Als die Welt den Atem anhielt Vor 30 Jahren begann der Falklandkrieg
Port Stanley · Fast 1000 Menschen starben im Jahr 1982, als Argentinien und Großbritannien um die Falklandinseln kämpften. Begonnen hatte der Krieg am 2. April, er endete 79 Tage später mit dem Sieg der Briten. Unser Autor Helmut Michelis besuchte damals als erster deutscher Journalist unmittelbar nach Ende der Kampfhandlungen die Inseln.
Fast 1000 Menschen starben im Jahr 1982, als Argentinien und Großbritannien um die Falklandinseln kämpften. Begonnen hatte der Krieg am 2. April, er endete 79 Tage später mit dem Sieg der Briten. Unser Autor Helmut Michelis besuchte damals als erster deutscher Journalist unmittelbar nach Ende der Kampfhandlungen die Inseln.
Wracks zerbombter argentinischer "Pucara"-Kampfflugzeuge säumen wie Dinosaurier-Gerippe die Landebahn. Überall hellbrauner, klebriger Schlamm, der Himmel darüber ist schwarzgrau, ein eiskalter Wind weht über den kleinen Flugplatz von Port Stanley. Willkommen am Ende der Welt - auf den Falkland-Inseln, jenen kleinen Pünktchen unten auf dem Globus gleich rechts neben der Südspitze Südamerikas, wo die heftigen Kämpfe zwischen Briten und Argentiniern soeben beendet worden sind.
Aus einem Kofferradio dudelt Nenas naiv-düsterer Weltuntergangshit "99 Luftballons": "99 Jahre Krieg ließen keinen Platz für Sieger / Kriegsminister gibt's nicht mehr und auch keine Düsenflieger." Der Kampf um die Falklands, der am 2. März 1982 begann, dauerte nur 79 Tage. Und es gab einen Sieger: Die Briten eroberten die von den Argentiniern besetzte Inselgruppe.
79 Tage lang hatte die Welt den Atem angehalten, musste sie doch staunend zur Kenntnis nehmen, dass die konservative Regierung der "Eisernen Lady" Maggie Thatcher in London nicht etwa kampflos aufgab, als die argentinische Militärjunta die Inselgruppe besetzen ließ, wie viele Beobachter geglaubt hatten. Nein, die zur Gegenwehr entschlossene britische Regierung entsandte ein Expeditionskorps aus Truppen, Schiffen und Flugzeugen in die Region.
Die Kelper, die rund 1800 britischstämmigen Bewohner der Inseln, hatten dagegen niemals daran gezweifelt, dass das Mutterland England sie wieder befreien würde. Das erfahre ich in zahlreichen Gesprächen, die auf den Falklands problemlos möglich sind: Man klopft einfach an die Tür eines der Holzhäuser — und schon ist man bei Tee und Keksen hochwillkommener Gast, der auch aus dem fernen Europa berichten kann.
"99 Kriegsminister, Streichholz und Benzinkanister / hielten sich für schlaue Leute, witterten schon fette Beute.” Die Falkländer riskierten mit ihrem Widerstand gegen die Besatzer, deren Führung in Buenos Aires mit dem Angriff mutmaßlich von innenpolitischen Problemen durch die brutale Militärherrschaft ablenken wollte, oftmals tollkühn ihr Leben. Peggy Halliday, die Frau des Hafenmeisters von Stanley, berichtet beispielsweise, wie die Einwohner weiterhin "auf britische Art" mit ihren Autos die linken Fahrbahnseite benutzten und mit den rechts fahrenden Argentiniern bewusst Zusammenstöße provozierten. Ihr Mann kletterte im Hafen auf ein argentinisches Schiff und riss dessen Flagge herunter. "Die gehörte hier nicht hin", sagt er stolz, zum Glück war er nicht beobachtet worden.
Der Bevollmächtigte der britischen Krone, Sir Rex Hunt, der ein schwarzes Londoner Taxi als Dienstwagen benutzte und durch den Krieg plötzlich weltberühmt wurde, erschoss mit seiner Pistole einen argentinischen Offizier, der in sein Haus eindrang. "Die Falklands sind britisch. Bete und arbeite dafür, dass sie es bleiben!", ist auf einem Plakat des Wollgeschäftes an der Uferstraße in Stanley zu lesen. "General Galtieri, der argentinische Diktator, hat genau das Falsche getan, als er die Inseln besetzen ließ", erläutert mir Gouverneur Rex Hunt. "Vorher drohten die Falklands den Argentiniern wie ein fauler Apfel in den Schoß zu fallen. Durch die Invasion ist allen Briten klar geworden, wo die Inselgruppe liegt, und dass sie britisch ist."
Vor dem Fenster meines Zimmers im "Goose"-Hotel liegt ein leergeschossener MG-Gurt, in einigen Häuserwänden sind hässliche Einschusslöcher zu sehen. "Heute zieh ich meine Runden, seh' die Welt in Trümmern liegen / hab 'nen Luftballon gefunden, denk' an Dich und lass' ihn fliegen.” Insgesamt 908 Soldaten beider Nationen und drei Falkländerinnen bezahlten den Streit ihrer Regierungen mit dem Leben. Keine genauen Statistiken lassen sich über die zahlreichen Kriegsinvaliden, vermutlich mehr als 1800, und die späteren Selbstmorde wegen posttraumatischer Belastungsstörungen finden.
Die beiderseitigen hohen materiellen Verluste sind dagegen exakt bekannt: Die Briten verloren zwei Zerstörer, zwei Fregatten, ein Landungsschiff, ein Containerschiff, ein Landungsboot, zehn "Harrier"-Senkrechtstarter und 24 Hubschrauber. Bei den argentinischen Streitkräften standen ein Kreuzer, ein U-Boot, zwei Patrouillenboote, drei Frachter, ein Spionage-Trawler, ein Tanker, 75 Flugzeuge und 25 Helikopter auf der Verlustliste.
Die herbe Schönheit der Inseln mit ihren Pinguin-Kolonien erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Eine Wanderung entlang der Strände oder in der Hügellandschaft ist aber streng verboten: Die Argentinier haben große Minenfelder angelegt, die Sprengkörper angeblich deutscher Herkunft sind aus Plastik und nur schwer zu orten. Die Bewaffnung und die Ausrüstung der Inselbesatzer stammt offenkundig zu großen Teilen aus der Bundesrepublik: Abgeholt werde ich am Flughafen mit einem erbeuteten Mercedes-Geländewagen, der erst Jahre später auch in der Bundeswehr eingeführt werden sollte.
Die Briten berichten dem deutschen Gast, dass ihnen das argentinische U-Boot "San Luis" besondere Sorge bereitet habe: Es operierte mehrfach bedrohlich nahe der britischen Flugzeugträgergruppe, ließ sich aber nicht genau orten. Die moderne "San Luis" war ebenfalls "made in Germany". Und zumindest teilweise deutsches Knowhow steckte in den "Exocet"-Raketen, mit denen die argentinische Luftwaffe mehrere britische Schiffe versenkte.
Hier erwiesen sich meine Kollegen aus Großbritannien, die als "embedded journalists" die britische Flotte begleiteten, als wenig hilfreich: Sie berichteten nach den ersten "Exocet"-Einschlägen, die allesamt Zündversager hatten und deshalb fast keinen Schaden anrichteten, hämisch über die "unfähigen" Argentinier. Kaum war dies in London zu lesen, explodierten die folgenden Flugkörper und zerstörten unter anderem den Zerstörer "Sheffield".
"Hast Du etwas Zeit für mich? Dann singe ich ein Lied für Dich / von 99 Luftballons auf ihrem Weg zum Horizont.” Diesen Song werde ich noch unzählige Male hören. Es war durch den britischen Soldatensender BFBS auf die Falklands importiert worden. Dessen Sendezentrum in Deutschland befand sich damals im internationalen Hauptquartier in Mönchengladbach-Rheindahlen. Der Krieg hatte die rund 13.000 Kilometer Entfernung zwischen dem Rheinland und der kleinen Inselgruppe nahe dem Südpol plötzlich vielfältig auf Hör- und Sichtweite schrumpfen lassen: In den Soldatenunterkünften stieß ich zum Beispiel immer wieder auf Einkaufstüten von Kaufhäusern und Supermärkten aus Mönchengladbach oder dem Kreis Viersen.
