Franzosen gehen an die Urnen Was die Parlamentswahlen für uns bedeuten

Paris · Wenn am Sonntag die 45 Millionen wahlberechtigten Franzosen ihre Abgeordneten für die Nationalversammlung wählen, werden sicherlich alle politischen Parteien Deutschlands ein Auge auf Paris haben: Gewinne und Verluste ihrer Schwesterparteien im Nachbarland sind auch hierzulande bedeutsam.

Mai 2012: Frankreichs neuer Präsident Francois Hollande wird vereidigt
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Mai 2012: Frankreichs neuer Präsident Francois Hollande wird vereidigt

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Mit der Ernennung des Sozialisten Francois Hollande zum Präsidenten im vergangenen Mai brach auch für Bundeskanzlerin Angela Merkel eine neue europäische Zeit an: Das konservative Duo mit ihrem Parteifreund Nicolas Sarkozy, das über mehrere Jahre lang die Krisenpolitik in Europa bestimmte, war über Nacht Geschichte.

Seitdem Hollande auf der internationalen Bühne auftritt, ist Merkel mit ihrer eisernen Sparpolitik relativ alleine. Sollte Hollandes Politik durch eine Mehrheit im Pariser Parlament erneut bestätigt werden, ist der Sozialist auch international gestärkt.

Und mit seiner Regierung sind es auch die sozialistischen Ideen, die an die Macht kommen. Schon jetzt hat es Merkel mit einer sehr viel selbstbewussteren Opposition zu tun: Mit zuvor nicht gezeigter Härte kritisieren die Sozialdemokraten ihre europäische Sparpolitik und verlangen wie Hollande ein Wachstumspaket mit umfangreichen staatlichen Investitionen. Solche Forderungen waren von der SPD lange Zeit nicht zu hören, sie hat im vergangenen Jahr brav den Fiskalpakt und die europäische Schuldenpolitik der Bundeskanzlerin abgenickt. Nun hat auch der europäische Rückenwind sozialdemokratischer Ideen dafür gesorgt, dass die Liberalen in der vergangenen Woche einer Finanztransaktionssteuer zugestimmt haben.

Der Wind hat sich gedreht: Noch vor wenigen Monaten lobte Frankreichs konservativer Ex-Präsident Sarkozy die deutsche Bundesregierung. Merkel war damals überaus beliebt in Frankreich, sie galt als durchsetzungsfähig und seriös. Inzwischen nutzt die sozialistische Regierung jede Gelegenheit, um ihre Eigenständigkeit zu betonen. Und nun ist es wiederum an der deutschen Opposition aus Grünen, SPD und Linken, auf das Vorbild Frankreich zu verweisen.

So werden auch Hollandes innenpolitische Entscheidungen Druck auf Berlin ausüben. Zum Beispiel in der Frage des Mindestlohns. Frankreich hat im Gegensatz zu Deutschland eine allgemein verbindliche Lohnuntergrenze von 9,22 Euro pro Stunde. Das liegt weit über dem Tarif, den Merkel und vor allem die FDP sich vorstellen können - und Hollande will den sogenannten SMIC noch weiter anheben. Dies wird sicherlich der europäischen Debatte, aber auch den Forderungen der deutschen Opposition nach einem Mindestlohn Vorschub leisten.

Hollandes Reform könnte deutsche Gehälterdebatte anheizen

Hollandes Reform, Managerlöhne zu begrenzen, könnte auch die deutsche Gehälterdebatte anheizen. Frankreich duldet künftig in Unternehmen mit staatlichen Beteiligungen keine größeren Gehaltsunterschiede als das Zwanzigfache. Der Vorstandschef darf also maximal 20 Mal soviel verdienen wie der Mindestlohn beträgt, das entspricht zurzeit rund 365.000 Euro pro Jahr. Davon betroffen sind Firmen wie die französische Post, der Energieriese EDF oder auch die Pariser Flughäfen. Ihre Manager verdienen bislang das bis zu 300-fache des Mindestlohnes. Schließlich würde der französische Post-Chef Jean-Paul Bailly nur noch knapp ein Zwanzigstel seines deutschen Pendants, dem Post-Chef Frank Appel, verdienen. Appel bezog 2011 rund 5,2 Millionen Euro.

Eine Entscheidung von Hollande hingegen wird in Deutschland parteiübergreifend zu akzeptieren sein: Er will das grenznahe Atomkraftwerk Fessenheim schließen. Er ist nur einer von 59 Atommeilern im Nachbarland, aber er bedeutet den symbolischen Anfang eines verspäteten Umstiegs der Franzosen auf Wasserkraft und erneuerbare Energien. Noch in diesem Jahr soll Fessenheim vom Netz gehen. Und Merkel kann sich mit ihrem schon im Frühjahr 2011 verkündeten Atomausstieg gebührend als Vorreiterin feiern lassen.

Ohne ihren Entschluss würde Frankreich wahrscheinlich wie bislang auch ungerührt an der Nuklearenergie festhalten. Beide Länder sind eben gerade in diesen Krisenzeiten besonders eng miteinander verwoben. Und der französische Wählerwille wird am Sonntag und darüber hinaus erneut die Berliner Agenda aufmischen.

(APD)
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