US-Expertin Rachel Tausendfreund „Niederlagen gibt es für Trump nicht“

Interview | Berlin · Rachel Tausendfreund, die politische Analystin des German Marshall Funds, der einst die Gelder des Marshall-Plans verwaltete, hält die demokratischen Institutionen der USA für stark genug, um mit Donald Trump im Falle einer Wahlniederlage fertig zu werden.

 US-Präsident Donald Trump besucht das Stahlwerk der United Steel Granite City Works im Bundesstaat Illinois.

US-Präsident Donald Trump besucht das Stahlwerk der United Steel Granite City Works im Bundesstaat Illinois.

Foto: AP/Jeff Roberson

Donald Trump hat sich vorzeitig zum Sieger der US-Wahl erklärt, obwohl noch ausgezählt wird. Steuern die USA in eine Verfassungskrise?

Tausendfreund Bislang ist es nur Gerede. Aber wenn die Auszählung länger andauert oder verzögert wird, ist es möglich, dass ein Gericht über die Wahl entscheiden muss.

Warum wartet Trump nicht einfach ab? Er hat ja bis jetzt noch nicht verloren.

Tausendfreund Abwarten passt nicht zu Trump. Er gibt sich immer optimistisch und siegessicher. Niederlagen gibt es für ihn nicht.

Findet er damit Unterstützung bei seinen Wählern, wenn er sich womöglich als schlechter Verlierer zeigt?

Tausendfreund Noch kritisieren nur wenige seiner Anhänger Trumps Verhalten. Sein Haus-Sender Fox News zieht jedenfalls noch nicht mit. Wenn es absurd wird, könnten viele abspringen.

Vizepräsident Pence spricht davon, dass noch gewählt wird. Setzt er sich von Trump ab?

Tausendfreund Pence hat Trump nicht direkt widersprochen. Aber er setzt schon eigene Akzente und sagt nicht, dass die Wahl bereits gewonnen ist.

Wie wird es jetzt weitergehen?

Tausendfreund Trump will den obersten Gerichtshof einschalten. Ich bin keine Rechtsexpertin, aber ich würde mich sehr wundern, wenn die Richterinnen und Richter eine Entscheidung treffen würden, solange noch ausgezählt wird.

Wird Trump das Weiße Haus verlassen, wenn das oberste Gericht die Wahl für gültig erklärt?

Tausendfreund Ich habe vielleicht nicht genug Fantasie. Aber wenn er sich vor Gericht nicht durchsetzen kann, wird er eine Trump-typische Erklärung finden, aber dann doch abtreten. Vielleicht sagt er, er hätte gewonnen, wenn es nicht die Corona-Krise gegeben hätte oder etwas Vergleichbares.

Die Prognosen haben den Herausforderer Biden weiter vorne gesehen. Haben sie sich erneut geirrt?

Tausendfreund Momentan sieht es enger aus als prognostiziert. Aber die vielen Briefwählerstimmen sind noch nicht ausgezählt. Man muss abwarten.

Verfügt Trump auch nach vier Jahren Präsidentschaft über eine breitere Anhängerschaft als gedacht?

Tausendfreund Es ist durchaus möglich, dass die Prognosen die Zustimmung zu Trump unterschätzt haben. Aber ein Teil seines Erfolgs lässt sich auch damit erklären, dass konservative Menschen eben republikanisch wählen, egal wer der Amtsinhaber ist.

 Rachel Tausendfreund, Politik-Analystin beim German Marshall Fund

Rachel Tausendfreund, Politik-Analystin beim German Marshall Fund

Foto: GMF

Wie gespalten ist die amerikanische Gesellschaft?

Tausendfreund Wir sind politisch sehr gespalten, weil sich die Wähler zwischen zwei Parteien entscheiden müssen. Und die haben sich extrem auseinander entwickelt. Das führt zu einer starken Polarisierung etwa bei den Themen Abtreibung oder Waffenbesitz. Im täglichen Leben sind die Amerikaner viel kompromissbereiter, auch bei umstrittenen Themen.

Ging es bei der Wahl vor allem um die Person Donald Trump?

Tausendfreund Bei den Demokraten stand die Person Trump im Mittelpunkt, ein kleinerer Teil der demokratischen Wähler wünscht sich auch eine andere Zukunft. Konservative Wähler finden, dass Trump die Wirtschaft gut in Gang gebracht hat. Außerdem sehen sie bei ihm ihre traditionellen Werte wie Familie und Ehe besser aufgehoben, auch wenn er selbst das nicht lebt.

Welche Rolle spielt das Management der Corona-Krise?

Tausendfreund Sie war offenbar nicht so überragend wie gedacht. Konservative Wähler bewerten Trumps in ihrer Sicht erfolgreiche Wirtschaftspolitik höher.

Aber sind nicht viele Jobs in der Industrie auch unter Trump weggefallen?

Tausendfreund Vor der Corona-Krise hat die Industrie unter Trump tatsächlich Arbeitsplätze aufgebaut, wenn auch noch nicht ausreichend genug. Aber die Regulierung der Kohle-Bergwerke hat er aufgehoben und dort Jobs gerettet. Und viele glauben, dass bei einer Wiederwahl Trumps dann endlich die neuen Jobs in der Industrie entstehen können.

Rachel Tausendfreund arbeitet als Editorial Director und Politik-Analystin beim German Marshall Fund in Berlin.

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