„Hau ab, Du armer Depp“ Warum Sarkozy das Sprechen verlernt

Paris (RPO). Eigentlich ist Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ein Mann der gepflegten Oberklasse. Doch in der letzten Zeit verlernt er offenbar seine guten Manieren. Er spricht, als ob er geradewegs aus der Gosse käme. Die Entgleisungen sind allerdings pure Strategie. Gerade in Krisenzeiten möchte der Präsident bei der breiten Masse Gehör finden.

Carla Bruni: Offizielles Kuscheln mit Sarkozy
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An dieser Stelle muss einmal über Sprache geredet werden. Ist sie doch die wichtigste Form, um uns mitzuteilen. Aber ach, es ist schlecht bestellt um die Sprache. Verhunzt wird sie, und das seit Jahren. Was eine Krise ist, darüber konnte sie uns schon Bände erzählen, bevor Banken zusammenbrachen.

Nicht einmal Staatschefs sind vor diesem Niedergang gefeit, wie uns das Beispiel Frankreichs lehrt. Dort, im Land der Voltaires und Molières, der Dantons und Montesquieus, die Sprache zur Hochkultur brachten, beschäftigen sich Stäbe von Sprach- und Kommunikationswissenschaftlern mit der Frage, was um Himmels Willen in Präsident Nicolas Sarkozy gefahren ist.

Der Mann, Anwalt von Beruf und lange Zeit im vornehmen Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine als Bürgermeister tätig, kann so geschliffene Sätze formulieren, als halte er ein Plädoyer. Immer öfter aber redet er, als käme er geradewegs aus der Gosse. Sein "Hau ab, Du armer Depp", das er voriges Jahr einem Besucher der Landwirtschaftsausstellung entgegen schleuderte, der ihn nicht grüßen wollte, ist ja inzwischen zu einem geflügelten Wort geworden.

Aber Sprachpuristen nehmen mit Schaudern zur Kenntnis, dass er neuerdings auch zu Hauf grammatikalische Fehler macht. "Molière muss sich im Grab umdrehen", jammerte kürzlich die Zeitung "Le Parisien".

Leidet Sarkozy an Amnesie? Keine Sorge. Er ist vielmehr ein kühl kalkulierender Stratege, der seine Sprache der seiner Umgebung anpasst. Im Land, das Brüderlichkeit als eines der Verfassungsprinzipien nennt, verbrüdert der Präsident sich eben im Zweifelsfall via gebräuchlichen, aber falschen Verneinungsformen und Zeitfolgen. "Er kann reden. Und wie jeder Politiker setzt er sich zum Ziel, seine Zuhörer zu überzeugen", urteilt Pierre Rézeau, Ko-Autor des Wörterbuchs des gesprochenen Französisch.

Ob es hilft, die erbosten Arbeiter zu beruhigen, die aus Sorge um ihre Jobs — ebenfalls wenig vornehm und unter Umgehung aller Regeln — Manager in Geiselhaft nehmen sowie zu Hunderttausenden gegen den Präsidenten und seine Regierung demonstrieren? Zweifel sind erlaubt.

Die Philosophin Barbara Cassin wirft dem Präsidenten vielmehr vor, er unterminiere mit seinem Straßenslang die Demokratie. Lehrer klagen, sie könnten ihre Schüler nicht mehr zurechtweisen, da diese dann antworteten: Wieso, Sarkozy macht das doch auch? Die Autorität geht flöten, die der Sprache und die derer, die sie pflegen wollen. In diesem Sinne: Gehaben Sie sich wohl!

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