Heute ist Obamas großer Tag Washington im Ausnahmezustand

Washington (RP). Heute um 11.55 Uhr (Ortszeit) wird Barack Obama in einer großen Zeremonie vor dem Kapitol den Amtseid auf die Bibel von Abraham Lincoln ablegen. Die Amerikaner fiebern dem Moment entgegen. Was die Menschen alles von Obama erwarten, zeigt eine Tafel mit Wunschzetteln mitten in der Stadt. Unser Korrespondent Frank Herrmann berichtet aus Washington.

Amtseinführung: Nicht immer geht alles glatt
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Foto: AP

"Raus aus dem Irak" - "Räumen Sie die hässlichen Betonquader vorm Weißen Haus weg"- "Beenden Sie das Töten in Gaza" - mehr Geld, die Vier-Tage-Arbeitswoche, volle Rechte für Washington, die Hauptstadt, die nur symbolisch vertreten ist im Parlament: Die Wunschliste ist so voluminös, dass jeder Zettel immer nur für ein paar Stunden an der Tafel hängt, bevor sie ihn abnehmen und archivieren. "Lieber Barack Obama", hat einer in Schönschrift geschrieben, "denken Sie immer daran, die Menschen sind gleich, überall in der Welt. Wir alle haben dieselbe Hoffnung und denselben Stress."

"Sagt es dem Präsidenten", steht in Balkenlettern über der schwarzen Tafel. Sie steht an einer hektischen Kreuzung in Adams Morgan, mitten in Washingtons Szeneviertel. Kunterbunte Fassaden, schräge Kneipen, Läden, die peruanische Keramikrinder oder ägyptische Bastkörbe verkaufen. Überall hängen Flaggen, Dutzende Fahnen aus aller Welt - es ist, als würden die Vereinten Nationen Obamas Amtseinführung feiern. Adams Morgan freut sich auf den Neuen, auf die coole, weltoffene Art, die man sich von ihm verspricht. George W. Bush hat sich hier nie blicken lassen.

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Ein paar Ecken weiter, auf der UStreet hinein ins afro-amerikanische Washington, ist "Ben's Chili Bowl" zu einem Wallfahrtsort geworden. Lange Warteschlangen, und das nicht nur, weil sie drinnen die angeblich besten Hamburger der Stadt brutzeln. Hinten links, auf einem harten Stuhl vor einem Tisch mit zerkratzter Resopalplatte, hat Obama gesessen. Vor ein paar Tagen kam er hereingeschneit, wollte wissen, was ein Half-Smoke ist, und bestellte sich einen, dazu Pommes frites mit hausgemachter Chilisoße. 20 Dollar zahlte er, gut die Hälfte war Trinkgeld. Zwischendurch spielte er grinsend den polternden Griesgram: "Ich habe bezahlt. Wo bleibt denn nun mein Essen?"

Obamas Schein gerahmt

Nun will sich Jermaine Jefferson, der Mann, der den Schein kassierte, Obamas Zwanziger rahmen, vorläufig liegt er wie ein Lesezeichen in seiner Bibel. Und Gäste aus Chicago, New York, San Francisco drängen sich vor Jeffersons Theke, um einen Half-Smoke zu ordern, eine Art gegrillten Hotdog, mit Zwiebeln bestreut und in Senf getaucht.

1968 gehörte die Imbissbude zu den wenigen Geschäften der Gegend, die bei den Rassenunruhen nach dem Mord an Martin Luther King nicht angezündet wurden. Heute pilgern die Massen hierher. "It‘s crazy", sagt ein Bauchladenhändler, der T-Shirts verkauft. Auf denen prangt flächendeckend die Titelseite der "Washington Post", wie sie nach der Wahlnacht erschien: "Obama Makes History", Obama macht Geschichte.

"Crazy", verrückt, das ist das Wort der Stunde.

Die abgehärteten Washingtonians sind ja manches gewohnt, so eine Amtseinführung gibt es schließlich alle vier Jahre. Aber das Spektakel, das heute den Ausnahmezustand über sie hereinbrechen lässt, dürfte alles in den Schatten stellen: 1,2 Millionen Schaulustige waren im bisherigen Rekordjahr erschienen, 1965, als Lyndon B. Johnson seinen Schwur leistete. Wie viele sich diesmal an der National Mall drängeln, dem breiten Grünstreifen, der sich vom Kapitol zum Lincoln-Memorial quer durchs Zentrum zieht, hängt vom Wetter ab.

Die bittere Kälte der letzten Tage hat ein wenig nachgelassen, Meteorologen prophezeien Temperaturen um die null Grad, dazu allerdings böigen Wind. Vielleicht finden zwei Millionen den Weg zur Mall, wer will schon darauf wetten. Schätzungsweise 10000 Reisebusse karren Besucher heran. Überdurchschnittlich viele kommen aus dem tiefen Süden, wo sie einem mit Obamas Hautfarbe noch vor knapp 50 Jahren im Schnellrestaurant nicht mal einen Hotdog über den Tresen geschoben hätten - nur Weiße durften dort essen.

Die Sicherheitsvorkehrungen sind groß: 8000 Soldaten, 4000 Angehörige der Nationalgarde und eine unbekannte Zahl von Geheimagenten verstärken das Großaufgebot der Polizei. Alle Brücken über den Potomac, die den Nachbarstaat Virginia mit der Hauptstadt verbinden, sind für den Privatverkehr ab vier Uhr morgens gesperrt. Nur Busse, Bahnen und Fußgänger dürfen sie passieren. Die Innenstadt wird weiträumig abgeriegelt, nur über Kontrollpunkte gelangen Besucher und Journalisten in den Sicherheitsbereich. Autos sind tabu. Die U-Bahn schiebt Sonderschichten und dürfte dennoch überfüllt sein. In ihren Tunneln werden Hunde nach Sprengstoff schnüffeln.

Wer dabei sein will, wird kilometerweit laufen müssen, um entweder in die Nähe des Kapitols zu gelangen oder an der Pennsylvania Avenue die Parade nach der feierlichen Zeremonie zu sehen. 240000 Glückliche konnten Tickets ergattern. Für die anderen bleibt wohl nur, schon nachts an der Pennsylvania Avenue zu kampieren.

(RP)
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