Proteste in den USA Rassismus von ganz oben

Analyse | Washington · Wenn landesweit Proteste ausbrechen, müsste der US-Präsident die Gemüter eigentlich beruhigen. Doch Donald Trump ist dazu nicht in der Lage. Er ist nur gut darin zu spalten, nicht zu einen.

 Drei Frauen legen sich vor Polizisten in Minneapolis neben einem Fahrzeug auf die Straße.

Drei Frauen legen sich vor Polizisten in Minneapolis neben einem Fahrzeug auf die Straße.

Foto: dpa/John Minchillo

In der sechsten Nacht voller Demonstrationen, Unruhen und Proteste ging am Weißen Haus das Licht aus. Die Nordseite der Regierungszentrale, eigentlich immer hell erleuchtet, lag plötzlich im Dunkel. Wenige Blocks entfernt lieferten sich Polizei und Demonstranten teils heftige Auseinandersetzungen. In Städten im ganzen Land kam es zu Ausschreitungen. Dutzende Kommunen verhängten Ausgangssperren, vielerorts rückte die Nationalgarde ein. Doch vom Sitz der Macht war abgesehen von ein paar hilflosen Tweets nichts zu hören. Und so wirkte das Abschalten der Fassadenbeleuchtung wie eine plumpe Metapher für die inhaltliche Abwesenheit des Staatsoberhaupts.

Die USA brennen. Seitdem in der vergangenen Woche der Schwarze George Floyd von weißen Polizisten in Minneapolis, Minnesota, umgebracht wurde, sind überall im Land Proteste ausgebrochen. Größtenteils friedlich, teilweise entlud sich der Frust über ein weiteres Beispiel tödlicher Polizeibrutalität jedoch auch in Gewalt. Die Sicherheitskräfte ihrerseits hielten sich vielerorts ebenfalls nicht zurück. Videos dokumentieren zahlreiche Übergriffe auf Demonstranten. In New York fuhren Polizisten mit ihren Streifenwagen in eine Menschenmenge. In Salt Lake City schubste ein Beamter einen alten Mann mit Krückstock um.

Angesichts der angespannten Lage wäre es die traditionelle Rolle des US-Präsidenten, die Gemüter zu beruhigen. Doch Donald Trump ist dazu nicht in der Lage. Sein Erfolg basiert auf der Fähigkeit, die Spaltung im Land zu vertiefen, nicht zu einen. Auf diesen Moment ist er nicht vorbereitet.

Diese Geschichte gibt es auch zum Hören - exklusiv für Sie. Abonnieren Sie jetzt unsere RP Audio-Artikel in Ihrer Podcast-App!

Den Grundstein für seinen politischen Aufstieg legte Trump, indem er dem ersten schwarzen US-Präsidenten die Legitimität abzusprechen versuchte. Kaum im Amt kündigte seine Administration an, künftig kaum noch gegen Polizeibehörden zu ermitteln, die wegen rassistischer Verhaltensmuster aufgefallen waren. Während einer Rede vor Polizisten rief Trump die Beamten dazu auf, bei Festnahmen „nicht zu nett“ zu sein. Auch in der aktuellen Krise beschränkt er sich bisher auf Tweets voller rassistisch aufgeladener Sprache. Von einem einenden Appell an die Bevölkerung aus dem Oval Office, dem klassischen Instrument eines Präsidenten in Krisenzeiten, sah das Weiße Haus indes bislang ab.

Trump ist wahrhaftig nicht der erste amerikanische Präsident, der die Spaltung im Land auszunutzen versucht. Auch hat er das Problem nicht geschaffen. Der Rassismus ist die Ursünde des amerikanischen Projekts. Seitdem vor 401 Jahren die ersten afrikanischen Sklaven in die damalige Kolonie Virginia gebracht wurden, haben sich im Land Strukturen ausgebildet, die den schwarzen Teil der Bevölkerung strukturell benachteiligen, kriminalisieren und marginalisieren.

Nach der Unabhängigkeit wurden Schwarze im halben Land als Eigentum betrachtet, nicht als Menschen. Der Bürgerkrieg brachte die Freiheit auf dem Papier, doch in vielen Staaten folgte ein rassistisches Gesetzessystem, das die Ex-Sklaven und ihre Nachfahren für ein weiteres Jahrhundert in wirtschaftlicher Abhängigkeit hielt und von der politischen Teilhabe faktisch ausschloss.

Die Folgen sind immer noch zu spüren – zumal auch der Erfolg der Bürgerrechtsbewegung in den 60er Jahren längst nicht alle Probleme löste. Bis heute ist die Arbeitslosenquote für Schwarze deutlich über dem Bevölkerungsdurschnitt. Während mehr als 70 Prozent der weißen Amerikaner ein Haus besitzen, sind es unter den Schwarzen nur rund 40 Prozent. Und auch die Coronakrise trifft die sie härter. Afroamerikaner machen 13 Prozent der US-Bevölkerung aus – aber sie stellen ein Viertel aller Covid-19-Toten. Gemessen am Bevölkerungsanteil sitzen sechsmal so viele Schwarze im Gefängnis wie Weiße. Studien belegen, dass schwarze Männer für die gleichen Vergehen zu deutlich härteren Strafen verurteilt werden als ihre weißen Landsleute.

Der Polizei kommt in diesem System eine Sonderrolle zu. Vielerorts wurden die Sicherheitskräfte eben nicht nur genutzt, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, sondern auch, um Minderheiten einzuschüchtern. Die Bilder von Sicherheitskräften, die mit scharfen Hunden und Wasserwerfern gegen friedliche Demonstranten um Martin Luther King im Jahr 1965 vorgehen, sind nur die plakativsten Beispiele, die jedes Beispiel übertriebener Polizeigewalt wieder im kollektiven Unterbewusstsein der Nation nach oben spült.

Der Tod von George Floyd ist eben kein isolierter Vorfall, sondern nur das letzte Glied in einer langen, viel zu langen Kette. Laut einer Datenauswertung der „Washington Post“ sind im vergangenen Jahr 1011 Menschen in den USA von Polizisten erschossen worden. Der Anteil der schwarzen Opfer von Polizeikugeln beträgt das Doppelte von ihrem Bevölkerungsanteils. Die Ausschreitungen in vielen US-Städten sind damit auch eine Reaktion auf diese tiefe Spaltung. Der Schlachtruf der Demonstranten lautet nicht zufällig „No Justice, No Peace“ – ohne Gerechtigkeit kein Frieden.

Diese Missstände zu beseitigen wäre unter den besten Bedingungen mindestens eine Generationenaufgabe gewesen. Und es ist nicht so, als hätte es in den vergangenen Jahrzehnten keine Fortschritte gegeben. Doch angesichts von Covid-19 und eines heftigen Wirtschaftsabsturzes bräuchte es derzeit einen enormen politischen Kraftakt, um zumindest den Status quo zu erhalten. Die Trump-Administration scheint dazu nicht willens zu sein. Das könnte sich bei der Wahl im Herbst rächen. So tief die Spaltung ist: Die meisten Amerikaner wünschen sich, dass sie überwunden wird.

Dass der Präsident kaum ernsthafte Anstalten macht, sich diesem Wunsch zu widmen, dürfte seiner ohnehin ramponierten Beliebtheit zumindest nicht helfen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort