Krim-Krise Wer ist Russlands nächstes Ziel in Osteuropa?

Bukarest · Westliche Hilfeversprechen, die gebrochen wurden. Eine tragische Geschichte russischer Invasionen, die Jahrhunderte zurückreicht. Die schmerzliche Erkenntnis, dass Konflikte in dieser Region ansteckend sind. Es liegt an einer ganzen Reihe von Faktoren, dass osteuropäische Nationen die Entwicklungen um die Ukraine mit großer Anspannung verfolgen.

Von politischen Führungspersonen bis zum "Mann auf der Straße": Überall lässt sich Besorgnis, ja Angst spüren, dass Russland nach mehr Gelegenheiten für Vorstöße in seinen ehemaligen imperialen Hinterhof Ausschau halten könnte. Schließlich hat der Westen Moskau bei dessen Vordringen auf die Krim bisher nicht zügeln können. Und so fragen sich denn viele Menschen jetzt: Wer ist der Nächste, den es trifft?

"Es herrscht allem voran Furcht..., dass es eine Ansteckung geben könnte", sagte der rumänische Außenminister Titus Corlatean in einem Interview der Nachrichtenagentur AP. "Dieser Gedanke beschäftigt Rumänien äußerst stark."

Besonders groß ist die Sorge, dass Kremlchef Wladimir Putin versuchen könnte, seine Finger in Richtung Moldau auszustrecken, wo Russland bereits den abtrünnigen Landesteil Transnistrien kontrolliert. Es ist einer von mehreren "eingefrorenen Konflikten" in Osteuropa - zu denen, so sagen viele im Westen resigniert - jetzt wohl auch die Krim gehört.

Krim-Wahlkampf mit Nazi-Symbolen
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"Wir haben Angst, dass der Konflikt in der Ukraine uns hier erreicht", sagt Victor Cotruta, ein Beamter in der Hauptstadt Chisinau. "Russische Truppen könnten Moldau in einem einzigen Tag einnehmen."

Viele in der Region sind sich dessen bewusst, dass Polen militärische Hilfegarantien von Frankreich und Großbritannien im Fall von Nazi-Übergriffen hatte. Aber als Hitler 1939 zur Invasion blies, schickten beide trotz ihrer Kriegserklärungen keine Truppen ins Land.

Die Erinnerung daran nährt Skepsis, dass die Nato im Fall einer russischen Aggression ihren östlichen Verbündeten wirklich zur Hilfe kommen würde. "Polens Geschichte zeigt, dass wir uns nicht auf andere verlassen sollten", sagte denn auch der Schriftsteller Jaroslaw Szulski der AP.

Solche Gefühle gibt es vor allem in den Baltikum-Staaten, die der Nato und Europäischen Union angehören. Estland, Lettland und Litauen haben einen beträchtlichen Anteil an russischen Einwohnern, und es kommt immer wieder vor, dass Moskau die Notwendigkeit betont, diese Menschen zu "beschützen". Das ist genau das Schlüsselwort, das Putin bei seiner Rechtfertigung der Krim-Invasion benutzte.

Der Griff nach dem Baltikum

Moskau beschuldigt Estland und Lettland routinemäßig, die russischsprachigen Minderheiten zu diskriminieren. Wie stark die Spannungen zwischen Russland und Estland sind, zeigte sich 2007, als Proteste russischstämmiger Einwohner gegen die Verlegung eines Kriegsdenkmals aus der Sowjetära in Straßenschlachten eskalierten. Viele Esten werfen Moskau, das ethnischen Russen im Baltikum Pässe ausgestellt hat, ein Schüren der Proteste vor.

Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite äußerte zwar kürzlich bei einem EU-Dringlichkeitsgipfel zur Ukraine Vertrauen in die von den USA angeführte nordatlantische Allianz. "Gott sei Dank!", sagte sie. "Gott sei Dank, dass wir schon seit zehn Jahren in der Nato sind." Aber auch sie zeigte sich zugleich schwer besorgt über das russische Vorgehen: "Russland versucht heute, die Grenzen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg neu festzulegen."

Die USA haben es anscheinend mitbekommen, dass in osteuropäischen Bündnisländern Skepsis über die Zuverlässigkeit der Nato herrscht. So gab das Weiße Haus am Freitag bekannt, dass Vizepräsident Joe Biden nächste Woche unter anderem nach Warschau und Vilnius reisen wird.
Hauptgesprächsthema: die Ukraine-Krise.

Insgesamt spielen geschichtliche Erfahrungen bei den Gefühlen vieler Osteuropäer eine große Rolle. So ziehen sie eine Parallele zwischen der Krim-Invasion und der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als Fahrzeuge mit sowjetischen Truppen durch Städte und Dörfer rollten, diese über Jahrzehnte hinweg der Moskauer Herrschaft unterwarfen.

"Natürlich gibt es eine mögliche Bedrohung für uns in der Zukunft", sagt Katerina Zapadlova, eine Serviererin in einem Prager Café, mit einem bitteren Lächeln. Sie erinnert sich an 1968, als der Kreml Truppen in die Tschechoslowakei schickte, um dem Prager Frühling ein Ende zu setzen. "Ich habe Angst, denn ich weiß, was sie uns in der Vergangenheit angetan haben."

Aber manche Experten halten diese Furcht für übertrieben. "Ich würde kurzfristig keine Angst vor einem russischen Übergriff haben", meint etwa Michail Koran vom Prager Institut für Internationale Beziehungen. Er sei hundertprozentig sicher, dass die Nato ihren östlichen Verbündeten im Fall der Fälle Beistand leisten würde.

Auch Rumäniens Außenminister Corlatean fühlt sich durch "positive Schritte" der Nato in der Ukraine-Krise ermutigt. Als Beispiel nennt er die Entsendung von AWACS-Aufklärungsmaschinen zu Beobachtungsflügen über Polen und Rumänien.

Aber auch er drückt vor dem Hintergrund der Geschichte Ängste aus, erinnert an das Blutbad, das entstand, als der damalige bedrängte Diktator Nicolae Ceausescu Truppen befahl, auf Demonstranten zu schießen. "Rumänen haben in den vergangenen Wochen alles genau verfolgt, was geschehen ist, vor allem die dramatischen Ereignisse in Kiew", sagt Corlatean. "Es erinnert uns an die Revolution vom Dezember 1989."

(ap)
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