht vor Libyens Küste ertrinken. Fast täglich werden Leichen an der Küste geborgen. Nach Angaben des Uno-Hilfswerk UNHCR halten sich in Libyen rund 50.000 registrierte Flüchtlinge und Asylsuchende auf, ebenso wie 800.000 weitere Migranten.

Es herrscht Chaos in Libyen. Verantwortlich dafür ist die politische Situation im ölreichen Land, wo es zwei Regierungen und zwei Parlamente gibt, die um die Vormacht streiten.Seit Anfang April gibt es rund um die libysche Hauptstadt Tripolis schwere Gefechte. Anhänger der Regierung von Fajes al Sarradsch und Truppen von General Khalifa Haftar, der vom Parlament im Osten des Landes unterstützt wird, bekämpfen sich im Grunde schon seit dem Sturz des ehemaligen Machthabers Muammar al Gaddafi. Sowohl die Regierung in Tripolis als auch das Parlament in Tobruk beanspruchen die Macht für sich.

Nach Uno-Angaben sind im Zuge der Kämpfe um Tripolis bereits 650 Menschen getötet worden. Tausende sind auf der Flucht. Und es werden täglich mehr. Die Luftangriffe auf Flüchtlingslager werden ebenfalls dem General zugerechnet. Doch es ist längst nicht mehr nur ein Krieg unter Libyern. Zunehmend mischen auch andere Länder mit. Libyen könnte zum Stellvertreterkrieg der Machtinteressen in der Region werden. Beobachter sprechen gar von einem zweiten Syrien.

So eskalierte Ende Juni der Konflikt zwischen der Türkei und der Libyschen Nationalen Armee (LNA) von General Haftar. Nach Angaben des türkischen Außenministeriums hatten LNA-Kämpfer sechs türkische Staatsbürger in Libyen festgenommen. Zwar kamen die Türken auf Druck der türkischen Regierung nach wenigen Stunden wieder frei, der Fall zeigte aber, wie angespannt die Beziehungen sind. Haftar hatte seine Armee zuvor angewiesen, türkische Schiffe in libyschen Hoheitsgewässern anzugreifen, und er verbot kommerzielle Flüge zwischen den Ländern. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan unterstützt daher jetzt öffentlich Haftars Gegenspieler Sarradsch.

Dass sich an General Haftar in Libyen die Geister scheiden, ist nichts Neues. Die libysche Frage lautet deshalb: Wer ist für Haftar, wer gegen ihn? Auf seiner Seite kann der Warlord, dessen Lebenselixier der Krieg ist, auf Ägypten, Saudi-Arabien, die Emirate, Russland und auch Frankreich zählen. Auf der anderen Seite und hinter der international anerkannten Regierung in Tripolis stehen die Uno, der Rest der EU, die USA und eben die Türkei.

In diesem Konflikt mischen auch wieder etliche Staaten mit, die für die Entstehung der heutigen libysche Misere mindestens verantwortlich sind. Mit Luftschlägen hatten die USA, Großbritannien und Frankreich 2011 maßgeblichen Anteil daran, dass aus Libyen ein „failed state“ wurde, der heute ein höchst kümmerliches Dasein fristet. Eine Uno-Resolution sanktionierte damals den gewaltsamen Sturz von Diktator Gaddafi, der dabei war, Teile der eigenen Bevölkerung zu massakrieren. Aber dann ließ es die Allianz an der Verantwortung fehlen, um sich des Landes anzunehmen, das man gerade aus den Angeln gehoben hatte. Libyen blieb seinem Schicksal überlassen.

Seither ist Khalifa Haftar eine Schlüsselfigur im libyschen Bürgerkrieg. Militäroffizier unter Gaddafi und Befehlshaber im libysch-tschadischen Grenzkrieg bis 1987, stellte er sich 2011 schließlich gegen Gaddafi und beteiligte sich am Sturz des Diktators – wohl mit dem Kalkül, dass er dann seine Nachfolge antreten könne. Dass die internationale Gemeinschaft und vor allem die USA sich dabei gegen ihn stellen könnten, hatte er wohl nicht bedacht. Schließlich hatte Haftar einige Jahre lang für die CIA gearbeitet und ist amerikanischer Staatsbürger. Doch der damalige US-Präsident Barak Obama entschied sich für die von der Uno favorisierte Regierung in Tripolis und grenzte den Warlord politisch aus.

Bis jetzt hat Obamas Nachfolger Donald Trump daran nicht gerüttelt. Als allerdings Frankreich und Russland sich auf Haftars Seite schlugen, sah der 75-jährige General seine Stunde gekommen und wagte den Angriff auf die Hauptstadt. Die Folge ist ein Zusammenrücken der Sarradsch-Regierung mit unterschiedlichen Milizen im Westen des Landes, wozu auch die islamistischen Muslimbrüder zählen, die in Ägypten als Terrororganisation gelten und von Haftar bekämpft werden. Erdogan wiederum ist ein glühender Bewunderer der Muslimbruderschaft. Noch ein Grund für ihn, nicht Haftar, sondern Sarradsch zu unterstützen.

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