Streit um Lockerbie-Bomber Wird die schottische Regierung fallen?

London (RP). Das letzte Mal hatten sie ihre Sommerferien abgebrochen, um von der Parlamentstribüne den Tod der 101 Jahre alten Queen Mother zu betrauern. Anders als 2002 bemühten sich die schottischen Abgeordneten gestern auf dem Weg zur ersten "Notsitzung" seit sieben Jahren nicht um einen betroffenen Gesichtsausruck, sondern sie schäumten vor Wut.

2009: Gaddafi empfängt den Lockerbie-Attentäter
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2009: Gaddafi empfängt den Lockerbie-Attentäter

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Am vergangenen Freitag wurde der Libyer Abdel Bassit al-Megrahi, der 1988 eine Boeing 747 in der Nähe des Städtchens Lockerbie abstürzen ließ, mit Jubel in seiner Heimat begrüßt. Nicht nur die Politiker in Edinburgh fühlten sich blamiert. Der Schock über die Bilder von dem euphorischen Empfang des aus schottischer Haft freigelassenen 57-Jährigen auf dem Flughafen von Tripoli hält in London bis heute an.

Libyen brach mit Empfang des Lockerbie-Attentäters Zusagen

Mittlerweile hat der schottische Justizminister Kenny MacAskill Libyen vorgeworfen, mit dem triumphalen Empfang für den Lockerbie-Attentäter eigene Versprechen gebrochen zu haben. Die libyschen Behörden hätten zugesagt, Abdel Basset al Megrahi nur in kleinem Rahmen willkommen zu heißen, erklärte MacAskill am Montag. Zugleich verteidigte der Minister seine Entscheidung, den krebskranken 57-Jährigen aus humanitären Gründen auf freien Fuß zu setzen

Die mit "humanitären Gründen" erklärte Begnadigung des krebskranken Ex-Geheimdienslers, der 270 Menschen auf dem Pan-Am-Flug 103 mit einer Bombe getötet hatte, sei ein politischer Fehler gewesen, sagen dagegen mittlerweile viele britische Politiker, die die wütende Reaktion des FBI-Chefs Robert Mueller ("Verhöhnung des Gesetzes") als eine Warnung der USA an deren engen Verbündeten verstehen.

Zu liberal gegenüber Islamisten?

Ist das Vereinigte Königreich den Islamisten gegenüber zu liberal eingestellt? Warum wurde der zu lebenslanger Haft verurteilte al-Megrahi nach Hause geschickt und nicht in ein Hospiz in Schottland überführt? Hat sich die Justiz von den Lobbyisten der Öl- und Gaskonzerne in die Ecke drängen lassen, die auf Milliardengeschäfte in Libyen hoffen? Das waren die Fragen, die der Justizminister Kenny MacAskill gestern in Holyrood (schottisches Parlament) beantworten musste.

Der Streit über seine Entscheidung war mit neuer Kraft aufgeflammt, nachdem bekannt geworden war, dass al-Megrahi an einer Autobiografie schreibt, in der er die Beweise für seine angebliche Unschuld vorlegen will. Manche Beobachter glauben, dass die nationalistische Regierung von Alex Salmond, die die volle Unabhängigkeit Schottlands vom Rest der Insel anstrebt, über der Kontroverse im Fall des begnadigten Libyers zerbrechen könnte, dem sie ungewollt zum Status eines Märtyrers verholfen habe.

Er habe "absolut richtig gehandelt", verteidigt seinen Minister Salmond. Der Vorsitzende der Scottish National Party verweist auf das geltende Recht im britischen Norden, das seit der Einführung der begrenzten Autonomie 1999 von englischen Gesetzen in Details abweicht. So können in Schottland schwerkranke Verbrecher begnadigt werden, wenn ihre Lebenserwartung weniger als drei Monate beträgt.

Briten-Premier Brown schweigt

Die libysche Führung hatte sich zuletzt sowohl in Edinburgh als auch in London für die Freilassung von al-Megrahi stark gemacht. Premierminister Gordon Brown hält im Skandal um den Lockerbie-Bomber Schweigen ein. Allerdings informierte sein Sprecher am Sonntag die Öffentlichkeit, dass die Zentralregierung in diesem Fall weder Druck auf Schottland ausgeübt habe noch sich für die Zwecke der Energiekonzerne Shell und BP einspannen ließ, die in Libyen nach Gas und Erdöl bohren wollen.

Für viele Briten klingt das unglaubwürdig. Wenn Brown unbeteiligt gewesen sei, warum habe dann der libysche Staatchef Muammar al-Gaddhafi (den der Labour-Chef in Briefen " Lieber Muammar" nennt) der britischen Regierung für die Freilassung von al-Megrahi gedankt, fragt der Fernsehsender Sky News. Nicht minder suspekt sei in diesem Fall die Rolle des Wirtschaftsministers Lord Mandelson, der in den vergangenen vier Monaten zwei Mal Gaddhafis Sohn Saif getroffen habe, schreibt die "Times".

Während sich das Kabinett in London von der Affäre zu distanzieren versucht, fragen sich die Schotten, wie sie den Schaden für ihr Ansehen reparieren können. Laut US-Medien boykottieren manche Amerikaner aus Protest gegen die Begnadigung des Terroristen bereits den schottischen Whisky, andere haben ihre Urlaubsreisen nach Schottland abgesagt.

(RP)
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