Naher Osten Vom möglichen Segen des billigen Öls

Bagdad · Der Ölpreisverfall hat für den Nahen Osten vielleicht neben erheblichen negativen Auswirkungen auf die Staatshaushalte und die Wirtschaft auch positive Folgen: Kriege lassen sich jetzt nicht mehr so leicht finanzieren.

 Eine Tankstelle in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad.

Eine Tankstelle in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad.

Foto: AFP/RANIA SANJAR

Schwere Zeiten im Nahen Osten: Krieg, Terror, der IS, Corona und dann auch noch der Ölpreis, der sich zeitweise im freien Fall befand. Wie die Internationale Energieagentur mitteilt, ist 2020 mit einem historisch hohen Rückgang der Nachfrage um 8,6 Millionen Barrel (Fass mit 159 Liter) pro Tag zu rechnen.

Seit 2002 war Rohöl nicht mehr so billig wie heute. Da Ölförderstaaten wie der Irak, der Iran, aber auch Saudi-Arabien ihren Haushalt maßgeblich mit den Einnahmen aus dem Verkauf des schwarzen Goldes bestreiten, kommt diese Entwicklung für sie einem Erbeben gleich. Schon jetzt fehlen dem saudischen Königreich am Golf 8,1 Milliarden Euro im geplanten Jahresbudget, Irak klagt über 4,2 Milliarden Verlust pro Monat, Iran weist gar keinen Haushaltsplan mehr aus.

Drastische Maßnahmen werden nun verkündet: Die führende Ölmacht Saudi-Arabien reagiert mit einem Sparprogramm und einer enormen Steuererhöhung. Ab 1. Juli soll die Mehrwertsteuer im Königreich von derzeit fünf auf 15 Prozent verdreifacht werden. Darüber hinaus sollen die Staatsausgaben um umgerechnet 26,6 Milliarden US-Dollar gesenkt werden. Zu den Maßnahmen zählt das Streichen oder das Verschieben staatlicher Ausgaben. Dies gelte auch für geplante staatliche Kredite, erfährt man aus dem Finanzministerium in Riad. Das bedeutet wohl auch das Aus für die „Vision 2030“ von Kronprinz Mohammed bin Salman und die geplante Technologiestadt Neon.

Im Irak, nach Saudi Arabien zweitgrößter Ölproduzent im Nahen Osten, beraubt der Einbruch der Ölpreise die Regierung ihrer Optionen. Der gerade erst vereidigte neue Premierminister, Mustafa al Kadhimi, muss sich überlegen, wie er mit dem Riesenloch im Staatshaushalt umgeht. Sein Budget speist sich zu 90 Prozent aus Petrodollars, der Haushalt beruht auf einem Preis von 56 Dollar pro Fass – fast das Doppelte des jetzigen Niveaus. Schon im kommenden Monat könne die Regierung womöglich die Hälfte der drei Millionen Staatsbediensteten nicht mehr bezahlen, heißt es in Bagdad – was Gesellschaft und Wirtschaft ins Wanken bringen und die Sozialproteste wieder aufflammen lassen könnte.

Zugleich muss der frühere Geheimdienstchef Kadhimi verhindern, dass sich der Iran und die USA einen militärischen Schlagabtausch im Irak liefern. In den vergangenen Wochen feuerten Iran nahestehende Milizen wiederholt Raketen auf US-Ziele in Irak. Teheran und schiitische Gruppen im Irak wollen die Amerikaner nach wie vor aus dem Land vertreiben. US-Präsident Donald Trump drohte, Iran werde einen „sehr hohen Preis“ zahlen, sollten US-Soldaten angegriffen werden.

Einen hohen Preis bezahlt Iran jedoch schon jetzt, vor allem durch die weiter sinkenden Ölverkäufe. Seitdem die US-Sanktionen in Kraft sind, gelangt ohnehin nur noch wenig iranisches Öl auf den Weltmarkt. Das derzeitige Überangebot setzt Teheran nun auch beim Preis unter Druck. Beim einst drittgrößten Ölproduzenten der Region sprudeln die Ölquellen nicht mehr. Da auch der Iran außer Öl nicht viel zu bieten hat, ist eine Verarmung großer Bevölkerungsschichten die Konsequenz, was jetzt schon in Teheran zu beobachten ist.

Auch in den kleineren Ölstaaten am Golf sind die Folgen festzustellen. Vor allem Autofahrer müssen jetzt tiefer in die Tasche greifen. Um die sinkenden Einnahmen aus den Ölverkäufen wenigstens teilweise zu kompensieren, haben Katar, Oman, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate die Benzin-Subventionen gekürzt. Die Golfstaaten leisten sich seit Jahren die höchsten Pro-Kopf-Zuschüsse, besagt eine Studie des Internationaler Währungsfonds. Folge: Der Ölkonsum pro Einwohner sei im Mittleren Osten fast vier Mal höher als im weltweiten Durchschnitt. Jetzt sinkt er auch hier drastisch, denn Corona hält Fluglinien wie Emirates am Boden. Es drohen Insolvenzen, Fusionen und die Streichung von Flugzeug-Bestellungen von über 100 Milliarden Dollar. Mit Staatshilfen will nun Dubai sein bekanntestes Unternehmen retten. Die geplante Liquiditätsspritze für die größte Langstreckenfluggesellschaft der Welt erfolge, da Emirates „einen großen strategischen Wert als eine der Hauptsäulen der Wirtschaft Dubais sowie der Wirtschaft der Vereinigten Arabischen Emirate im Allgemeinen hat“, twittert Dubais Kronprinz Scheich Hamdan bin Mohammed al Maktoum.

Aber trotz all seiner wirtschaftlichen Folgen, birgt der Ölpreisverfall politisch durchaus Chancen. Denn nun könnte das Geld ausgehen, mit dem bisher einige der blutigsten Konflikte in der Region befeuert wurden. Schon jetzt ist der Krieg im Jemen, der die Saudis täglich 185 Millionen Euro kostet, nicht mehr zu finanzieren. So verkündete Riad kürzlich einen einseitigen Waffenstillstand und ruft jetzt zu einer Geberkonferenz für das gebeutelte Land auf. Seit 2015 bombardiert die saudische Luftwaffe Stellungen der Huthi-Rebellen, die vor allem den Norden des Landes besetzt halten, und verschont dabei auch zivile Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser nicht. Sollte das Königreich sich aus dem Nachbarland zurückziehen, könnte sich eine Chance auf Frieden im Jemen ergeben. Auch für den Iran wird es künftig unmöglich sein, die teuren Militäreinsätze im Ausland weiterhin wie bisher zu finanzieren. Die Hisbollah im Libanon befürchtet, dass die großzügigen Waffenlieferungen bald ausbleiben könnten und auch der Sold für ihre Kämpfer in Syrien nicht mehr in vollem Umfang von Teheran bezahlt werden könnte. Auch die Huthis im Jemen, Gegenspieler von Saudi-Arabien, werden so schnell wohl keine Waffen und Drohnen aus iranischer Produktion mehr geliefert bekommen.

Zugleich werden auch die Zuwendungen aus Saudi-Arabien und Katar für dschihadistische Gruppen versiegen, und ob die Emirate weiterhin die massive Unterstützung des libyschen Warlords Khalifa Haftar aufrechterhalten, ist ebenfalls äußerst fraglich. Dies könnte sich direkt auf die Bürgerkriege in Libyen und Syrien auswirken.

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