Wenige Tage vor der US-Wahl Die Obama-Jahre - der entzauberte Präsident

Washington · Er startete seine Amtszeit als Hoffnungsträger. Heute wirkt Barack Obama ernüchtert. In wenigen Tagen wählen die USA einen neuen Präsidenten - oder behalten ihren aktuellen.

Obama besucht Katastrophengebiet New Jersey
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Das kleine Pult mit dem Amtswappen steht mitten in einer Trümmerwüste, direkt vor einem Haufen wild durcheinandergewirbelter Bretter am Strand von Atlantic City. Der oberste Krisenmanager trägt Khakihosen und eine dunkelblaue Windjacke, er klingt entschlossen wie ein kantiger General.

Seine Haare sind grauer, seine Gesichtszüge härter als im Hoffnungsherbst 2008. "Ich habe meinen Leuten eingeschärft, dass wir keinen Amtsschimmel dulden. Keine Bürokratie", sagt Barack Obama und erklärt die 15-Minuten-Regel. Welche lokale Stelle auch immer anrufe aus dem Katastrophengebiet, innerhalb einer Viertelstunde müsse sein Team eine schlüssige Antwort geben. Befehl!

Traumbilder für Obama

Es sind Traumbilder für den Präsidenten. Exakt so wünschen sich Amerikaner ihre Politiker, hemdsärmelig, unkompliziert und ohne Parteienscheuklappen. Falls Obama die Wahl gewinnt, wird es hinterher heißen, lag es an seinem Auftritt an der von "Sandy" verwüsteten Notstandsküste.

Ein Brückenbauer, der das Brückenbauen verlernte, sich aber in der Krise wieder darauf besann — so geht schon jetzt der Tenor der Kommentatoren. Vor vier Jahren war der unerfahrene Senator aus Illinois angetreten, die Streithähne Washingtons zu versöhnen, Gräben zuzuschütten, wie sie in der Ära Bill Clintons und George W. Bushs aufgerissen worden waren. Obama glaubte an die Macht der Vernunft, er glaubte an die Fähigkeit praktisch veranlagter Politiker, sich irgendwo in der Mitte zu treffen. Was er kaum tat, war, um die Gunst der Gegenseite zu werben, nicht zuletzt durch kleine Gesten, wie sie die Machtmaschine Washington nun einmal schmieren.

Von den 104 Golfpartien, die er in knapp vier Amtsjahren spielte, spielte er nur eine mit einem Republikaner. Folgt man Bob Woodward, dem nach wie vor bestens informierten Watergate-Enthüller, dann sitzt er lieber pünktlich um 18.30 Uhr bei seiner Familie beim Abendessen statt bei irgendeinem lästigen Dinner mit Abgeordneten.

"Lücken finden"

Die Rituale der Stadt sind ihm zuwider, die gesellschaftlichen Verpflichtungen ebenso wie das Klein-Klein der Verhandlungen mit der Opposition. "Die Konservativen haben ihm eine Mauer in den Weg gestellt", meint Woodward. "Die Aufgabe des Präsidenten ist es, Breschen in die Mauer zu schlagen oder Lücken zu finden. Obama hat es nicht getan."

Obamas Freundeskreis ist derselbe wie einst in Chicago. Angeführt wird er von Valerie Jarrett, die im Privaten eine treue Mentorin ist, aber auch in der Regierungszentrale ein Machtwort spricht. Kenner wie Woodward halten die Mischung für problematisch, weil sie einen Mann, den bewundernde Ja-Sager umgeben, nur noch stärker abkapselt von der Realität.

In Sachen Polemik überließ "Mister Cool" das Feld anfangs komplett den Konservativen, aus dem Glauben heraus, dass sich rationale Vernunft schon durchsetzen werde. Notfalls, glaubte er, müsste er eben eine jener mitreißenden Reden halten, die ihn nach oben katapultiert hatten, dann würde er die Gegenseite schon überzeugen oder sie zumindest unter den immensen Druck der Öffentlichkeit setzen.

Obama schlug zynische Töne an

Die Rechnung ist nicht aufgegangen. Ungerührt ließen ihn die Republikaner abblitzen, etwa, als sie die Gesundheitsreform geschlossen ablehnten, obwohl sie wichtige Sozialgesetze früher zumindest fraktionsweise mitgetragen hatten. Obama reagierte auf die Fundamentalopposition, indem er selber, ganz gegen sein Naturell, bisweilen zynische, bittere, kleinkarierte Töne anschlug. 2011 kanzelte er die zerstrittenen Parlamentarier ab, indem er ihnen die Disziplin seiner Töchter vorhielt: "Malia und Sasha haben ihre Hausaufgaben meistens einen Tag vor dem Abgabetermin erledigt. Der Kongress kann das auch."

