Nato-General Blotz "Wir drängen die Taliban zurück"

Düsseldorf (RP). Der deutsche Nato-General Josef Blotz, der Sprecher von Isaf-Kommandeur David Petraeus, berichtet im Vorfeld des Gipfeltreffens der westlichen Verteidigungsallianz am 19. und 20. November in Lissabon über Erfolge in Afghanistan. Die Initiative sei zurückgewonnen.

Helmut Michelis in Afghanistan
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Die Nato meldet, dass die islamistischen Kämpfer im hart umkämpften Südosten Afghanistans auf dem Rückzug sind. Das ist überraschend. Wendet die Schutztruppe Isaf erfolgreich das Blatt?

Blotz Die Lage in der Provinz Helmand, die in den letzten Jahren zu weiten Teilen von den Taliban beherrscht wurde und zudem Hochburg der Opium-Produktion war, ist heute deutlich besser, auch deutlich besser als in Europa wahrgenommen. Isaf ist mit ihren erheblich verstärkten militärischen und zivilen Kräften in diesem Jahr erstmals in der Lage, Gebiete wie Kandahar und Helmand nicht nur einzunehmen, sondern gemeinsam mit der afghanischen Armee auch dauerhaft gegen die Taliban zu halten. Ein bedeutender Qualitätsunterschied zu früher: Im Mai 2008 waren nur sechs von 13 Distrikten in Helmand unter Kontrolle der Regierung. Heute sind es zehn. Afghanische Polizei und Armee könnten bis Ende 2011 die Kontrolle über Teilregionen selbst in Helmand Schritt für Schritt von uns übernehmen.

Sind ähnliche Erfolge bei der Drogenbekämpfung zu verzeichnen?

Blotz Die Drogenproduktion ist seit 2008 um die Hälfte zurückgegangen, und die verbesserte Sicherheitslage macht sich auch bei der Schulbildung bemerkbar. Vor einem Jahr sind 56 000 Schüler an 54 Schulen in ganz Helmand unterrichtet worden, heute gehen 140 000 Kinder, rund ein Viertel davon Mädchen, in 135 Schulen. Auch bei der Korruptionsbekämpfung in der Polizei hat es in dieser Provinz merkbare Fortschritte gegeben.

Es heißt, etliche Taliban-Kämpfer legten sogar ihre Waffen nieder.

Blotz Die Reintegration aufgabewilliger Taliban entwickelt sich ganz konkret und ist bereits jetzt vielversprechend. Auch viele Extremisten sehnen sich nach mehr als 30 Jahren Krieg nach einer friedvollen Entwicklung, nach einem normalen Leben, nach einem gesicherten Lebensunterhalt für sich und ihre Familien.

Kann man demnach sogar von einem Sieg der Nato sprechen?

Blotz Es wird in den kommenden Monaten weiter harte Kämpfe geben, je mehr wir gemeinsam mit der afghanischen Armee unvermeidlicherweise in die letzten verbliebenen Taliban-Hochburgen vordringen müssen. Zudem werden wir auch noch Herausforderungen bestehen müssen, wenn diese Räume dauerhaft gehalten werden. Letzteres ist der Schlüssel für die Entwicklung nachhaltiger Sicherheit. Von einem Sieg möchten wir in diesem Zusammenhang nicht sprechen, weil dieser Begriff zu sehr auf einen rein militärischen Lösungsansatz hindeutet. Isaf ist dann erfolgreich, wenn es gelingt die Afghanen so zu unterstützen, dass sie letztlich selbst für Sicherheit und eine bessere Regierungsführung sorgen können. Daran gemessen sind wir auf dem richtigen Weg, haben wir doch in zentralen Bereichen die Initiative wiedergewonnen. Wir machen in der Tat sichtbare Fortschritte - nicht nur in Helmand.

Was muss getan werden, die Taliban auch während des Winters unter Kontrolle zu halten?

