Aussicht auf 12 Jahre Putin Viele Russen denken an Auswanderung

Moskau · Mirt einer Überraschung dürfte bei den aktuellen Parlamentswahlen in Russland nicht gerechnet werden, es gilt als sicher, dass die Partei von Putin als Sieger daraus hervor gehen wird. Ein Tatsache, die für viele Russen nicht mehr so ohne weiteres tragbar ist.

Wie Putin als Präsident provozierte
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Foto: AFP

Natalia Lepleiskaja gehört zu den Menschen, die Russland gut gebrauchen könnte. Sie ist eine junge, erfolgreiche IT-Managerin, die sich nebenher in ihrer Freizeit ehrenamtlich engagiert. Um sich herum nimmt sie aber immer mehr Korruption und Stillstand wahr, weshalb sie und ihr Mann sich entschlossen, ihre Sachen zu packen und nach Kanada auszuwandern, um dort ein neues Leben zu beginnen.

"Ich sehe nicht, wie ich hier noch etwas verändern könnte, und ich will meine Jugend nicht verschwenden", sagt die 29-Jährige, die vor einigen Jahren aus der Provinz nach Moskau zog, um es bis in eine führende Position in einem Technologieunternehmen zu schaffen.

Ein Grund dafür, dass eine wachsende Zahl von Russen über das Auswanderung nachdenkt, ist das politische System, das wenig Veränderung in den kommenden in Aussicht stellt. Die Partei von Ministerpräsident Wladimir Putin dürfte die Parlamentswahlen an diesem Wochenende beherrschen, er selbst wird vermutlich im März nächsten Jahres wieder Präsident und wird dies dann voraussichtlich auch zwölf Jahre bleiben.

Fünfte Auswanderungswelle seit dem 20. Jahrhundert

Auch schon bevor der amtierende Präsident Dimitri Medwedew und Putin im September bekannt gaben, dass sie die Ämter wieder tauschen wollten, wuchs die Unzufriedenheit vieler Menschen mit ihrem Leben in Russland. In einer im Mai veröffentlichten Umfrage des Lewada-Zentrums erklärten 22 Prozent der Befragten, dass sie ins Ausland gehen wollten, im April 2009 waren es nur 13 Prozent.

Wie viele Menschen in den vergangenen Jahren ausgewandert sind, darüber gibt es kaum Zahlen. Der Bevölkerungswissenschaftler Michail Denissenko schätzt, dass zwischen 2002 und 2009 mindestens eine halbe Million Russen ihr Land verlassen haben. Ihre Zahl steige weiter. Inzwischen erlebe Russland die fünfte Auswanderungswelle seit Beginn des 20. Jahrhundert. Schon nach der Oktober-Revolution 1917 und dann im Zeiten Weltkrieg verließen zahllose Menschen Russland. Zwischen 1971 und 1988 verließen dann 290.000 Juden die Sowjetunion, ihnen folgten nach dem Ende der Sowjetunion bis zu 1,6 Millionen Menschen.

Keine Hoffnung auf Reformen mehr

Die Frustration wachse, ein Gefühl des Unbehagens, eine Aversion gegen das Leben in Russland mache sich breit, erklärt Lew Gudkow, Leiter des Lewada-Zentrums. "Die Aussicht auf weitere zwölf Jahre Stagnation oder eine Verschlimmerung der Situation" mache vielen Menschen Angst und sie begännen darüber nachzudenken, in ein anderes Land zu gehen, um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu geben", sagt Gudkow. Viele Websites und Blogs bieten inzwischen Tipps zur Auswanderung.

"Die Nachricht, dass Putin bleibt, hat viele Menschen bedrückt und es wird mehr über Auswanderung gesprochen", sagt der Blogger und Internetexperte Anton Nossik. Die demokratischen Reformen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 hätten vielen Menschen Hoffnung gemacht, dass Russland zu einem freien und fortschrittlichen Land werden könne. Aber nach elf Jahren mit Putin an der Macht, erst als Präsident und dann als Ministerpräsident, hätten viele Menschen diese Hoffnung verloren.

Eine Auswanderung heute ist sicher nicht so traumatisch wie in früheren Zeiten, eine schwere Entscheidung ist es dennoch geblieben.
Als Teenagerin nannte Lepleiskaja vor 15 Jahren ihren Cousin einen Verräter, weil der in die USA ging, statt sich in Russland für Veränderungen einzusetzen. Inzwischen ist sie selbst immer mehr frustriert. Die soziale Ungleichheit ist gewachsen, die Korruption läuft Amok, Proteste der Opposition werden mit Gewalt aufgelöst, das Fernsehen erinnert oft an die Propagandasendungen der Sowjetunion.

Kein Vertrauen in den Staat

Die russische Wirtschaft schuf zwar für Menschen wie Lepleiskaja viele Möglichkeiten, voranzukommen. Vertrauen, dass die Regierung ihr hilft, ihre Ersparnisse dauerhaft zu schützen, hat sie nicht.
Ihr Vater, der 40 Jahre Lehrer war, ging kürzlich in Rente und bekommt nun umgerechnet rund 200 Euro im Monat.

Sie und ihr Mann Alexander warten nun auf die Visa, die in den nächsten Tagen kommen sollen. Im Frühjahr soll es dann nach Montreal gehen. Inzwischen bleibt Zeit, Lebewohl zusagen. Sie waren nie in Kanada und sind sich bewusst, dass es schwierig wird, dort einen so interessanten und gut bezahlten Job zu finden, wie sie ihn jetzt in Russland haben. Aber sie hoffen auf eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder.

(APD)
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