Die "Phantom”-Jäger, die frühmorgens auf Patrouille über den Falkland-Sund donnern und von der Bevölkerung bejubelt werden wie die Siegermannschaft bei einer Fußballweltmeisterschaft, stammen vom RAF-Stützpunkt Wildenrath im Kreis Heinsberg, die Rapier-Flugabwehrraketen aus Elmpt im Kreis Viersen — der Kalte Krieg zwischen Ost und West ist Anfang der 80-er Jahre noch voll im Gange und viele britische Soldaten, die in den Falkland-Einsatz kommandiert waren, sind zu dieser Zeit in Nordrhein-Westfalen stationiert.
"99 Jahre Krieg ließen keinen Platz für Sieger / Kriegsminister gibt's nicht mehr, und auch keine Düsenflieger.” Der Kampf um die Falklands hat möglicherweise dazu beigetragen, dass der Dritte Weltkrieg verhindert wurde. Zweifelte die Führung der Sowjetunion nach den Aktivitäten der sogenannten Friedensbewegung, die damals vor allem in Westdeutschland Hunderttausende Menschen zum Protest gegen die geplante Nato-Nachrüstung bei Mittelstreckenraketen mobilisierte, am Verteidigungswillen des Westens, so machte der britische Gegenschlag im Südatlantik dem Kreml deutlich, dass Demokratien doch wehrfähig sind, wenn sie ihre Interessen im Kern bedroht sehen.
Bei einem Patrouillenflug um die Inseln sehe ich etliche Spionageschiffe der Russen und der DDR — das Interesse des Ostblocks an den Vorgängen ist offenkundig groß. Unter den Soldaten in Stanley macht unterdessen die Story über ein englisches Ehepaar die Runde, das aus Angst vor einem Atomkrieg in Europa Ende der 1970-er Jahre ein garantiert friedliches Fleckchen auf der Welt suchte — und ausgerechnet nach Goose Green zog. In dieser kleinen Ortschaft begann die britische Rückeroberung der Falklands; die Fallschirmjäger lieferten sich heftige Gefechte mit den Argentiniern.
Wem gehören die Inseln wirklich? 1600, so die Historie, soll der Niederländer Sebald de Weert sie entdeckt haben. 1690 betrat der englische Captain John Strong als erster die Inseln und gab ihnen - nach dem Chef der Admiralität, Lord Falkland — den Namen. Die Besitzansprüche der Argentinier, die wiederum mit den Spaniern begründet sind, die das unbewohnte Archipel 1766 von den Franzosen gekauft hatten, erscheinen mir recht konstruiert. Die Bewohner jedenfalls sehen sich allesamt als echte Briten, in der Dorfschule von Stanley fühlt man sich nach England versetzt, und ein imposantes Denkmal an der Uferstraße erinnert an eine andere Schlacht um die Falklands: Im Dezember 1914 versenkte vor den Inseln eine britische Flotte ein deutsches Kreuzergeschwader unter Vizeadmiral Graf Spee.
Außer Sträuchern wächst auf der Inselgruppe, die ein Schaf für das wichtige Exportprodukt Wolle in ihrem Wappen führt, wegen des scharfen Windes kaum etwas. Sei es der Duschvorhang im "Goose”, der Orangensaft für die Soldatenkantinen, das Holz für den Hausbau oder der Stoffpinguin für einen der Kramläden in der "Hauptstadt”, fast alles muss mit Hilfe eines ausgeklügelten und kostspieligen Versorgungssystems mühevoll importiert werden.
