Enge Entscheidungen bei Kongresswahlen Ein kleiner Sieg für Biden – Denkzettel für Trump

Pittsburgh/Pennsylvania · Ein Wahltag für die Geschichtsbücher: Die Amerikaner erteilten bei den Midterms nicht Joe Biden, sondern Donald Trump und seinen MAGA-Kandidaten einen Denkzettel. Das Rennen um die Macht im Kongress bleibt auch am Donnerstagmorgen noch unentschieden.

Midterms 2022 in den USA - Fotos: So wählen die Amerikaner
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So wählen die Amerikaner bei den Midterms 2022

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Foto: AFP/Jim Vondruska

Bei den US-Senatswahlen sind am Donnerstagmorgen drei Rennen noch nicht entschieden, jede Partei bräuchte aber mindestens zwei dieser Sitze für eine Mehrheit – und in mindestens einem Fall ist eine Stichwahl abzuwarten. Auch mit Blick auf das Repräsentantenhaus bleibt es spannend: Unter den bislang ausgerufenen Wahlsiegern liegen die Republikaner zwar näher an der Mehrheitsschwelle. Allerdings fehlen noch immer so viele Wahlbezirke, dass sich dieses Bild zumindest theoretisch wieder ändern könnte.

Für eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus sind 218 Sitze nötig, bis Mittwochabend (Ortszeit) hat die Nachrichtenagentur AP für das Repräsentantenhaus 207 republikanische und 184 demokratische Wahlsieger ausgerufen. In 44 weiteren Rennen war noch keine Entscheidung verkündet.

Es sollte ein rauschendes Fest werden im goldenen Ballraum von Mar-A-Lago. In Erwartung eines klaren Siegs der Republikaner bei den Zwischenwahlen hatte Donald Trumps Team ein Podium aufgebaut, hinter dem Sternenbanner Spalier standen. Eine pompöse Kulisse für den Führer der Make-America-Great-Again-Bewegung, der sich und seinen Einfluss auf das Rennen der 330 Kandidaten feiern wollte, die am Dienstag mit seiner Unterstützung angetreten waren. Der einzige Kandidat, der an diesem Abend einen großen Triumph feiern konnte, hieß jedoch Ron DeSantis. Der Gouverneur des Sonnenstaates Florida hatte seine Wiederwahl mit fast sechs von zehn Wählerstimmen gesichert.

Als Trump hinter das Podium trat, war ihm die Feierlaune sichtlich vergangen. In seinen knappen Ausführungen erwähnte er den 30 Jahre jüngeren Rivalen nicht, in dem viele Republikaner die Zukunft der Partei sehen. Statt DeSantis zu gratulieren, sprach der Ex-Präsident über den Sieg Katie Britts im tief-republikanischen Alabama. Nicht gerade ein Indikator für den Erfolg seiner Kandidaten, die Trump mit 50 Kundgebungen und 16 Millionen Dollar im Wahlkampf unterstützt hatte. Ein besserer Gradmesser wäre das Rennen in Pennsylvania gewesen. Dort hatte sich Trump hinter Fernseh-Doktor Mehmet Oz gestellt, der mit dem Demokraten John Fetterman um den offenen Sitz im Senat rang. Und hinter den Rechtsaußen Doug Mastriano, der in dem Wechselwählerstaat für das Gouverneursamt angetreten war.

Doch Trumps Kandidaten scheiterten spektakulär. „Dr. Oz“ führte zu keinem Zeitpunkt gegen einen Kandidaten, der im Mai einen Schlaganfall erlitten hatte und mehrere Wochen pausieren musste. Sichtbar überwältigt von seinen Gefühlen trat Fetterman im schwarzen Kapuzen-Pullover vor seine Anhänger in Pittsburgh. Hinter dem Kandidaten leuchtete in Blau die Zahl 47 und in Rot 46 auf – der Stand des Herzschlagfinales um die Kontrolle im Senat. Er hat für die Demokraten einen Senatssitz in dem wichtigen Wechselwähler-Staat hinzugewonnen und damit vermutlich die Mehrheit gesichert. Zur selben Zeit führte in Nevada die Demokratin Catherine Cortez Masto gegen den von Trump unterstützten Kandidaten Adam Laxalt.

