Analyse zur Politik des US-Präsidenten Trumps autoritäre Neigungen

Der US-Präsident manipuliert und verdreht die Fakten so, wie es ihm gerade in den Kram passt. Bisher hat das politische System der USA dies ausgehalten – doch das ist keine Garantie für alle Ewigkeit.

 Der US-Präsident Donald Trump spricht in Colorado Springs.

Der US-Präsident Donald Trump spricht in Colorado Springs.

Foto: AP/Evan Vucci

Der reinen Staatslehre nach handelt das Justizministerium der USA autonom. Es ist der Herrschaft des Rechts verpflichtet, dem Wohl der Demokratie, nicht dem des Staatsoberhaupts. Vom Präsidenten lässt es sich nicht diktieren, was es zu tun und zu lassen hat. Das sind theoretisch die Leitplanken, und wie man sich an ihren orientiert, haben prinzipienfeste Minister in der Vergangenheit eindrucksvoll bewiesen.

Da wäre Elliot Richardson, unter Richard Nixon Chef des Ressorts. Nixon hatte den Sonderermittler der Watergate-Affäre abgesetzt, als der ihn aufforderte, Tonbänder herauszugeben, auf denen sämtliche im Oval Office geführten Gespräche aufgezeichnet waren. Richardson beantwortete den selbstherrlichen Eingriff, indem er zusammen mit einem Stellvertreter seinen Hut nahm. Weil es an einem Samstagabend geschah, ging das Kapitel unter einem krimiträchtigen Titel in die Annalen ein – „The Saturday Night Massacre“. Die Botschaft des Dramas vom Oktober 1973 konnte kaum deutlicher sein: Die Justiz ist unabhängig, auch ein Präsident steht nicht über dem Recht.

Gerade diese Unabhängigkeit stellt Donald Trump dieser Tage so massiv infrage, wie es seit Nixon kein Präsident gewagt hat. Im Allmachtgefühl nach dem Freispruch im Impeachment-Prozess, bei dem nur einer von 53 republikanischen Senatoren gegen ihn stimmte, griff er mit der Forderung nach Strafmilderung in das Verfahren gegen einen langjährigen Vertrauten ein.

Um es kurz zu rekapitulieren: Roger Stone, ein alter Freund, soll Wikileaks kontaktiert haben, bevor die Plattform im Wahljahr 2016 von Hackern erbeutete E-Mails aus der Parteizentrale der Demokraten veröffentlichte. Er soll das Parlament belogen und die Untersuchungen Robert Muellers in der Russlandaffäre behindert haben. Als die Anklage eine Strafe von sieben bis neun Jahren Gefängnis empfahl, ließ Trump seinen Justizminister William Barr intervenieren, um die Klage abzuschwächen. Daraufhin gaben die vier zuständigen Staatsanwälte den Fall aus Protest ab, wobei einer noch einen Schritt weiterging und seinen Dienst im Department of Justice quittierte. Weil Trump nachkartete, statt ausnahmsweise zu schweigen, sah sich Barr veranlasst, öffentlich Widerspruch anzumelden: So könne er seinen Job nicht machen. Am Donnerstag schließlich wurde Stone von einer Bundesrichterin in Washington zu 40 Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Was der Präsident Stunden später mit den Worten kommentierte, dieser „gute Mann“ müsse schon deshalb entlastet werden, weil die Geschworenen-Jury, die ihn schuldig sprach, von einer Anti-Trump-Aktivistin angeführt worden sei.

Allein die Tatsache, dass sich der zuständige Minister inmitten der Machtprobe protestierend zu Wort meldete, hat absoluten Seltenheitswert. Seit Barr vor zwölf Monaten ins Kabinett eintrat, erwarb sich der 69 Jahre alte Jurist aus New York den Ruf, einer der treuesten Trump-Loyalisten im Regierungsviertel zu sein. Er gilt als Anhänger einer Rechtstheorie, die dem Präsidenten als dem Chef der Exekutive nahezu unbeschränkte Vollmachten zubilligt und die Kontrollfunktion der Legislative aufs Nötigste beschränkt. Wenn selbst er sich nun gegen die Übergriffe des Chefs der Exekutive verwahrt, lässt das tief blicken.

Es ist nicht der erste Showdown Trumps mit einem de jure zur Unabhängigkeit Verpflichteten. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Präsident, der Autokraten von Moskau über Riad bis Manila bewundert, die Eigenständigkeit einer Institution angreift, deren Aufgabe im Staatssystem der USA gerade darin besteht, eigenständig zu sein. Auch die Notenbank rügt er regelmäßig dafür, dass sie die Zinsen nicht energischer senkt, um die Konjunktur anzufachen. Das rationale Kalkül: Trump hofft auf eine Wachstumsrate, die über der für amerikanische Verhältnisse eher durchschnittlichen des vergangenen Jahres (2,3 Prozent) liegt, um sich im November die Wiederwahl zu sichern. Die polemische Wortwahl: „Die Federal Reserve hat keine Ahnung.“

Das Amtsenthebungsverfahren gegen ihn stempelt er zum Racheakt einer Opposition, die noch immer nicht verwunden habe, dass er gegen Hillary Clinton gewann. Ein legitimes, wenn auch drastisches und politisch womöglich sogar kontraproduktives Mittel, um den Versuch zu ahnden, die Ukraine als Wahlkampfhelferin gegen einen innenpolitischen Rivalen einzuspannen, wird bei ihm zur Vendetta einer „radikalen Linken“. Als Präsident könne er tun, was immer er wolle, hatte er sein Erpressungsmanöver gegenüber Kiew gerechtfertigt, das Zurückhalten bereits bewilligter Militärhilfe, um Ermittlungen gegen Joe Biden zu erzwingen.

Um ein weiteres, eher bizarres Beispiel zu nennen: Im vergangenen September zitterten die Bewohner der Südostküste der USA vor Dorian, dem Hurrikan, der Teile der Bahamas verwüstete. Neben Florida werde es weitere Bundesstaaten treffen, wahrscheinlich viel härter als angenommen, warnte Trump und nannte South Carolina, North Carolina, Georgia und Alabama. Für Alabama hatten die Meteorologen allerdings weder Hurrikanböen noch eine Sturmflut vorhergesagt. Als sie darauf beharrten, ließ Trump ihre Wetterkarte manipulieren. Prompt präsentierte er eine, auf der jemand die Gefahrenzone mittels Filzstift nachträglich erweitert hatte, sodass sie auch den Südostzipfel Alabamas einschloss. Es endete damit, dass der nationale Wetterdienst seiner Außenstelle in Alabama in einem – allerdings von niemandem unterschriebenen – Statement vorwarf, das Sturmrisiko für den Staat in „zu absoluten Begriffen“ als nicht existent eingestuft zu haben.

Schon klar, es handelt sich um autoritäre Neigungen des Präsidenten, nicht um das Abrutschen Amerikas in autoritäre Verhältnisse. Bislang ist Trump damit gegen die Architektur der „Checks and Balances“ geprallt, ohne das Gebäude zum Wanken zu bringen. Nur fehlt es mittlerweile nicht an Stimmen, die in ernster Lage nach einem glasklaren Signal rufen, ähnlich dem, wie es Nixons Justizminister vor fast fünf Dekaden setzte. Der Rücktritt William Barrs könnte ein solches Signal sein.

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