Richter stellt weitere Urteile infrage Verbot von Verhütung und gleichgeschlechtlicher Ehe in den USA möglich

Washington · US-Verfassungsrichter Clarence Thomas hat angedeutet, dass weitere Grundsatzurteile zu überprüfen wären. In dieser Woche haben die Richter des Supreme Court mehrmals tief in die Rechte der Bürger eingegriffen.

 Abtreibungsrechtler reagieren auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in Washington, Roe v. Wade zu kippen.

Abtreibungsrechtler reagieren auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in Washington, Roe v. Wade zu kippen.

Foto: AP/Jacquelyn Martin

Nachdem Anfang Mai ein Entwurf zur Abschaffung des Grundsatzurteils gegen Abtreibung durchgestochen wurde, kam das tatsächliche Urteil des Höchsten Verfassungsgerichts der USA, dem Supreme Court, am Freitag nicht mehr wirklich überraschend. Der (zustimmenden) Urteilsbegründung von Clarence Thomas, einem der sechs konservativen Richter, ist zu entnehmen, dass er nun noch weitere Urteile überprüfen lassen will.

Da geht es etwa um das Urteil Griswold v. Connecticut (1965). Mit dieser Entscheidung in letzter Instanz hatten damals die Richter des Supreme Court Ehepaaren ein Recht auf Privatheit in der Ehe zugestanden - einschließlich des Rechts auf den Gebrauch von Verhütungsmitteln. Dieses Urteil floss auch in die jetzt ausgehebelte Grundsatzentscheidung zu Abtreibung (Roe vs. Wade) von 1973 ein.

Ebenfalls sprach Richter Thomas über das Urteil Lawrence v. Texas von 2003, das gleichgeschlechtlichen Paaren eine intime Beziehung erlaubt. 2015 öffnete der Supreme Court überdies die Ehe für homosexuelle Paare (Obergefell v. Hodges). In republikanischen und evangelikalen Kreisen, deren Schnittmenge sehr groß ist, wird auch dieses Urteil zunehmend infrage gestellt. Clarence Thomas hat das jetzt höchstrichterlich aufgenommen.

Das heißt also, wenn entsprechende Urteile zu Verhütung oder gleichgeschlechtlichen Beziehungen bzw. Ehe, vor dem Supreme Court auf ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen angefochten würden, wäre der konservative Richter nicht nur dafür, diese Fälle anzunehmen; er würde frühere Urteile sogar aufheben wollen, wie er in seiner Begründung gegen Roe v. Wade ankündigte.

Nicht angesprochen hat Thomas das Urteil Loving v. Virginia (1967); doch jüngst haben sich sogar einige Republikaner dazu hinreißen lassen, selbst diese Entscheidung anzuzweifeln. Damals entschied der Supreme Court einstimmig, dass Menschen unterschiedlicher Hautfarbe nicht die Ehe verboten werden dürfe.

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Foto: dpa/Amanda Andrade-Rhoades

Clarence Thomas ist ein Afroamerikaner, der mit einer weißen Frau verheiratet ist. Seine Frau Ginni kam jüngst in die Schlagzeilen, weil sie in enger Verbindung zum früheren US-Präsidenten Donald Trump stand, als dieser vor und am 6. Januar 2021 bei der Feststellung der Stimmen des Electoral College den Wahlausgang anzweifelte. Ob und inwiefern Trump gegen den Staat zum Aufstand aufrief, ist derzeit Gegenstand einer Untersuchungskommission. In diesem Zusammenhang tauchten auch Textnachrichten von Ginni Thomas an Trump auf.

Ende Juni geht das höchste Verfassungsgericht in die Sommerpause. In diesen letzten Tagen haben die Richter entlang ihrer Berufungen - sechs konservative gegen drei liberale Richter - verschiedene, sehr weitreichende Urteile veröffentlicht, die tief in die Rechte der US-Bürger eingreifen.

Während im US-Senat überraschend eine Mehrheit für eine erste vorsichtige Regelung zur Eingrenzung des Schusswaffenbesitzes möglich wurde, nachdem in den vergangenen Monaten mehrere Amokläufe mit Waffen die Nation erschüttert hatten, haben die US-Verfassungsrichter nun noch einmal den zweiten Zusatz zur Verfassung bestätigt. Dieser erlaubt das Tragen von Waffen außerhalb des eigenen Hauses. Mit dieser Entscheidung vom Donnerstag wurde ein entsprechendes Gesetz des Bundesstaates New York hinfällig.

Die Verfassungsrichter äußerten sich am Ende ihres Gerichtsjahres auch zum Grundsatzurteil Miranda v. Arizona zum Aussageverweigerungsrecht - und schränkten die Rechte der Bürger gegenüber der Polizei ein. Bislang mussten Bürger bei der Festnahme über ihre Rechte („Miranda Rights“) belehrt werden; sonst konnten sie später klagen. Das ist in dieser Form jetzt nicht mehr möglich.

Auch veröffentlichten die Richter ein Urteil zur Trennung von Staat und Kirche. „Eine Mauer der Trennung zwischen Kirche und Staat“: Das hatte Thomas Jefferson, einer der Gründerväter der USA, als festen Grundsatz etabliert, an dem nie gerüttelt wurde; seit einiger Zeit aber doch. In dieser Woche ging es wieder mal um die schon oft diskutierte Frage, ob der Staat oder die Bundesstaaten Geld für Schulen zur Verfügung stellen müssen, die von einer Glaubensgemeinschaft getragen werden oder einen Religionsunterricht anbieten. Die Richter beantworteten das nun positiv.

Die Richter am Supreme Court haben ihr Gerichtsjahr also mit gleich mehreren Grundsatzurteilen beendet - von denen die Aufhebung des Abtreibungsurteils mit Sicherheit das meiste Aufsehen erregt. Doch Richter Clarence Thomas hat schon angedeutet, wie weit das konservativ dominierte Verfassungsgericht in die privaten Rechte der Bürger einzugreifen bereit sein könnte.

(chal/kna)
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