Im Duell mit Mitt Romney konzentrierte er sich wochenlang nur darauf, den Rivalen als Hedgefonds-Heuschrecke zu karikieren, statt deutlich zu machen, was er an eigenen Programmen zu bieten hat. Angesichts der Negativkampagne des Sommers klangen "hope" und "change" wie Fremdwörter aus einer längst verflossenen Epoche. Da war der Hoffnungsträger, die Stirn angestrengt in zornige Falten gelegt, nicht mehr er selber. Erst auf der Zielgeraden findet er, "Sandy" sei Dank, wieder zurück zu seinem alten Versöhner-Motiv.

Und die Bilanz? Obama ist kein Präsident, der das Land grundlegend verändert, so wie es Franklin D. Roosevelt und Ronald Reagan taten. Wer ihn als Wiedergänger des verklärten John F. Kennedy feierte, sieht sich eines Besseren belehrt. Manches avisierte Projekt blieb liegen, die überfällige Einwanderungsreform oder aber Klimagesetze, wie sie der Kandidat Obama mit überlauten Fanfaren ankündigte ("Dies ist der Moment, in dem sich der Anstieg der Ozeane zu verlangsamen begann").

Obama verhinderte Wirtschaftskrise

Es ist nicht so, dass nichts gelungen wäre. Obamas Wirtschaftspolitik verhinderte, dass die USA in eine Depression rutschten wie in den 1930er Jahren. Er rettete die Autoindustrie, holte die Truppen aus dem Irak nach Hause, stellte die Weichen für einen Abzug aus Afghanistan und erwischte Osama bin Laden, den Terrorpaten, mit dem die Amerikaner das Trauma des 11. September verbinden. Innenpolitisch gelang ihm mit der Gesundheitsreform ein historischer Schritt.

Außenpolitisch stimmte er seine Landsleute ein auf Zeiten neuer Bescheidenheit, in denen die USA das globale Mächtespiel nicht mehr so dominieren würden wie bisher. Doch das Gefangenenlager Guantánamo ist nicht geschlossen, der Friede in Nahost nicht näher gerückt. Irans Ajatollahs haben die Hand, die ihnen Obama schon mit seiner Rede nach dem Amtseid ausstreckte, nicht ergriffen.

Ein Teil der Enttäuschung geht einfach auf die enorme Erwartungshaltung zurück, auf das Fieber um den "Messias" Obama. Dass er den Sinkflug der Wirtschaft abbremste, danken ihm seine Landsleute nicht, schon deshalb nicht, weil das durchschnittliche Haushaltseinkommen seit 2009 um mehr als vier Prozent sank und die Arbeitslosigkeit noch immer deutlich über dem langjährigen Mittel liegt. Es sei ungeheuer schwer, hypothetisch zu argumentieren, klagte Obama einmal sein Leid. "Indem man sagt, wisst ihr, die Lage könnte heute noch viel schlechter sein."

Ein begnadeter Kommunikator

Das Seltsamste ist: Der Wortkünstler, den sie als begnadeten Kommunikator feierten, hat die Kunst des Kommunizierens verlernt. Er versteht es nicht, die große Geschichte zu erzählen, zu erklären, für welche Ziele er steht. Nach Ansicht des New-York-Times-Kolumnisten David Brooks müsste er einfach mal eine Schweiß-Blut-und-Tränen-Rede nach dem Vorbild Churchills halten. Aber darauf warte das Land noch immer. Obama rede, als würde er eine Liste abhaken, Posten für Posten.

Tatsächlich bedurfte es eines Bill Clinton, um in drei Sätzen zu bündeln, wie vermessen manche Republikaner in ihrer Kritik am Weißen Haus klingen. "Wir haben ihm das totale Chaos hinterlassen. Er hat nicht schnell genug aufgeräumt. Also feuert ihn und holt uns zurück."

Obama merkwürdig lustlos

Darauf reduziere sich die Leitmelodie der Konservativen, wetterte der Altpräsident im September. Vier Wochen darauf wirkte Obama in seiner ersten Fernsehdebatte mit Romney so merkwürdig lustlos, als müssten ihn Senioren wie Clinton zum Jagen tragen. War es die Resignation eines Professors, dessen Appelle ans Rationale ungehört verhallen? War es Hybris? Eine Folge des Lebens in der Machtblase?

"Für ihn sind die Sorgen der Menschen nicht politisch, sie sind persönlich", beteuert Michelle Obama. Als es ins Weiße Haus zog, hatte das Präsidentenpaar noch geplant, alle paar Wochen heim nach Chicago zu fliegen, um unter normalen Leuten zu sein in einer normalen, bodenständigen Stadt. Es blieb ein frommer Wunsch.

Die Seitenstraße, an der das backsteinrote Einfamilienhaus der Obamas liegt, ist weiträumig abgesperrt mit hässlichen Betonbarrieren. Wer sie passiert, riskiert eine Festnahme. Und in den Salon seines Stammfriseurs darf der Präsident auch nicht mehr gehen, dem Secret Service ist es zu heikel. Dafür steht der Frisiersessel, in dem er immer saß, unter Glas. Wie ein Museumsstück.

(RP/nbe/csi)
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