Vor dem Berlin-Besuch Obama - der große Pragmatiker

Washington (RP). Der amerikanische Präsidentschaftsbewerber ist kein Mann großer Visionen. Der Demokrat geht Probleme lieber sachorientiert an. Faszinierend sind dagegen Lebenslauf und seine brillanten Reden – Obamas Berlin-Besuch bietet eine Chance für große Worte.

Anschlag auf Obamas Redeort in Berlin
7 Bilder

Anschlag auf Obamas Redeort in Berlin

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Washington (RP). Der amerikanische Präsidentschaftsbewerber ist kein Mann großer Visionen. Der Demokrat geht Probleme lieber sachorientiert an. Faszinierend sind dagegen Lebenslauf und seine brillanten Reden — Obamas Berlin-Besuch bietet eine Chance für große Worte.

Es sind die Bilder, mit denen Barack Obama Politik macht: Ein Foto aus dem Oktober 2006 zeigt ihn mit seiner Frau Michelle und den Töchtern Malia und Sasha vor seinem Haus in Chicago — Obama, der treusorgende Familienvater, so lautet die Botschaft.

Wenn er am Donnerstag in Berlin an der Siegessäule seine mit Spannung erwartete Rede hält, werden die Kameras im Hintergrund auch das Brandenburger Tor einfangen — Obama, der Freund der Deutschen.

Auch bei seinem Besuch in Bagdad lieferte er wieder eines dieser symbolisch bedeutsamen Fotos: Es zeigt ihn Schulter an Schulter im Hubschrauber mit David Petraeus, dem Kommandeur der US-Truppen im Irak — der Präsidentschaftsbewerber und der extrem beliebte Viersternegeneral. Obama war nicht beim Militär, außenpolitisch ist er ein Grünschnabel. Er braucht den optischen Schulterschluss mit Petraeus. Was uns eint, ist wichtiger als das, was uns trennt, soll das Foto zeigen.

Symbolik vor dem Brandenburger Tor

Auch die Rede am Brandenburger Tor ist von Symbolik durchsetzt. Obama brauche aussagekräftige Bilder, wenn die Auslandsreise sein "Gesellenstück für außenpolitische Kompetenz" werden soll, sagt der Berliner Soziologieprofessor Harald Wenzel vom Lehrstuhl für die Soziologie Nordamerikas am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität (FU) Berlin. Das Brandenburger Tor stehe für den Wandel Europas und den Fall der Mauer. Der US-Politiker verwende selbst durchgängig den Slogan "Change we can believe in" (deutsch: Wandel, an den wir glauben können).

Wenzel betonte, möglicherweise sei die Siegessäule in diesem Zusammenhang sogar besser als Ort für die Rede geeignet als das Brandenburger Tor. Bei Bildern ins Publikum werde das Wahrzeichen Berlin noch besser zu sehen sein, wenn Obama über Wandel spreche. Der USA-Experte geht davon aus, dass dies das Kalkül der Berater des Senators bei der Planung des Auftritts sei.

Solche Auftritte und Inszenierungen seien Obamas Stärke, sagt Clarence Page, "coole Sachlichkeit." Page hat hautnah miterlebt, wie der Senator auf der Sprossenleiter nach oben kletterte. Der 61-Jährige ist Kolumnist der "Chicago Tribune". Er hat den Pulitzerpreis gewonnen, hat die Stadt, die sich stolz als Second City neben New York begreift, genau studiert.

Spurensuche in Chicago

Wer Obama verstehen will, muss in Chicago nachforschen. Dort war er Sozialarbeiter und Rechtsprofessor, dort holte er sich einen Sitz im Bundesstaatenparlament von Illinois, dort schaffte er 2004, was viele für unmöglich hielten: den Sprung in den US-Senat. "Wir kennen wir ihn als lupenreinen Pragmatiker", erinnert sich Page. "Es hieß, der kriegt Dinge gebacken."

