Amerikaner asiatischer Herkunft Im Visier

Die Bluttat in Atlanta ist nur ein Indiz für wachsende Gewalt gegenüber amerikanischen Bürgern mit asiatischen Wurzeln. Die denken mit Schaudern an ein dunkles Kapitel der US-Geschichte.

„Asiaten sind kein Virus – Rassismus schon“ - Demonstrant in Los Angeles.

„Asiaten sind kein Virus – Rassismus schon“ - Demonstrant in Los Angeles.

Foto: AP/Damian Dovarganes

Robert Aaron Long hat offenbar regelmäßig Massagesalons besucht. Salons, in denen ein großer Teil der Kunden „Massagen mit Happy End“ bucht, ein Euphemismus für Sex. Am Montag dieser Woche hatte er mit seinen Eltern deswegen einen so heftigen Streit, dass es mit seinem Rausschmiss endete. Folgt man den Ermittlern, ging es um Sexsucht. Darum, dass auf seinem Computer stundenlang Pornofilme liefen und er viel Geld bei den oben beschriebenen Anbietern ließ. Am Dienstagvormittag kaufte er sich eine Pistole. Am späten Nachmittag fuhr er nach Acworth, in einen Vorort von Atlanta, parkte sein Auto vor „Young’s Asian Massage“, wartete eine Weile, ging in den Laden und richtete ein Blutbad an.

Den Schüssen von Acworth folgten am selben Tag weitere, an der Piedmont Road, im Rotlichtviertel Atlantas. Die schockierende Bilanz: In drei Salons hat Long acht Menschen getötet. Sechs von ihnen sind Frauen asiatischer Abstammung, was zwangsläufig die Frage aufwirft, ob er aus rassistischen Motiven handelte. Ein Sprecher der Polizei im Cherokee County, dem Landkreis, in dem der 21-Jährige seinen Mordfeldzug begann, hat sie auf eine Weise verneint, die merkwürdig salopp wirkte. Der Tatverdächtige, sagte er, habe einen „schlechten Tag“ gehabt und in den Salons eine Versuchung gesehen, „die er eliminieren wollte“. Rassistische Ressentiments, so der Sprecher, seien nicht im Spiel gewesen.

Falls die Worte als Beruhigung gedacht waren, so haben sie ihre Wirkung fehlt. Amerikaner mit familiären Wurzeln in China, Japan oder Korea sehen einen Amoklauf, der auf besonders brutale Weise bestätigt, was sie seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie an Erfahrungen machen mussten. Vorurteile, die man für überwunden gehalten hatte, wurden aus den Denkschubladen geholt. In zigtausenden Fällen führte es zu physischen und noch öfter zu verbalen Attacken. Die Zielscheiben waren oft Frauen.

Das Center for the Study of Hate and Extremism, ein Institut der kalifornischen Universität San Bernardino, hat es mit Zahlen belegt. Demnach war 2020 im Vergleich zum Vorjahr zwar einen Rückgang von Hassverbrechen um sieben Prozent zu verzeichnen, gegenüber Menschen asiatischer Herkunft sind „hate crimes“ dagegen um nahezu 150 Prozent gestiegen. Ein Netzwerk von Bürgerrechtlern, die Asian American Pacific Islander Civil Rights Organization (AAPI), hat auf den Tag genau vor zwölf Monaten ein Internet-Portal eingerichtet, auf dem Betroffene schildern können, was ihnen widerfuhr. Bis heute sind dort rund viertausend Berichte eingegangen. Da ist die Frau, die andere Kunden bittet, sich in der Warteschlange an der Supermarktkasse doch bitte an Abstandsregeln zu halten. Und sich anhören muss, wie sie es wagen könne, die Leute zu belehren, wenn „ihr Chinesen uns das Virus bringt“. Da sind Chauffeure des Fahrdiensts Uber, die sich weigern, Passagiere einsteigen zu lassen, sobald sie deren ostasiatische Gesichtszüge sehen. Da sind Beleidigungen, niedergeschlagene Passanten und Menschen, die angespuckt werden.

Und was man ihnen melde, betonen AAPI-Juristen, sei nur ein Bruchteil dessen, was tatsächlich geschehe.

Kongressabgeordnete mit asiatischen Vorfahren sprechen von alten Feindbildern, die geradezu reflexartig noch immer das Denken beeinflussen. Sie erinnern an den „Chinese Exclusion Act“, ein Gesetz, mit dem die USA 1882 einen Einwanderungsstopp für Bürger Chinas verhängten, der bis 1943 in Kraft blieb. Oder an die Internierungslager des Zweiten Weltkrieges, in denen 120.000 Amerikaner eingesperrt wurden, Migranten aus Japan beziehungsweise deren Nachkommen.

Der Demokrat Ted Lieu, in Taiwan geboren, fordert seine republikanischen Kollegen auf, endlich auf das feindselige Vokabular zu verzichten, mit dem Donald Trump Emotionen geschürt hatte. Ein ums andere Mal sprach der damalige Präsident vom „China-Virus“, vom „Wuhan-Virus“, manchmal sogar, vor prompt applaudierenden Anhängern, von „Kung Flu“. Als das amerikanische Repräsentantenhaus am Donnerstag über den Terror in Atlanta debattierte, wiederholte sie Lieu umso dringlicher, seine Mahnung, endlich zurückzukehren zu einer sachlichen Sprache. „Bitte hören Sie auf, rassistische Begriffe zu benutzen“, appellierte er an konservative Kollegen, die sich nach wie vor an Trumps Wortwahl orientieren. „Und um es deutlich zu sagen: Ich bin kein Virus.“

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