Von Italien nach Frankreich "Wir machen nicht kehrt" - Flüchtlinge wollen Einreise erzwingen

Ventimiglia · Walid will nach Deutschland. Auf eine gute Schule für seine drei Kinder hofft er dort - und auf Sicherheit. Im Moment sitzt der gebürtige Sudanese, der aus Libyen geflohen ist, aber an der Grenze zwischen Italien und Frankreich fest. "Das Leben als Schwarzer in Libyen ist zu hart geworden", seufzt er und zeigt auf eine Narbe im Gesicht seines neunjährigen Sohnes.

 Rund um den Bahnhof von Ventimiglia warten einige Flüchtlinge.

Rund um den Bahnhof von Ventimiglia warten einige Flüchtlinge.

Foto: dpa, sec sh

Für Walid, seine Frau Sara, die drei Kinder und dutzende weitere Afrikaner geht es im Moment aber erst einmal darum, im Bahnhof der italienischen Grenzstadt Ventimiglia einigermaßen zu überleben. Dort liegen die Flüchtlinge auf dem Boden, nachdem Frankreich ihnen die Einreise verwehrt hat. Dennoch harren seit der vergangenen Woche hunderte Flüchtlinge in der Nähe der französischen Grenze aus, um es doch noch irgendwie nach Frankreich und von dort aus teils in andere EU-Länder wie Deutschland zu schaffen.

Die Bahnhofshalle von Ventimiglia sieht derzeit aus wie ein großer Schlafsaal. Walid hat dort für seine Familie eine Art Zuhause geschaffen. Die dreijährige Basmala spielt unbekümmert mit einem kleinen Auto, das ihr eine Italienerin geschenkt hat. Ihre Brüder sind in ein Puzzlespiel versunken.

25 Jahre hatte Walid in Libyen gelebt, wo er ein Geschäft mit Elektrogeräten hatte. Als die Lage in dem von Gewalt und Chaos geprägten Land immer schlimmer wurde, verkaufte er sein Hab und Gut, um die 1000 Euro pro Person für die Überfahrt im Boot nach Italien bezahlen zu können. Bis nach Ventimiglia schlug sich die Familie durch, nahm dort den Zug, doch auf französischer Seite in Menton stoppte sie die Polizei und setzte sie wieder an der italienischen Grenze ab. Von dort aus liefen sie vier Stunden lang an einer Straße entlang - zurück zum Bahnhof von Ventimiglia.

Walid und die anderen afrikanischen Flüchtlinge sind zum Symbol für den Streit der europäischen Länder um die Aufnahme der Einwanderer geworden. Frankreich pocht auf das europäische Regelwerk, demzufolge die Flüchtlinge von dem EU-Land aufgenommen und versorgt werden müssen, in dem sie zuerst ankamen.

Italien wiederum fühlt sich angesichts der Zehntausenden von Flüchtlingen, die seit Jahresbeginn übers Mittelmeer kamen, von seinen europäischen Partnern im Stich gelassen. Bei einem Sondertreffen der Innenminister am Dienstag in Luxemburg prangerte Rom eine "Behinderung des freien Personenverkehrs" an.

An der italienisch-französischen Grenze spielten sich derweil dramatische Szenen ab. Denn nicht nur im Bahnhof von Ventimiglia lagerten Flüchtlinge, sondern auch im Freien direkt an der Mittelmeer-Küste. Am Morgen rückte dort die Polizei an, um ein illegales Lager unter einer Eisenbahnbrücke zu räumen. Nicht alle folgten freiwillig den Anweisungen der Polizei und stiegen in einen Rot-Kreuz-Bus. Manche leisteten Widerstand, andere flüchteten sich auf Felsen.

Akçakale: Dramatische Bilder von der türkisch-syrischen Grenze
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Dramatische Bilder von der türkisch-syrischen Grenze

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Foto: afp, nb

Mit einer Art Sit-In versuchten dort seit Tagen etwa 60 Männer ihre Einreise nach Frankreich zu erzwingen. Eine solche Protestaktion hat es bisher nicht gegeben. "Wir machen nicht kehrt, macht den Weg frei", stand auf Kartonschilder geschrieben. Oder: "Humanitäre Notlage, wir erwarten eine politische Antwort von Europa."

Flüchtlinge auf der griechischen Urlaubsinsel Kos
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Mukhtar, ein 25-jähriger Somalier, der vor zwei Wochen aus Libyen nach Italien gekommen ist, wartete dort am Montag. "Ich will in England studieren", sagte er und fügte hinzu: "Auch wenn ich weiß, dass es sehr schwer ist, von Nordfrankreich aus dorthin zu kommen. Ich will einfach in Sicherheit leben."

(AFP)
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