Das ist genau das, wonach die Amerikaner sich sehnen. Sie wollen einen Präsidenten, der pragmatische Lösungsansätze bietet für das deprimierende Gemisch aus Immobilien-, Kredit- und drohender Jobkrise. Ideologischen Streit hatten sie unter George W. Bush genug. Obama spielt perfekt auf dieser Klaviatur. Immer wieder spricht er von den Vereinigten Staaten, wobei die Betonung stets auf dem ersten Wort liegt. Er teilt die Welt nicht in Freund und Feind. Und ist er, der Sohn einer Weißen und eines Schwarzen, nicht das perfekte Symbol für das Überwinden von Schranken? "Hey, ich bin die Welt", hörte ihn Page einmal scherzen. Das war, als sie Michael Jackson singen hörten, "We are the world".

Wer eine große Vision sucht, der sucht indes vergebens. Ein Thema, ein Gesetz, für das sich Obama mit aller Kraft ins Zeug legte. Was ihn heraushob, war sein Nein zum Feldzug im Irak. Im Oktober 2002, fünf Monate vor Kriegsbeginn, stellte er sich in Chicago auf die Bühne einer Friedenskundgebung: "Das ist es, wogegen ich bin: ein dummer Krieg, ein voreiliger Krieg, ein Krieg, der nicht auf Vernunft gründet, sondern auf Leidenschaft." Es waren kühle, analytische Sätze, typisch Obama. Sätze, die ihm heute Glaubwürdigkeit verleihen, in ihrer Urteilskraft ausgleichen, was ihm an Erfahrung fehlt.

Ansonsten bietet der Senkrechtstarter das normale Programm eines demokratischen Bewerbers. Die Welle der Begeisterung, die er ins Rollen brachte, verdankt er keinem großen Entwurf, sondern eher seiner faszinierenden Biografie. Ein Lebenslauf, den inzwischen fast jedes Schulkind kennt. Die Mutter aus Kansas, der Vater aus Kenia, zwei Idealisten, die sich beim Russischkurs der Universität Hawaii kennen lernten. Die frühe Schulzeit in Indonesien, der Wechsel zurück nach Hawaii, wo sich die Großeltern um ihn kümmerten. Studium in Los Angeles und New York, Gemeindearbeit in den ärmsten Vierteln Chicagos. Dann der Durchbruch, der ihm alle Türen öffnete. Harvard, die Eliteschmiede.

Aufstieg in Harvard

Das Kapitel Harvard, es gibt mehr Aufschluss über Obama als alle Wahlreden. Als erster Farbiger schaffte er es, die "Harvard Law Review" zu leiten, die renommierteste Jurazeitschrift. Warum ihn seine Mitstudenten wählten, allein das spricht Bände. Zwei Fraktionen stritten, blockierten einander, hier die harte Linke, dort die harte Rechte. Obama gewann, weil die Gemäßigten für ihn stimmten, moderate Linke ebenso wie moderate Konservative. Im Senat zu Washington verstand er sich lange blendend mit John McCain, dem Querdenker der Republikaner. Bush attackiert er in der Sache hart, aber nie unter der Gürtellinie. "Streiten, ohne sich zu zerstreiten", lautet die Formel, die oft in seinen Reden auftaucht.

Apropos Reden. Große Rhetorik ist das Markenzeichen dieses Naturtalents. Sie hat die Amerikaner in seinen Bann geschlagen, sein "Yes, we can" wird sich als die Parole des Jahres 2008 im Gedächtnis festhaken. Manchmal sind die Worte so grandios, dass ihn seine Kritiker als Luftikus madig machen. Das Greenhorn mit den markanten Sprüchen werde arg überschätzt, suggeriert das Lager McCains.

Obamas Fans glauben, dass die USA mitten in einem schwierigen Umbruch genau diese Redekunst brauchen. Sätze wie die, mit denen John F. Kennedy die Nation aufrüttelte. "Mein Gott", erinnert sich Page, "was war das für ein Moment". Januar 1961, Kennedys Antrittsrede. "Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann, fragt, was ihr für euer Land tun könnt." Der Starkolumnist war damals 13. Die Gänsehaut, die er bekam, wird er nie vergessen. So eine Aufbruchstimmung zu entfachen, das könnte auch Obama gelingen. "Er wäre", glaubt Clarence Page, "ein inspirierender Präsident, genau wie es JFK war."

(RP)
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