In Arizona sah es danach aus, als ob Demokrat Mark Kelly seinen Sitz gegen den Republikaner Blake Masters verteidigen könnte. Und in Georgia lag der demokratische Reverend Raphael Warnock um eine Nasenlänge vor dem republikanischen Footballstar Herschel Walker, einem anderen Protegé des Ex-Präsidenten. Wenn Warnock unter 50 Prozent bleibt, wonach es zuletzt aussah, gibt es am 6. Dezember eine Stichwahl. Die Trump-Kandidaten für den Senat schnitten allesamt schlechter ab, als bei Zwischenwahlen zu erwarten gewesen wäre.

Dieses Muster wiederholte sich in der Wahlnacht im Repräsentantenhaus. Dort hatten die Republikaner mit Zugewinnen von mehr als zwei Dutzend Mandaten gerechnet. Siegesgewiss hatte der republikanische Minderheitenführer Kevin ­McCarthy bereits am Vorabend der Zwischenwahlen Interviews gegeben, in denen er ankündigte, Präsident Joe Biden vor sich hertreiben zu wollen. Kurz vor zwei Uhr in der Nacht erklärten die Moderatoren der großen TV-Sender, warum nicht mit einer schnellen Entscheidung zu rechnen sei. Ungeachtet dessen preschte McCarthy vor und erklärte, für ihn sei klar, „dass wir das Haus zurückgewinnen“. Dafür bräuchten die Republikaner 218 Sitze.

Nach Stand der Auszählung sagen die Modelle 219 plus/minus 13 Sitze voraus. Womit weiterhin die vage Chance besteht, dass die Demokraten ihre Mehrheit verteidigen. Wegen der komplizierten Regeln in einigen Bundesstaaten kann das Ergebnis auf sich warten lassen. Sollte es an wenigen Ergebnissen in Kalifornien hängen, könnte es Tage dauern, bis Klarheit besteht.

In Michigan schlug Hillary Scholten den von Trump unterstützten Anhänger der Behauptung von den gestohlenen Wahlen, John Gibbs. In Ohio musste sich in einem gewöhnlich sicheren Wahlbezirk Trump-Kandidat Steve Chabot dem Demokraten Greg Landsman geschlagen geben. Und in Colorado lag die Waffennärrin Lauren Boebert hinter dem Demokraten Adam Frisch zurück. Drei von Dutzenden Beispielen. Die Verschwörungstheoretikerin Mayra Flores, die in Texas antrat und verlor, sagte etwas Wahres, als sie twitterte: „Republikaner und Unabhängige sind zu Hause geblieben.“ Umso mehr Frauen und Jungwähler beteiligten sich an der Wahl. Während Inflation laut Nachwahlumfragen die meisten Wähler bewegte, spielte auch der Zugang zur straffreien Abtreibung eine Rolle. Von Vermont über Kentucky, Michigan und Montana bis hin nach Kalifornien zeichneten sich Mehrheiten bei Referenden ab, die darauf abzielten, den Zugang zu straffreien Schwangerschaftsabbrüchen zu sichern. Das dürfte Kandidatinnen wie den Gouverneurinnen Gretchen Whitmer in Michigan und Kathy Hochul in New York bei ihrer Wiederwahl geholfen haben.

Nachdem Trumps Berater den Ex-Präsidenten mit Mühe davon abgehalten hatten, bereits vor dem Wahltag seine erneute Präsidentschaftskandidatur anzukündigen, gab sich Trump im goldenen Ballraum von Mar-A-Lago wortkarg. Derweil ließ sich DeSantis in Tampa von seinen Anhängern feiern und schielt in Richtung Präsidentschaftskandidaten 2024. Eine volle Amtszeit als Gouverneur dauert vier Jahre.

Wie sehr Donald Trump der Erfolg des populären Parteifreundes wurmt, lässt sich nicht nur daran ablesen, dass er in den vergangenen Tagen wiederholt gegen ihn stichelte; unter anderem nannte er ihn „Ron DeSanctimonious“ (dt. Ron der Scheinheilige“). Trump hielt am Wahltag auch eine Warnung an den Rivalen bereit. Er könne über DeSantis „Dinge erzählen, die nicht besonders schmeichelhaft sind“, sagte Trump gegenüber Fox News. Er wisse mehr über ihn „als jeder andere – mit Ausnahme vielleicht seiner Frau“.

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