Das US-Wahlsystem erklärt Wie funktionieren die Briefwahlen und weshalb führen sie zu Problemen?

Washington · Die Corona-Pandemie bringt viele Wähler dazu, ihre Stimme postalisch abzugeben. Doch Präsident Trump wird nicht müde, gegen die Briefwahl Stimmung zu machen. Was ist dran an den Betrugsvorwürfen?

 Der Wahlzettel für die Briefwahl mit den Namen der Kandidaten und ihre Stellvertreter.

Der Wahlzettel für die Briefwahl mit den Namen der Kandidaten und ihre Stellvertreter.

Foto: dpa/Jim West

Welche Rolle spielt die Briefwahl?

Die Behörden rechnen wegen Corona mit einer massiven Zunahme der Briefwahl. Zudem findet die Wahl in den USA immer an einem normalen Arbeitstag statt, weswegen zum Beispiel 2016 bereits fast ein Viertel der Wähler per Post abstimmte. Das waren gut 33 Millionen Stimmen. Viele Bundesstaaten haben es wegen der Pandemie einfacher gemacht oder Fristen verlängert, um die Briefwahl zu ermöglichen. Manche Staaten wie zum Beispiel Kalifornien, Ohio und New Jersey schicken die Wahlunterlagen sogar unaufgefordert an die Bürger. In diesem Jahr könnte Experten zufolge fast jede zweite Stimme per Post kommen.

 Die Statistik der vergangenen Jahre zur Stimmabgabe bei US-Präsidentschaftswahlen.

Die Statistik der vergangenen Jahre zur Stimmabgabe bei US-Präsidentschaftswahlen.

Foto: dpa-infografik GmbH

Wann ist mit dem Wahlergebnis zu rechnen?

Bei den vergangenen Präsidentenwahlen stand der Sieger meist noch in der Wahlnacht fest. Mit dem erwarteten Anstieg an Briefwählern könnte sich die Auszählung der Stimmen deutlich verzögern – um einige Tage oder sogar noch länger.

Das US-Wahlrecht wird vor allem von den Bundesstaaten bestimmt. Mancherorts dürfen sogar noch am Wahltag abgesendete Stimmzettel gezählt werden, zudem ist die Auszählung von Briefwahlstimmen komplexer, etwa wegen eines nötigen Abgleichs der Unterschriften der Wähler. Wenige Tausend Stimmen könnten über den Wahlausgang in einem Staat entscheiden – eine verzögerte Auszählung der Briefwahlunterlagen könnte also von großer Bedeutung sein. Die im Staat Michigan für die Wahl verantwortliche Politikerin Jocelyn Benson hat wegen der Zunahme der Briefwahl vorgeschlagen, dieses Jahr lieber von einer „Wahlwoche“ als von einem Wahltag zu sprechen.

Zudem wollen Umfragen zufolge mehr Demokraten als Republikaner die Briefwahl nutzen. Daher könnten die ersten Auszählungsergebnisse aus den Wahllokalen mancherorts Trump in Führung sehen, die Auszählung der Briefwahlunterlagen letztlich aber Biden zum Sieg verhelfen. In einzelnen Bundesstaaten könnte es zudem auch Klagen und Forderungen nach einer Neuauszählung geben. Im Jahr 2000 etwa stand das Ergebnis im Bundesstaat Florida, das letztlich auch über die Präsidentenwahl entschied, erst gut einen Monat nach der Wahl fest. Der Rechtsstreit ging bis vor das Oberste Gericht in Washington.

Das sind die aktuellen Zahlen der Frühwähler

Rund drei Wochen vor der Präsidentschaftswahl in den USA hat bereits die Rekordzahl von mehr als zehn Millionen Bürgern ihre Stimmen abgegeben (Stand 12. Oktober). Das geht aus Zahlen des US Elections Project der Universität von Florida hervor, das auf die Observation der Wahl spezialisiert ist. Demnach wurden in den Bundesstaaten, die ihre entsprechenden Daten bereits ermitteln und weitergeben, insgesamt schon knapp 10,3 Millionen Stimmen abgegeben. Nach Angaben des Projekts ist diese Zahl um ein Vielfaches höher als drei Wochen vor der Präsidentschaftswahl von 2016. Die Frühwahl ist in den USA entweder per direkter Stimmabgabe an bestimmten Orten oder per Brief möglich. Aus vielen Bundesstaaten gibt es bereits Bilder von langen Schlangen von Wählern, die sich vor den Wahllokalen bilden.

 In Atlanta im Bundesstaat Georgia warten Menschen in einer langen Reihe, um vorzeitig ihre Stimme abzugeben.

In Atlanta im Bundesstaat Georgia warten Menschen in einer langen Reihe, um vorzeitig ihre Stimme abzugeben.

Foto: dpa/Brynn Anderson

Was für Probleme drohen bei der Briefwahl?

Sollten die Prognosen stimmen und noch mehr Briefwähler hinzukommen, ist das eine gewaltige logistische Herausforderung für die Wahl-Organisatoren. Unterlagen müssen rechtzeitig verschickt werden und dann fristgerecht ausgefüllt wieder bei den Wahlbehörden ankommen. Verzögerungen könnten dazu führen, dass Millionen Stimmen nicht gezählt werden. Im Sommer sorgten Vorwürfe gegen Trump für Aufregung, er wolle die Post gezielt schwächen, um die Briefwahlen zu torpedieren.

Ein weiteres Problem: Die Auszählung von Briefwahlstimmen ist besonders zeitaufwändig. Gerade bei einem engen Rennen in einem Schlüsselstaat könnte es deswegen Tage oder gar Wochen dauern, bis der Sieger feststeht.

 Ein Mitarbeiter bereitet Briefwahl-Stimmzettel für den Transport zu einem örtlichen Büro der US-Post vor (Archivbild, Ende September 2020).

Ein Mitarbeiter bereitet Briefwahl-Stimmzettel für den Transport zu einem örtlichen Büro der US-Post vor (Archivbild, Ende September 2020).

Foto: dpa/Lynne Sladky

Das Problem mit den Fristen

In den unterschiedlichen Bundesstaaten herrschen unterschiedliche Regelungen bezüglich der Fristen für die Briefwahlstimmen. Wie oben beschrieben, könnte es so passieren, dass gültige Stimmen nicht mitgezählt würden. In den Bundesstaaten Wisconsin und Minnesota haben nun Gerichte geurteilt, dass auch bis zu sieben Tage später eintreffende Briefwahlstimmen mitgezählt werden. Voraussetzung sei, dass sie den Poststempel des Wahltags oder des Tags davor tragen.

Die Fristverlängerung war – auch im Hinblick auf die Corona-Pandemie – auf Staatsebene im Konsens vereinbart worden. Dagegen klagten der republikanische Staatsabgeordnete Eric Lucero und ein Aktivist der Partei, James Carson. Das Wahlgesetz schreibt eigentlich vor, dass Briefwahlstimmen bis 20.00 Uhr am Wahltag zur Auszählung vorliegen müssen.

Wieso ist die Briefwahl plötzlich so umstritten?

Trump hat die etablierte Form der Abstimmung im Wahlkampf zum Zankapfel gemacht. Er warnte, dass die Zunahme der Briefwahl zu massiver Wahlfälschung führen werde. Vor allem kritisiert er, dass in manchen Staaten Wahlunterlagen unaufgefordert verschickt werden. Mancherorts würden Stimmzettel an „Tote und Hunde“ verschickt, sagte Trump. Er betrachtet die Briefwahl als Finte der Demokraten, um ihn mit Hilfe einer hohen Wahlbeteiligung zu schlagen.

 Die US-Post warnte in veröffentlichten Briefen die Bundesstaaten, sie könne nicht garantieren, dass per Briefwahl abgegebene Stimmzettel rechtzeitig zugestellt würden.

Die US-Post warnte in veröffentlichten Briefen die Bundesstaaten, sie könne nicht garantieren, dass per Briefwahl abgegebene Stimmzettel rechtzeitig zugestellt würden.

Foto: dpa/Hans Pennink

Was ist dran an Trumps Warnungen?

Trump hat bislang keine stichhaltigen Beweise vorgelegt. Experten und selbst viele Republikaner weisen Trumps Warnungen zurück. Wahlbetrug ist in den USA sehr selten. Selbst kleinere Vergehen können hier zu Gefängnisstrafen führen. Experten der Denkfabrik Brennan Center zufolge waren bei untersuchten Abstimmungen nur rund 0,0025 Prozent der in Wahllokalen abgegebenen Stimmen von Betrug betroffen, bei Briefwahl sogar noch weniger. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Amerikaner die Briefwahl manipuliere, sei geringer als die Wahrscheinlichkeit, vom Blitz getroffen zu werden, hieß es.

Texas geplante Einschränkung von Annahmestellen gekippt

Anfang Oktober erließ der republikanische Gouverneur von Texas, Greg Abbot, eine Anordnung, wonach die Annahmestellen für die Briefwahl auf eine pro Landkreis beschränkt werden solle.

Wer seine Briefwahl-Stimme nicht dem überlasteten Postsystem der USA überlassen will, kann sie alternativ an speziellen Annahmestellen abgeben. In der Corona-Krise gilt diese Praxis besonders für ältere Menschen und Risikopatienten als relativ sicher.

Diese Anordnung hätte dazu geführt, dass beispielsweise im Landkreis Harry County 2,3 Millionen Menschen genau eine Annahmestelle zur Verfügung gestanden hätte. Ein Gericht hat diese Beschränkung wieder aufgehoben. Als Begründung gab er unter anderem an, dass es für die Behauptung der Republikaner, mit dieser Einschränkung Wahlbetrug zu reduzieren keine belegbaren Fakten gebe. Des Weiteren würde so für die Wähler das Risiko, sich mit dem Coronavirus anzustecken, erhöht und es müssten viel längere Fahrtwege in Kauf genommen werden, was eher Menschen von der Wahl ausschließt beziehungsweise ihnen eine Stimmabgabe erschwert.

(june/dpa/AFP)
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