Harsche Kritik an Biden Das „Willow Project“ – Kohlenstoffbombe in der Arktis oder Zukunft für Alaska?
Analyse | Washington · US-Präsident Joe Biden hat im Norden Alaskas das Erschließen eines großen Erdölfelds genehmigt. Kritiker nennen das „Willow Project“ eine „Kohlenstoffbombe“. Der Widerstand in den sozialen Netzwerken ist massiv. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Worum geht es bei dem „Willow Project“?
Der in Houston ansässige Öl-Konzern ConocoPhillips hatte während der Präsidentschaft Donald Trumps 2020 das Recht erworben, innerhalb der National Petroleum Reserve Alaska über einen Zeitraum von 30 Jahren rund 600 Millionen Barrel Öl zu erschließen. Bei dem im Nordwesten gelegenen Gebiet der North Slope, wo das „Willow Project“ entstehen soll, handelt es sich um die größte unberührte Fläche des Bundesstaats. Die Region ist Heimat indigener Menschen und Lebensraum von Eisbären, Gelbschnabelseetauchern und anderen seltenen Arten. ConocoPhillips will nun acht Milliarden Dollar in drei Bohr-Plattformen und die dazugehörige Infrastruktur aus Straßen und Pipelines investieren. „Willow“ bedeutet auf Deutsch übrigens „Weide“.
Woran entzündet sich die Kritik?
Das „Willow Project“ fördert bei Fertigstellung so viel Erdöl, dass dessen Verbrauch jedes Jahr rund 9,2 Millionen zusätzliche Tonnen CO2 an Emissionen zur Erderwärmung beiträgt. In der Summe über die Laufzeit entspricht das dem Ausstoß von zwei neuen Kohlekraftwerken oder zwei Millionen zusätzlichen Benzinautos auf den Straßen. Klimaschützer sprechen von einer „Kohlenstoffbombe“. Sie halten der Regierung vor, ihre Entscheidung auf eine fehlerhafte Umweltanalyse zu stützen, welche die Auswirkungen des Projekts auf die Klimakrise herunterspiele.
Warum hat US-Präsident Joe Biden sein Wahlkampfversprechen gebrochen und das „Willow Project“ erlaubt?
Das Weiße Haus argumentiert mit rechtlichen Zwängen, die ConocoPhillips in eine starke Position gebracht hätten. Der Konzern hätte seine Bohrrechte vor Gericht nicht nur durchgesetzt, sondern wäre bei einer Verweigerung der Genehmigung zu Milliarden an Schadensersatzansprüchen berechtigt gewesen. Der Präsident habe stattdessen versucht, das Beste aus der von Vorgänger Trump ererbten Situation zu machen. Das „Willow Project“ sei von fünf auf drei Plattformen verkleinert und zusätzliche Gebiete in Alaska von der künftigen Erschließung ausgenommen worden.
Wie steht Alaska zu dem Projekt?
Die beiden republikanischen Senatoren und eine demokratische Abgeordnete, die den Bundesstaat im Kongress vertreten, haben sich bei Biden für die Genehmigung des „Willow Project“ starkgemacht. Alaska hofft, bis zu neun Milliarden Dollar an Steuern einzunehmen. In der Bauphase verspricht das Projekt rund 2.500 Arbeitsplätze zu schaffen, dauerhaft sollen es 300 Jobs sein. Das „Willow Project“ wird von einer Mehrheit der Bürger unterstützt, die von den Einnahmen aus Rohstoffen leben.
Was sagt die indigene Bevölkerung Alaskas, die am direktesten betroffen ist?
Auch unter den indigenen Einwohnern findet sich große Unterstützung für das „Willow Project“. „Alaska kann nicht die Last unserer globalen Probleme mit der Erderwärmung tragen“, sagt Mary Peltola, eine Ureinwohnerin, die für die Demokraten im Repräsentantenhaus sitzt. So sieht es auch der Präsident der „Voice of the Arctic Iñupiat“, Nagruk Harcharek. Die Erschließung des Erdöls sei wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung. „Ohne das Geld und die Steuereinnahmen wären wir abhängig vom Staat.“ Die unmittelbar betroffenen Menschen in der Siedlung von Nuiqsut sehen das anders. Bürgermeisterin Rosemary Ahtuangaruak beklagte in einem Brief an die Innenministerin Deb Haaland, die selbst indigen ist, dass ihre Kleinstadt „zum Ground Zero der Industrialisierung der Arktis“ werde.

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Wie schätzen Experten das Projekt ein?
Die Umweltverbände lehnen das „Willow Project“ wegen seiner Auswirkungen auf das Klima rundherum ab. „Wir können uns nicht den Weg in eine nachhaltige Zukunft bohren“, erklärte etwa der Sierra Club, der in der Vergangenheit die Politik der Regierung unterstützt hat. „Die negativen Auswirkungen der Entscheidung von Präsident Biden können gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.“ Der Wissenschaftskolumnist der New York Times, David Wallace-Wells, hält die Warnung vor einer „Kohlenstoffbombe“ für übertrieben. Die „ehrliche Antwort“ auf die Frage, wie groß die Auswirkung sei, laute, „nicht null, aber auch nicht katastrophal groß“.
Kann das Projekt noch verhindert werden?
Kritiker mobilisieren seit Wochen unter dem Hashtag #StopWillow auf der Plattform TikTok und in anderen Netzwerken gegen das Projekt. Sie erhalten viel Unterstützung von den ganz jungen der „Generation Z“, also der zwischen 1995 und 2010 zur Welt gekommenen jungen Erwachsenen. Viele von ihnen, gerade jene, die Joe Biden bei der Präsidentschaftswahl unterstützt hatten, sind nun von ihm enttäuscht.
Verschiedene Online-Petitionen, etwa auf Change.org, haben bereits rund fünf Millionen Unterschriften gesammelt. „Earthjustice“ und andere Umweltgruppen versuchen, „Willow“ auf dem Klageweg zu stoppen oder zu verzögern. Der republikanische Senator Dan Sullivan nimmt das Protest-Potenzial ernst. „Das wird die nächste Hürde, die nächste große Schlacht sein.“