Dokumente zum Irak-Krieg veröffentlicht WikiLeaks perfektioniert die Spannung

Frankfurt/Main (RPO). Anfang der Woche hat WikiLeaks-Gründer Julian Assange noch Spekulationen über eine kurz bevorstehende Enthüllungsaktion zum Irak-Krieg heruntergespielt. Nun veröffentlichte die Internet-Plattform knapp 400.000 Militärdokumente. Die US-Regierung reagierte empört, der Irak gelassen. Eins jedoch zeigt der Trubel: WikiLeaks weiß ganz genau, wie man allergrößte Aufmerksamkeit erreicht.

US-Militär vertuschte Folter in Gefängnissen
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Das amerikanische Verteidigungsministerium hatte seit Wochen mit einer ähnlichen Enthüllungsaktion wie der im Juli gerechnet, als WikiLeaks 77.000 Geheimakten zum Afghanistan-Krieg ins Netz stellte, und versetzte eine 120 Mann starke Sondereinheit in höchste Alarmbereitschaft.

Diese untersuchte bereits seit Juli die fraglichen Dokumente auf sensible Informationen. Medienorganisationen wurden zum WikiLeaks-Boykott aufgerufen. Sie sollten sich nicht zum Handlanger von WikiLeaks machen, indem sie "gestohlene" Informationen verbreiteten.

Der Appell verhallte ungehört. Wie beim vorigen Mal arbeitete die Enthüllungsplattform mit internationalen Medien zusammen, um größere Aufmerksamkeit zu erlangen.

WikiLeaks selbst perfektionierte den Spannungsbogen, indem die Plattform nach dem halben Dementi am Montag bereits am Freitag eine Pressekonferenz für den Folgetag ankündigte. Darin hieß es, dass in Kürze weitere 15.000 Afghanistan-Akten veröffentlicht würden, die bislang wegen ihres brisanten Inhalts zurückgehalten worden seien.

US-Regierung: Gefährdung von Informanten

Das dürfte besonders US-Verteidigungsminister Robert Gates interessieren, der zuvor gesagt hatte, die bislang veröffentlichten Afghanistan-Dokumente hätten keine sensiblen Informationen verraten. Dennoch gefährdeten Enthüllungen dieser Art nicht nur amerikanische Interessen, sondern auch das Leben afghanischer Informanten, die in den Dokumenten namentlich genannt worden seien, warnte er.

Auch in der jüngsten Enthüllungsaktion zum Irak-Krieg wurden laut Pentagon die Namen 300 Einheimischer erwähnt, die nun Gefahr liefen, Opfer von Vergeltungsanschlägen zu werden. Ein Vorwurf, den WikiLeaks bei der Pressekonferenz am Samstag so nicht stehen lassen wollte. Die Irak-Dokumente seien entsprechend redigiert worden. Sie enthielten "keine Informationen, die Einzelne schädigen könnten".

Dennoch geben sie Aufschluss über die Taktiken des US-Militärs. Pentagonsprecher Geoff Morrell sagte am Freitag in einem Interview mit dem amerikanischen Fernsehsender CNN, dass die Taliban und andere sich die Informationen zunutze machten, um Schwachstellen der US-Streitkräfte und verbündeter Truppen auszuloten. Geheimdienstinformationen belegten dies. "Nun sind fast eine halbe Million geheime Dokumente öffentlich gemacht werden, die unsere Feinde eindeutig gegen uns verwenden werden."

Assange hingegen verteidigt sein Tun. So heißt es in der Eigendarstellung von WikiLeaks: "Wir glauben, dass Transparenz im Regierungshandeln die Korruption reduziert und zu einer besseren Regierung und zu stärkeren Demokratien führt." In einem Exklusivinterview mit CNN sagte er, es gebe "zwingende Beweise für Kriegsverbrechen des von den USA geführten Militärbündnisses und der irakischen Regierung".

Offenbar viele tote Zivilisten

Brisant allein ist die Information, dass offenbar mehr als 60 Prozent der getöteten Menschen im Berichtszeitraum Zivilisten waren. Die NATO hält sich mit derartigen "body counts" wohlweislich zurück. Den veröffentlichten 391.832 geheimen Feldberichten von US-Soldaten zufolge jedoch starben in der Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2009 insgesamt 104.111 Menschen, darunter 66.081 Zivilisten.

Demnach fielen dem Krieg im Berichtszeitraum, wobei für Mai 2004 und März 2009 keine Zahlen vorliegen, täglich 31 Menschen aus der Zivilbevölkerung zum Opfer. Damit sei der Irak-Krieg verheerender als der in Afghanistan, schrieb WikiLeaks auf seiner Website, die am Samstag offenbar wegen des großen Ansturms zwischenzeitlich zusammenbrach.

Der britischen Antikriegsgruppe Iraq Body Count zufolge sind nach Auswertung der WikiLeaks-Dokumente von Beginn des Krieges bis heute bis zu 15.000 mehr Iraker dem Krieg zum Opfer gefallen, als bislang angegeben. Demnach könnte die Zahl der bisher im Irak-Krieg getöteten Zivilisten bei 122.000 liegen.

Nähere Angaben zum Ursprung der Geheimakten machte WikiLeaks wie gewohnt nicht. Ob WikiLeaks die Urheber der veröffentlichten Informationen immer kennt, ist fraglich. Laut Eigendarstellung ist es möglich, Daten anonym auf deren Webseite hoch zu laden. WikiLeaks sagt, es prüfe diese vor der Veröffentlichung. Welche Standards dabei gelten, ist aber nicht bekannt.

Assange sieht sich als "Blitzableiter"

Auch wer genau hinter der Organisation steht, ist bis heute unklar. Öffentlich bekannt ist lediglich der 39-jährige Australier Assange, gegen den derzeit die schwedische Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Vergewaltigung und sexuelle Belästigung von zwei Frauen ermittelt. Assange wies die Vorwürfe zurück. Er sieht sich als "Blitzableiter" der Plattform, gegen den sich alle Angriffe richten.

Dass es interne Streitigkeiten bei WikiLeaks gibt, ist dennoch an die Öffentlichkeit gedrungen. Der ehemalige deutsche Pressesprecher der Plattform, der als Pseudonym den Namen "Daniel Schmitt" benutzte, richtig aber Daniel Domscheit-Berg heißt, verließ das Projekt, weil ihm offenbar Assanges Führungsstil nicht passte. Weit gefehlt, vielmehr habe sich Domscheit-Berg danebenbenommen und sei daher von seinen Aufgaben enthoben worden, sagte Assange dem Sender CNN.

(apd/das)
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