Etwa acht Wochen sind Schiffe aus England unterwegs. Die Anreise von Deutschland aus per Militärflugzeug (Anfang der 80-er Jahre gab es den Militärkomplex Mount Pleasant und eine lange Landebahn noch nicht), dauert für mich zweieinhalb Tage, die reine Flugzeit beträgt 23 Stunden und 20 Minuten. Soldaten und Fracht werden mit vierstrahligen VC-10-Transportern zunächst zur Atlantikinsel Ascension geflogen, unterbrochen durch ein Tankstopp im afrikanischen Senegal. Da die VC-10 auf der kurzen Stahlplatten-Piste von Stanley nicht landen kann, heißt es für die letzte Etappe Arcension-Falklands (6034 Kilometer) umsteigen in eine bis auf den letzten Zentimeter vollgepackte viermotorige Lockheed "Hercules”.
Auf dem quer zur Flugrichtung angebrachten Segeltuchsitz muss ich meine Beine wie im Reißverschlussverfahren zwischen die eines gegenübersitzenden Soldaten der Royal Welsh Guards stellen; Kaffee und Verpflegung werden in Thermoskannen und Pappschachteln durchgereicht. Die wenigen Fenster der grau-grünen Maschine sind sicherheitshalber abgedeckt —noch ist offiziell Krieg, argentinische Jäger sollen nachts kein leichtes Ziel finden.
Da die "Hercules” für eine solche Langstreckendistanz nicht ausgelegt ist, muss sie unterwegs von einer "fliegenden Tankstelle” mit Treibstoff versorgt werden — ein dramatisch wirkendes Manöver, bei dem die Briten jedoch viel Routine entwickelt haben. Beim Versuch, am Tankschlauch anzukoppelt, wackelt meine Maschine stark hin und her, nur mühsam bekämpfe ich die aufkommende Übelkeit.
Nach dem Ende der Kampfhandlungen sind Heimweh und Langeweile die schlimmsten Feinde der britischen Soldaten. Wie alle Falkland-Verteidiger warten auch die Männer von "31 Charlie” sehnsüchtig auf die Ablösung. "31 Charlie” ist eine Flugabwehrstellung irgendwo auf einem abgelegenen Hügelplateau auf Ost-Falkland, in der ich eine Nacht verbringen darf. Erst als der "Lynx”-Hubschrauber in der Luft abbremst, sind Umrisse der sorgfältig getarnten Stellung zu erkennen.
Sechs Soldaten von der 37. Staffel des RAF-Regiments aus Brüggen im Kreis Viersen tun hier unter der Führung von Unteroffizier Alec Boldig rund um die Uhr Dienst — in einem stacheldrahtumzäunten Berich von wenigen Hundert Metern inmitten eines argentinischen Minenfeldes. "31 Charlie” ist mit viel Improvisationstalent ausgebaut: Die Toilette scheint sogar Wasserspülung zu haben, doch die Soldaten warnen vorsorglich: "Bitte nicht an der Kette ziehen!” Das Ganze ist eine liebevoll gebastelte Attrappe…
Argentinische Kampfflugzeuge lassen sich nicht mehr sehen. Soldat John Pritchard führt stattdessen einen einsamen Kampf gegen eine Ratte, die er "Roland” nennt. Roland ist stets schneller und holt die Käsestückchen von den Mausefallen herunter, ohne dass sie zuschnappen. Aus dem Radio neben dem Gewehrständer dudelt wieder Nenas Song, während draußen der Wind an den Tarnnetzen zerrt. "Denkst Du vielleicht grad' an mich, dann singe ich ein Lied für Dich / von 99 Luftballons. Und dass sowas von sowas kommt.” "Drei unserer Ehefrauen erwarten ein Baby”, berichten die Soldaten. Die werdenden Väter sind dementsprechend nervös. Handy und Internet gibt es zu dieser Zeit noch nicht.
Ob "31 Charlie” heute noch existiert? Die britische Militärpräsenz auf den Inseln ist jedenfalls auch nach drei Jahrzehnten noch immer groß, neuerdings wird das Säbelrasseln der Argentinier wieder lauter, angeblich auch wegen Öl- und Erdgasfunden.