USA vor der Zahlungsunfähigkeit Warum Obama den Sturz von der Klippe riskiert

Washington · "Unglaublich", stöhnte ein CNN-Moderator. Wie ein Zug mit defekten Bremsen rasen die USA auf die Fiskalklippe zu. Ist bis Montag keine Einigung im Etatstreit unter Dach und Fach, droht der Absturz in die Rezession. Doch Präsident Obama zockt mit Kalkül.

Obamas erste Pressekonferenz nach seiner Wiederwahl
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Die Zweifel nehmen überhand. "Zum ersten Mal glaube ich, dass wir wohl eher über die Fiskalklippe stürzen werden, als es nicht zu tun", sagte der parteilose Senator Joe Lieberman. Harry Reid, demokratischer Mehrheitsführers im Senat, zeigte sich ebenfalls skeptisch:"Das ist die Richtung, in die wir wohl steuern". Auch der republikanische Senator John Barrasso glaubt nicht an eine Einigung vor Neujahr.

Am Freitag unternahm Obama einen letzter Anlauf. Wie die New York Times berichtet lud er Spitzenvertreter aus dem Kongress ins Weiße Haus, um kurz vor Ablauf des Countdowns doch noch einen Kompromiss zu finden. Doch ob Hoffnungen begründet sind, bleibt fraglich. Weder gibt es Hinweise, dass Demokraten und Republikaner aufeinander zugehen, noch ist etwas von einem neuen Kompromissvorschlag aus dem Weißen Haus bekannt.

Horrorszenarien

Sollte es keine Einigung geben, treten automatisch Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen in Kraft - die USA könnten erneut in eine Rezession stürzen. IWF und amerikanische Institute warnen vor gravierenden Folgen.

Der unabhängige Rechnungshof des Kongresses hat ausgerechnet, dass die Kombination aus Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen der amerikanischen Wirtschaft rund 500 Milliarden Dollar entziehen und diese im ersten Halbjahr 2013 zurück in die Rezession stürzen würde. Damit verbunden stiege die Arbeitslosigkeit auf 9,1 Prozent.

Allenfalls eine "kleine Lösung" ist noch denkbar

Hauptstreitpunkt sind die geplanten Steuererhöhungen für Reiche. Obama will, dass private Haushalte mit einem Jahreseinkommen ab 250.000 Dollar (190.000 Euro), stärker zur Kasse gebeten werden. Steuererleichterungen für die Mittelschicht will Obama dagegen beibehalten. Der republikanische Mehrheitsführer John Boehner hatte zuletzt eine Grenze von einer Million Dollar Jahreseinkommen für Steuererhöhungen angeboten. Doch nicht einmal dafür hat er seine Partei hinter sich.

Wenn überhaupt, scheint bereits seit Tagen nur noch eine "kleine Lösung" denkbar. Diese bestünde aus einer Beibehaltung der niedrigen Steuersätze für Bezieher von Einkommen unter 250.000 Dollar. Gleichzeitig würden die Leistungen für Langzeitarbeitslose verlängert und die Haushaltskürzungen verschoben. Die Zustimmung des Kongresses vorausgesetzt, könnte der Rest zusammen mit der anstehenden Erhöhung der Neuverschuldungsgrenze im Januar und Februar verhandelt werden.

Obama würde politisch profitieren

Präsident Obama könnte damit leben. Denn politisch würde er von dem Sturz von der Klippe profitieren. Den Schwarzen Peter bekämen aller Voraussicht nach die untereinander zerstrittenen Republikaner. Die meisten Amerikaner haben von dem politischen Stellungskrieg in Washington die Nase voll. Nach einer Erhebung des Fernsehsenders CBS, wünschen sich 81 Prozent einen Kompromiss zwischen Weißem Haus und Republikanern und kein starres Festhalten an Positionen. Selbst eine Mehrheit der republikanischen und parteilosen Wähler sieht das der Umfrage zufolge so. 47 Prozent der Befragten geben den Republikanern die Schuld an der verfahrenen Lage, nur 25 Prozent den Demokraten und 21 Prozent stecken beiden den Schwarzen Peter zu.

Die radikal-konservativen Abgeordneten der Tea-Party-Bewegung haben sich jedoch tief eingegraben. Sie lehnen Steuererhöhungen grundsätzlich ab. Teufelszeug. Wegen ihrer Anti-Steuer-Ideologie ließen die Abgeordneten im Repräsentantenhaus in der vorigen Woche selbst ihren Vorsitzenden John Boehner ins Messer laufen. Dessen Kompromissangebot an Obama fiel in den eigenen Reihen durch, Boehner war blamiert.

Arrogant und populistisch

Freilich spielt auch Obama mit in diesem Poker. Schon weit vor Weihnachten wurde in US-Medien gemunkelt, Obama wolle die Republikaner im Etatstreit vor die Wand laufen lassen. Manche Beobachter wähnten den Präsidenten nach seinem Erfolg gegen Mitt Romney noch im Wahlkampfmodus, sein Auftreten wurde als arrogant und populistisch empfunden. Anstatt Klinken zu putzen und auf Kompromisssuche zu gehen, ließe er sich zusammen mit Arbeitern fotografieren. "Ich denke, der Präsident will aus politischen Gründen über die Klippe gehen", schimpfte der Republikaner John Boehner, freilich ohne daran etwas ändern zu können.

Zum politischen Kalkül zählt ebenso, dass die Verhandlungen auch noch andauern können, während das Land schon von der Klippe stürzt. Insider in Washington streuen, dass eine Lösung einige Tage nach Neujahr ebenso möglich sei. Nach Expertenauffassung würden höhere Staatsabgaben und die meisten Kürzungen erst im Laufe des Jahres richtig spürbar. Sollte sich also im Januar oder Februar eine Lösung finden, wären die Republikaner politisch schwer angezählt, die USA wirtschaftlich aber wohl noch über Wasser zu halten.

"Die Partei verblödet"

Die Republikaner selbst beobachten die Entwicklung in ihren eigenen Reihen mit Grausen. Nach der Wahlniederlage sind die Konservativen auf der Suche nach sich selbst. Der Flügelstreit zwischen Radikal-Konservativen und Moderaten droht die Partei zu zerreißen.

"Die Partei verblödet zunehmend und wir werden zunehmend als ein Haufen von Extremisten gesehen, die noch nicht einmal in den eigenen Reihen eine Mehrheit zusammenbekommt," sagte Steven LaTourette, republikanischer Abgeordneter aus Ohio, nachdem seine Parlamentskollegen Boehners Plan B abgelehnt hatten. Boehners Job als Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus verglich Boehner kürzlich mit dem eines Leiters einer Irrenanstalt.

Geld für maximal zwei Monate

Eine Einigung ist auch zur Erhöhung des Schuldenlimits notwendig. Finanzminister Timothy Geithner hatte am Donnerstag davor gewarnt, dass die USA zum Jahresende erneut ihr Schuldenlimit erreichen. Der derzeitige Rahmen von 16,4 Billionen Dollar sei am 31. Dezember ausgeschöpft. Geithner will nach eigenen Angaben durch Etat-Umschichtungen zeitlichen Spielraum gewinnen. Doch er machte deutlich, dass die USA ohne eine Einigung spätestens in zwei Monaten ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können.

(pst)
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