Wahlen in Russland Wer jetzt Kritik übt, lebt gefährlich

Moskau · Bei den Wahlen in Russland fährt die Regierung einen drakonischen Kurs gegen politisch unbequeme Gegner. Wer Kritik übt, muss mit Schikanen rechnen. Unabhängige Websites klagen über Cyber-Attacken. Die Polizei griff gegen Oppositionelle auf dem Roten Platz durch. Der deutsche Russlandbeauftragte spricht von stalinistischen Methoden.

 Russische Polizisten führen in Moskau einen Regime-Kritiker ab.

Russische Polizisten führen in Moskau einen Regime-Kritiker ab.

Foto: dapd, Misha Japaridze

An diesem Sonntag sind die Russen aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Der Sieger steht längst fest: die Partei Einiges Russland von Regierungschef Wladimir Putin. Putin, der bereits von 2000 bis 2008 Staatschef war, will sich im März erneut zum Präsidenten wählen lassen, während Präsident Dmitri Medwedew dann Regierungschef werden soll.

Die Wahlbeteiligung lag gegen Mittag bei 25 Prozent.

Umfragen zufolge stand ein klarer Sieg der Regierungspartei Einiges Russland fest. Sie musste aber mit einem Verlust ihrer bisherigen Zweidrittelmehrheit rechnen, die für Verfassungsänderungen erforderlich ist. Von den übrigen Gruppierungen konnten nur die Kommunistische Partei, die ultranationalistische Liberaldemokratische Partei und die Partei Gerechtes Russland damit rechnen, im neuen Unterhaus vertreten sein.

Die Tage vor der Wahl waren geprägt von Beschwerden über Schikanen gegen Kremlkritiker und Wahlbeobachter. Mehrere regierungskritische Medien beklagten Cyber-Angriffe auf ihre Websites. Der Chefredakteur des Radiosenders Moskauer Echo, Alexej Wenediktow, bezeichnete einen entsprechenden Hackerangriff als "eindeutigen Versuch, die Veröffentlichung von Informationen über Wahlfälschung zu verhindern".

Cyber-Attacken

Mindestens fünf unabhängige Online-Portale waren am Sonntag nicht zugänglich: Außer der Website des Moskauer Echos waren die Seiten der Tageszeitung "Kommersant", der Wochenzeitung "New Times", der Wahlbeobachtergruppe Golos sowie die von ihr zusammen mit der Internetzeitung gazeta.ru erstellte Seite betroffen, die Verstöße gegen das russische Wahlgesetz öffentlich machte.

Die Golos-Leiterin Lilija Schibanowa wurde am Samstag nach eigenen Angaben an einem Moskauer Flughafen stundenlang festgehalten. Zollbeamte am Flughafen Scheremetjewo hätten ihren Laptop unter dem Vorwand beschlagnahmt, er enthalte illegale Software, sagte Schibanowa der Nachrichtenagentur AFP. Sie fürchte, dass etwas darauf hochgeladen werde, damit dann ein Strafverfahren gegen sie eröffnet werden könne.

Angriffe auf Wahl-Beobachter

Auch Oppositionsparteien beklagten Angriffe gegen ihre Beobachter. Die Bewegung Das andere Russland berichtete von maskierten Beamten, die am Freitagabend in Wohnungen von Moskauer Aktivisten eingedrungen seien und neun von ihnen festgenommen hätten. Der deutsche Russlandbeauftragte und Unionsfraktionsvize Andreas Schockenhoff sprach angesichts des Drucks auf die Wahlbeobachter von "stalinistischen Methoden".

In der Nähe des Kreml waren am Sonntag hunderte Polizisten postiert. Als Aktivisten einer linken Gruppe auf dem Roten Platz demonstrieren wollten, wurden sie in Polizeifahrzeuge gesperrt. Die Demonstranten der Organisation Linke Front wurden rasch von Polizisten auseinander getrieben, einige von ihnen wurden festgenommen.

Brandsatz in Briansk

In der Stadt Briansk im Westen des Landes warf ein unbekannter Angreifer einen Brandsatz in das Fenster eines Büros der Regierungspartei Einiges Russland. Niemand wurde verletzt und die Flammen wurden schnell gelöscht, wie die Polizei erklärte. In Russland waren am Sonntag 110 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, über die Zusammensetzung des neuen Parlaments zu entscheiden.

Um 18 Uhr schließen die letzten Wahllokale

Rund 110 Millionen Wahlberechtigte waren bei den Wahlen aufgerufen, die 450 Abgeordneten der Duma, des russischen Unterhauses, zu bestimmen. Die Wahl über neun Zeitzonen begann mit der Öffnung der Wahllokale im äußersten Osten Russlands am Samstag um 21.00 Uhr MEZ. Sie soll nach 21 Stunden mit der Schließung der letzten Wahllokale um 18 Uhr MEZ in Kaliningrad enden.

Die Parlamentswahl ist ein erster Schritt zur geplanten neuen Machtverteilung in Moskau. Putin räumte den Posten des Staatschefs für seinen Zögling Medwedew, weil er nach zwei Mandaten in Folge gemäß der Verfassung zunächst nicht noch einmal kandidieren durfte. Wenn Putin wie erwartet am 4. März erneut zum Präsidenten gewählt wird, könnte er wieder zwei Amtszeiten absolvieren - diesmal jeweils für sechs Jahre.

(AFP/dapd)
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