Blotz Die Taliban werden sich während der Winterzeit neu gruppieren und im Frühjahr wieder aktiv werden. Da darf man sich nichts vormachen. Deshalb wird Isaf den Druck auf die Taliban aufrechterhalten, um ihnen eine Erholungsphase zu verwehren. Sie haben bereits jetzt deutliche Versorgungsprobleme aufgrund ständiger Angriffe von Isaf und der afghanischen Sicherheitskräfte.

Wie kann die Zusammenarbeit mit Pakistan verbessert werden? Oder wird von dort den Taliban sogar immer noch Unterstützung gewährt?

Blotz Die Suche nach einem politischen Verhandlungsansatz muss Pakistan einbeziehen; die Probleme Afghanistans können nur im regionalen Kontext verstanden und gelöst werden. Allein die geographische Lage Pakistans, besonders das 2500 km lange, unwegsame Grenzgebiet, bietet vielen Extremisten sichere Rückzugsgebiete und ist immer noch Ausgangspunkt für grenzüberschreitende Angriffe nach Afghanistan hinein. Man kann nicht schlankweg sagen, dass Pakistan die Taliban unterstützt. Im Gegenteil: Pakistan führt mit großem Aufwand und auch unter hohen Verlusten den Kampf in der Grenzregion, um den Taliban die Rückzugsgebiete in den Bergen zu nehmen. Zur Klarstellung: Isaf hat kein Mandat, auf pakistanischem Territorium militärisch zu agieren.

Stimmen Sie überein mit Präsident Hamid Karsai, wenn er mit den Taliban Verhandlungen aufnimmt?

Blotz Isaf und die internationale Gemeinschaft unterstützen die Bemühungen der afghanischen Regierung mit den Taliban zu verhandeln, um auch auf politischer Ebene eine Lösung für die Probleme Afghanistans zu finden. Isaf selbst führt jedoch keine Verhandlungen mit Führern der Taliban, dies ist allein Angelegenheit des souveränen Staates Afghanistan, der sehr viel besser weiß, mit wem man wann und wo reden kann.

Der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte geht sehr schnell voran. Haben Sie genug Ausbilder dafür?

Blotz Der zahlenmäßige Aufwuchs der afghanischen Armee (ANA) macht große Fortschritte und verläuft definitiv sehr gut, wir sind dem Zeitplan sogar deutlich voraus. Auch die Polizei (ANP) wächst sukzessive auf. Mit Stand November verfügt die ANA über rund 140 000 Soldaten, die ANP über etwa 120 000 Polizisten. Dennoch bleibt noch einiges zu tun. General Petraeus hat die truppenstellenden Nationen deshalb gebeten, mehr Ausbilder bereitzustellen. Er sagt: "Trainer sind das Ticket für Transition", also für die Übergabe der Verantwortung an afghanische Sicherheitsbehörden.

Gibt es bei diesem hohem Tempo keine Probleme?

Blotz Die qualitative Ausbildung dieser Sicherheitskräfte muss da Schritt halten, das ist nicht immer ganz leicht. Da Analphabetismus weit verbreitet ist und unsere Bemühungen um eine professionelle Ausbildung besonders der Offiziere und Unteroffiziere erschwert, sind wir mit erheblichen Anstrengungen gerade auf diesem Feld tätig.

Wer trägt die Hauptlast?

Blotz Die USA haben in der Ausbildungsverantwortung für die afghanischen Sicherheitskräfte die Führung übernommen und investieren im Durchschnitt rund zehn Milliarden Dollar pro Jahr in die Ausbildung und Ausrüstung der Afghanen.

Haben Sie eine Wunschliste für Lissabon im Gepäck? Welche zusätzlichen Anstrengungen sollten versucht werden?

