Psychiater Manfred Lütz „Trump hat nicht gelernt zu verlieren“

Interview | Düsseldorf · Mit Zorn und einem Angriff auf die Demokratie hat der amerikanische Präsident auf seine drohende Wahlniederlage reagiert. Der Psychiater Manfred Lütz sieht die Gründe in Trumps fehlender Moral – und hält den Präsidenten psychologisch für einen simplen Fall.

 „Das kennt jeder, der Kinder erzogen hat“: Manfred Lütz.

„Das kennt jeder, der Kinder erzogen hat“: Manfred Lütz.

Foto: Herder

Der Psychiater und Theologe Manfred Lütz hat ein Buch geschrieben über tatsächliche und vermeintliche Anzeichen psychischer Erkrankungen. Donald Trump hält er für gefährlich, nicht für pathologisch.

Warum kann einer wie Donald Trump so schlecht verlieren?

Lütz Weil er das nie gelernt hat.

Komplexer ist die Sache nicht?

Lütz Nein, Donald Trump ist psychologisch nicht sehr kompliziert. Er ist schlicht ein Mensch, dem man die Moral abgewöhnt hat. Er hat von seinem Vater gelernt, das Wichtigste im Leben sei Geld, Erfolg und der Größte sein, und dafür dürfe man jede Schweinerei machen. Das hat er verinnerlicht. Und er sagt das auch ganz offen, macht hemmungslos frauenfeindliche, rassistische, menschenverachtende Sprüche, mit denen er bei seinen Anhängern Erfolg hat. Man braucht keinen Psychiater, um so etwas zu entschlüsseln. Er ist ein zutiefst unmoralischer Mensch, darum halte ich ihn für brandgefährlich.

Nach seinem denkwürdigen Auftritt in der Wahlnacht hat er erst noch einmal wie verrückt getwittert. Man hörte, er habe im Weißen Haus auch getobt. Dieser Zorn wird sich nun möglicherweise über seine Anhänger in den USA auf die Straßen verlagern. Ist das ein typisches Verhalten von Menschen, die nicht gelernt haben, mit Niederlagen umzugehen?

Lütz Das kennt jeder, der Kinder erzogen hat. Trump hat die Mentalität eines spätpubertierenden Gang-Mitglieds. Wenn er seinen Willen nicht kriegt, schlägt er um sich. Bei ihm ist ein Ventil, Twitter-Nachrichten zu versenden. Wenn Menschen sich so verhalten, ist das aber nicht pathologisch, sondern das gehört zum normalmenschlichen Verhaltensrepertoir. Psychisch Kranke sind demgegenüber normalerweise übrigens viel netter als solche Rambos.

Warum fasziniert Trump trotzdem so viele Menschen auch hierzulande – wenn auch negativ?

Lütz Das ist ein wichtiger Punkt. Es ist doch merkwürdig, dass in den USA die Hälfte der Wähler Trump ihre Stimme gegeben hat, während ihn in Deutschland fast alle ablehnen. Parteiübergreifend. Da gibt es offensichtlich ein Missverständnis zwischen den USA und Europa.

Worin besteht das?

Lütz Es gibt nicht nur Spaltungstendenzen in den USA selber, sondern auch einen Spalt quer durch den Atlantik zwischen uns und denen da drüben. Aber diese Tendenzen sind längst auch zu uns herübergeschwappt. Noch nicht so heftig, aber durchaus bemerkbar. Diese Spaltungstendenzen haben nach meinem Eindruck damit zu tun, dass in unseren Gesellschaften Religion weitgehend durch Moral ersetzt wurde, die die Menschen krass in Gute und Böse unterteilt. Viele Menschen folgen nicht mehr der christlichen Tradition und sehen im Nächsten, auch wenn er eine andere Meinung vertritt, ein Geschöpf Gottes, das die gleiche Würde besitzt wie man selbst und das man deswegen respektieren, wenn nicht sogar als Nächsten lieben soll. Stattdessen sehen sie sich als Teil einer moralisch hochstehenden Gruppe von Guten, die sich beständig selber heiligspricht und dadurch stabilisiert, dass sie die anderen, die Bösen, verachtet. Wahlweise die Trumps oder die Linken, die Rassisten oder die Multikultis, die angeblichen Coronaprofiteure oder die Coronaleugner. Und alle Menschen, die die eigene Meinung nicht teilen, verachtet man. Das wird nicht ausgesprochen, aber man behandelt Andersdenkende sozusagen wie Nichtse, undenkbar, mit denen auch nur zu reden. Wenn die SPD-Vorsitzende Saskia Esken etwa Corona-Demonstranten „Covidioten“ nennt, dann entspricht das genau dieser Mentalität. So ein Wort ist nur witzig für die eigenen verständnisvoll nickenden Anhänger, es stabilisiert die eigene Gruppe und verstärkt die Spaltung. Die Lehre aus der tragischen Spaltung in der amerikanischen Gesellschaft müsste aber im Gegenteil sein, zwar der anderen Meinung klar und tapfer zu widersprechen, aber dennoch wertschätzend mit Menschen anderer Auffassung umzugehen. Das ist auch die Basis einer Demokratie, denn sonst ist es ja sinnlos, parlamentarisch argumentativ mit anderen Meinungen umzugehen.

Hat es nicht auch damit zu tun, dass Menschen aus der einen Blase die aus der anderen gar nicht so genau kennen?

Lütz Genauso ist es. So gerät man in eine symmetrische Eskalation: Man steigert immer bloß die eigene Gruppenidentität. Das verhindert, dass man die anderen kennenlernen kann. Wir müssen wieder lernen, auf Menschen anderer Meinung zuzugehen. Man hört so schnell den Satz: „Mit denen kann man nicht reden...“ Der stimmt aber nicht. Man kann mit jedem Menschen reden.

Fehlen nicht auch die Orte für solche Begegnungen mit Andersdenkenden?

Lütz Ja, das ist ein Problem. Im Internet stößt man eher auf Gleichgesinnte, hat seine Follower. Das Eigentliche passiert aber doch, wenn man einen anderen Menschen kennenlernt und es für möglich hält, sich von diesem Anderen überraschen zu lassen.

Wie könnte man solche Orte wieder schaffen und auch die Diskursfähigkeit wieder trainieren?

Lütz Das könnte man zum Beispiel in den Kirchen trainieren. Da gibt es etwa gerade bei den Katholiken den so genannten Synodalen Weg, wo über strittige Themen diskutiert wird. Leider sind aber auch dort die Fronten zum Teil so verhärtet, dass jemand, der nicht beispielsweise für die Frauenordination und gegen den Zölibat eintritt, sofort als erzkonservativ abgestempelt wird. Im ökumenischen Diskurs ist es dagegen gelungen, wertschätzend mit ganz anderen christlichen Auffassungen umzugehen. Davon könnte man lernen. Und das könnte dann auch in die Gesellschaft ausstrahlen. Wertschätzenden Diskurs kann es auch an Volkshochschulen geben, in Bildungswerken, Vereinen. Im Mittelalter gab es an den Universitäten höchst kontroverse Disputationen. Da hat einer eine These vorgetragen und der Gegner musste dann erstmal diese These mit ihren stärksten Argumenten wiederholen. Erst dann durfte er seine Gegenposition darstellen. Wenn wir diese Disziplin hätten, die andere Meinung nicht von vornherein idiotisch zu finden, dann kommen wir wieder zu substanziellen Debatten über unterschiedliche Positionen, dann können wir die Spaltungen Schritt für Schritt überwinden. Und damit könnte man morgen schon anfangen.

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