Analyse zu Anschlägen von Paris Verhindern Vorratsdaten den Terror?

Berlin · Nach den Anschlägen von Paris werden die Rufe lauter, dass die Polizei Zugriff auf die Verbindungsdaten Verdächtiger haben sollte. Dazu müsste die von Gerichten kassierte Speicherpflicht erst wieder eingeführt werden.

Vorratsdaten - was Behörden von uns wissen wollen
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Es ist kein Zufall, dass nach den Terroranschlägen von Paris die Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten wieder auf der Tagesordnung steht. Die von Strafverfolgung und Terrorabwehr schmerzlich vermisste Richtlinie hatte die EU schließlich ein Jahr nach den Terroranschlägen vom 7. Juli 2005 in London beschlossen. Bei den Attentaten von Rucksackbombern auf die U-Bahn und einen Doppeldeckerbus waren 56 Menschen ums Leben gekommen, mehr als 700 verletzt worden.

Noch im Mai 2013 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) Schweden zu einer Strafe von drei Millionen Euro verurteilt, weil das Land die EU-Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung auch sieben Jahre später noch nicht umgesetzt hatte. Die Urteilsbegründung seinerzeit: Weil Schweden die Pflicht zur Datenspeicherung nicht erfüllte, seien die privaten und öffentlichen Interessen beeinträchtigt.

Chronologie des Terrors von Paris
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Elf Monate später kippte der EuGH allerdings die Richtlinie selbst. Die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung seien ungültig, verfügten die Richter unter Federführung des deutschen Kammerpräsidenten Thomas von Danwitz. Datenschützer behaupten seitdem, jede Vorratsdatenspeicherung sei laut höchstrichterlicher Entscheidung ein verbotener Eingriff in die europäischen Grundrechte.

Europa-Richter haben Speicherung für geboten erklärt

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Das ist falsch. Tatsächlich haben die Europa-Richter die Speicherung nicht nur für möglich, sondern gerade im Kampf gegen Terrorismus sogar für geboten erklärt. Minutiös prüften sie alle Aspekte und setzten sich auch kritisch mit der seinerzeitigen Begründung durch die EU-Kommission auseinander.

Originalton Kommission: "Da sich die Vorratsspeicherung von Daten in mehreren Mitgliedstaaten als derart notwendiges und wirksames Ermittlungswerkzeug für die Strafverfolgung, insbesondere in schweren Fällen wie organisierter Kriminalität und Terrorismus erwiesen hat, muss gewährleistet werden, dass die auf Vorrat gespeicherten Daten den Strafverfolgungsbehörden für einen bestimmten Zeitraum unter den in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen zur Verfügung stehen."

Beerdigung der Terroropfer von Paris
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Dies ließen die Richter unbeanstandet, ja sie stellten sogar ausdrücklich fest, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht geeignet sei, den Wesensgehalt des "Grundrechts auf den Schutz personenbezogener Daten anzutasten". Und mit der Bemerkung, jeder Mensch habe "nicht nur das Recht auf Freiheit, sondern auch auf Sicherheit", definiert der Gerichtshof die Bekämpfung des Terrorismus als "dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung der Union". Konkret bescheinigen die Richter der Vorratsdatenspeicherung, sie sei ein nützliches Mittel und zur Erreichung ihrer Ziele auch geeignet.

Die deutsche Handhabung

Bei der Formulierung der EU-Richtlinie war jedoch aus Sicht des Gerichtshofes schludrig gearbeitet worden: So enthielt sie keine Vorgaben, wie die Daten vor Missbrauch und unberechtigtem Zugang geschützt werden müssten, welche Personenkreise durch nationale Rechtsetzung von einer Kontrolle ihrer Kommunikation ausgenommen seien und an welchen Maßstäben sich der großzügige Spielraum der Speicherfristen zwischen sechs und 24 Monaten orientieren solle.

Auf Deutsch: Vorratsdatenspeicherung gehört zur Terrorbekämpfung in Europa zwingend dazu, sie muss nur klar und mit Augenmaß geregelt sein. Zu einer ähnlichen Beurteilung war vier Jahre zuvor auch das Bundesverfassungsgericht gekommen, als es die deutsche Gesetzgebung außer Kraft setzte. Eine verfassungsgemäße Neuregelung, wie die Union sie umgehend beschließen wollte, verhinderte die FDP in der schwarz-gelben Koalition.

Das nachfolgende schwarz-rote Bündnis verständigte sich im Koalitionsvertrag darauf, die EU-Richtlinie umzusetzen, sich in Brüssel für eine Verkürzung der Speicherfristen auf drei Monate einzusetzen und sie in Deutschland zu präzisieren: Zugriff auf Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben.

In Frankreich Speicherung existierend

Vor diesem Hintergrund ist es schwer verständlich, warum Berlin jetzt verlangt, dass erst die EU-Kommission auf Trab kommen müsse, wenn die große Koalition ohnehin eine Regelung treffen will, die nicht eine (noch fehlende) EU-Richtlinie eins zu eins umsetzt, sondern auf den Vorgaben von EU-Gerichtshof und Verfassungsgericht beruht und weitere deutsche Einschränkungen vorsieht.

Datenschützer können zu Recht darauf verweisen, dass die in Frankreich weiterhin existierende Vorratsdatenspeicherung die Anschläge nicht verhindern konnte. Allerdings versetzte der garantierte Zugriff auf die Verbindungsdaten der mutmaßlichen Massenmörder die Behörden in die Lage, blitzschnell deren Kommunikation in den Tagen und Wochen zuvor aufzuklären und nach möglichen Mittätern oder weiteren kurz bevorstehenden Anschlägen zu fahnden.

Auch das BKA verweist darauf, dass auf diese Weise Serien von Anschlägen unterbrochen werden können. Beruhigend war jedenfalls für die deutsche Terrorabwehr der Befund, dass die Verbindungsdaten der Pariser Attentäter keine Kontakte zu Islamisten in Deutschland aufwiesen.

Datenlieferung ohne einschlägige gesetzliche Grundlage

Regelmäßige TV-Krimi-Konsumenten wissen es: Stockende Ermittlungen kommen wieder in Schwung, wenn die Kripo die Verbindungsdaten anfordert und weiß, mit wem die Verdächtigen wann und von wo aus telefoniert, gesimst oder gemailt haben. Dahinter steht nicht etwa ein Gesetzesverstoß.

Nein, manche Anbieter speichern die Verbindungsdaten freiwillig für einen Monat, um gegen mögliche Einsprüche gegen die Rechnung gewappnet zu sein. Und der Polizei liefern sie die Daten ohne einschlägige gesetzliche Grundlage. Insofern würde ein neues Gesetz den Datenschutz nicht schwächen, sondern stärken.

(may-)
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