Blotz Bei dem Nato-Gipfeltreffen am 19. und 20. November in Lissabon geht es nicht um Wunschlisten. Vielmehr erfolgt eine Darstellung und Bewertung der Lage in Afghanistan. Auf deren Grundlage kann entschieden werden, wann und in welchen Distrikten und Provinzen die Verantwortung an die afghanischen Sicherheitsbehörden Zug um Zug übergeben werden kann. Dies wird im Lande nur zeitlich gestaffelt stattfinden können, je nachdem wie sich die Sicherheitslage, die Regierungsfähigkeit aber auch die Wirtschaft entwickelt haben. Auch hier gilt unverändert, dass der Gesamtzusammenhang über Provinzgrenzen hinaus und auf Nachhaltigkeit hin betrachtet werden muss. Eine einmal getroffene Entscheidung zur Verantwortungsübergabe muss unumkehrbar sein.

Was sind die größten Herausforderungen fuer ISAF in den kommenden Monaten?

Blotz Über 30 Jahre Krieg und Bürgerkrieg haben in Afghanistan tiefe Wunden geschlagen und das Land in seiner Entwicklung weit zurückgeworfen. Die Afghanen sehnen sich nach einem normalen Leben in Frieden und Sicherheit, mit Arbeitsplätzen, Elektrizität, Wasser und Bildungschancen für sich und ihre Familien. Dinge also, die ihnen jahrzehntelang vorenthalten waren. Die Afghanen wollen ohne Fremdbestimmung über ihr eigenes Schicksal bestimmen können. Hierzu gehört fundamental, dass die Sicherheit der Bevölkerung gewährleistet werden kann, auf deren Basis wiederum dann eine funktionierende Regierungsfähigkeit entsteht. Nur so ist die Voraussetzung für eine anhaltende wirtschaftliche Entwicklung im Lande zu gewährleisten. Das ISAF-Mandat schreibt uns Soldaten vor allem die Schaffung der Sicherheit im Lande und die Unterstützung des Wiederaufbaus ins Lastenheft.

Was heißt das konkret?

Blotz Die nächsten Monate werden ganz konkrete Herausforderungen bringen: Wir müssen die verbliebenen Rückzugsräume und Hochburgen der Taliban nehmen und halten. Und ist das Ziel der Transition bis Ende 2014 erreicht, wird die Internationale Gemeinschaft die Afghanen nicht allein lassen, wie dies die Taliban gerne hätten und nicht müde werden zu verbreiten. Afghanistan wird vielmehr in einer strategischen Partnerschaft auch über 2014 hinaus unterstützt.

Hat sich die Lage im Norden stabilisiert, wo die Bundeswehr die Verantwortung hat? Oder haben die Taliban wegen des neuen Nato-Nachschubwegs dort einen dauerhaften Schwerpunkt gesetzt?

Blotz Die Frage nach der Sicherheit im Norden ist genauso schwer zu beantworten wie die Frage nach der Lage im ganzen Land. Denn sie unterscheidet sich regional sehr stark. Isaf hatte schon vor Jahren begonnen, ihre Versorgungswege zu aufzufächern, um nicht ausschließlich von den Nachschublinien durch Pakistan abhängig zu sein. Die Berechtigung für dieses Konzept sahen wir vor einigen Wochen, als trotz der Sperrung eines wichtigen Grenzübergangs durch die Pakistani die Operationen von Isaf in keiner Weise behindert wurden.

Ich sehe allerdings keinen konkreten Zusammenhang mit den Aktivitäten der Aufständischen. Im Übrigen kann man wohl auch gar nicht von einem neuen, dauerhaften Schwerpunkt sprechen. Richtig ist allerdings, dass unser Gegner teilweise aus anderen Gegenden, zum Beispiel im Süden und Osten Afghanistans, erfolgreich verdrängt wurde und nun versucht, hier und da im Norden wieder neu Fuß zu fassen. Deswegen haben wir hier unsere Anstrengungen verstärkt und sehen bereits Fortschritte. Mir ist es in diesem Zusammenhang auch wichtig, die im Vergleich mit anderen Landesteilen eher weniger kritische Lage im Norden auch ganz deutlich als solche zu kennzeichnen.

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