Ostflanke der Nato soll gestärkt werden US-Präsident Biden will 7000 weitere US-Soldaten nach Deutschland entsenden

Washington · Auf die „erste Tranche“ an Sanktionen gegen Russland folgt nach Beginn der Invasion der Ukraine jetzt der Rest des mit Europa vereinbarten Pakets an Strafmaßnahmen. US-Präsident Joe Biden kündigt die Entsendung weiterer US-Soldaten nach Europa an. Er betont den defensiven Charakter.

 US-Präsident Joe Biden spricht am Donnerstag (24. Februar) im East Room des Weißen Hauses zu Journalisten.

US-Präsident Joe Biden spricht am Donnerstag (24. Februar) im East Room des Weißen Hauses zu Journalisten.

Foto: AP/Alex Brandon

Die Wahl der Kulisse für den ersten Auftritt Joe Bidens seit Beginn des Überfalls russischer Truppen auf die Ukraine entspricht dem Ernst der Lage. In der Tradition amerikanischer Präsidenten wählt auch dieser Commander-in-Chief den East Room des Weißen Hauses, wenn es um Krieg und Frieden geht. Biden findet klare Worte, den vom russischen Präsidenten befohlenen Einmarsch in das Nachbarland als „brutalen Angriff auf das ukrainische Volk“ zu verurteilen.

„Putin ist der Aggressor. Putin hat diesen Krieg gewählt. Und er und sein Land werden jetzt die Konsequenzen tragen“, sagte der US-Präsident, bevor er über die Sanktionen sprach, auf die sich der Westen in wochenlangen Verhandlungen verständigt hatte.

Nach der „ersten Tranche“ an Sanktionen, die Biden proportional zu dem Vorgehen Putins in den umstrittenen Ostgebieten der Ukraine verhängt hatte, kündigte er nun den Rest des „gesamten Pakets“ aus. Dazu gehört neben dem dauerhaften „Aus“ für Nord Stream 2, strikte Exportkontrollen für Hochtechnologie nach Russland, Finanzmarkt-Sanktionen sowie Maßnahmen, die sich direkt gegen Putin und die russischen Eliten richten.

„Wir minimieren die Fähigkeit Russlands, Geschäfte in Euro, US-Dollar, Pfund oder Yen abzuwickeln“, sagte Biden. Der russische Bankensektor werde abgeschnitten und das Vermögen dieser Finanzhäuser „komplett eingefroren“. Gleichzeitig stoppten die USA auch den Zugang russischer Unternehmen zu den Finanzmärkten im Westen. Die Exportbeschränkungen würden „mehr als die Hälfte der High-Tech-Importe Russlands abschneiden“.

In dem Paket fehlte der Ausschluss Russlands aus dem Zahlungssystem Swift, spezifische Sanktionen gegen den Energiesektor und Maßnahmen, die sich gegen Putin persönlich richten. „Worauf mehr warten Sie?“, rief Biden ein Reporter zu, der wie viele der Anwesenden überrascht war, dass diese Elemente fehlten.

Mit Blick auf Swift verwies Biden auf die Europäer, die Bedenken hätten. Der Präsident deutete an, die Haltung dazu könnte sich ändern. Zum Energiesektor erklärte er, die Sanktionen seien so beschaffen, dass sie Russland härter träfen als den Westen. „Wir halten die Schlagzahl hoch“, fügte der Präsident hinzu. „Wir tolerieren keine Bullys.“

Der Präsident kündigte als militärische Komponente die Stärkung der Ostflanke der Nato an. Zum einen geht es um die vorher von dem Bündnis beschlossene Mobilisierung der schnellen Eingreif-Kräfte der Nato, die es erlaubt, bereits in Europa stationierte Truppen ins Baltikum, nach Polen oder Rumänien zu schicken. Zum anderen will Biden selber weitere Soldaten nach Deutschland schicken.

„Unsere Truppen gehen nicht nach Europa, um in dem Konflikt mit Russland in der Ukraine aktiv zu werden“, betonte der US-Präsident den defensiven Charakter. „Es geht darum, unsere Alliierten im Osten verteidigen und rückversichern“. Die USA wollen mindestens 7000 weitere Soldaten nach Deutschland entsenden. Bisher sind bereits mehr als 90.000 Soldatinnen und Soldaten in Europa stationiert.

Auf die Frage, wie er die Drohung Putins „mit nie gesehenen Konsequenzen“ bei einer Einmischung in der Ukraine interpretiere, sagte Biden, er wisse nicht, was dieser damit meine, „aber ich weiß, was er getan hat“. Die USA hätten keine Absicht, in den Ukraine-Konflikt einzugreifen. „Aber wir werden jeden Zentimeter an Nato-Territorium mit der vollen amerikanischen Macht verteidigen“.

Biden erklärte, die Beziehungen zu Russland seien auf dem Nullpunkt und er habe keine Pläne, mit Putin zu sprechen. „Das ist ein gefährlicher Moment für ganz Europa, für die Freiheit rund um die Welt.“

Der Präsident war auf den Beginn des Einmarschs dank der US-Geheimdienste bestens vorbereitet, die das Geschehen in der Ukraine mit erstaunlicher Präzision  vorausgesagt hatten. Putin hatte seine zornige Kriegserklärung aus dem Kreml in der Nacht zum Donnerstag gerade beendet, da feuerte das Weiße Haus bereits eine Erklärung ab, die keinen Zweifel an der Entschlossenheit der Supermacht ließ.

„Präsident Putin hat sich für einen vorsätzlichen Krieg entschieden, der zu einem katastrophalen Verlust von Menschenleben und zu menschlichem Leid führen wird“, erklärte Biden in der Stellungnahme. „Russland alleine ist verantwortlich für den Tod und die Zerstörung, welche dieser Angriff mit sich bringen wird."

Kurz darauf klingelte noch einmal das Telefon. Am anderen Ende meldete sich der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj, dem Biden versicherte, „die Welt wird Russland zur Rechenschaft ziehen.“ Der Präsident stimmte sich am Morgen mit seinem sicherheitspolitischen Team, den Führern der sieben wichtigsten Industrienationen G7 und der Nato ab.

Die Strafmaßnahmen könnten in den kommenden Tagen durch den US-Kongress noch weiter verschärft werden. Eine überparteiliche Koalition aus Senatoren drängt auf Maßnahmen, die noch über die Ankündigungen Bidens hinausgingen. Dazu könnte unter anderem der gesetzlich abgesicherte Ausschluss Russlands aus dem internationalen Dollar-Zahlungsverkehr Swift gehören.

Der mächtige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im US-Senat, Bob Menendez, forderte, Russland aus der internationalen Gemeinschaft auszuschließen. „Der heutige Tag muss eine historische Wende bringen in der Art und Weise, wie die Welt mit dem Despoten in Moskau umgeht.“ Der Demokrat hat ein Gesetz vorbereitet, das in Washington als „Mutter aller Sanktionen“ bekannt ist.

Der Streit mit den Republikanern, die bereits vor einer Invasion zu dieser Maßnahme greifen wollten, ist nach Beginn des Einmarschs obsolet geworden. Senator Lindsey Graham sagte Biden demonstrativ seine Unterstützung in der Krise zu und forderte, Putin müsse den Krieg persönlich zu spüren bekommen. Der russische Staatschef und sein Umfeld sollten von der internationalen Strafjustiz verfolgt werden.

Einen ganz anderen Ton schlug der frühere US-Präsident Donald Trump an, der Putin „genial“ nannte. Dessen Ex-Außenminister Mike Pompeo bezeichnete den russischen Machthaber als „talentierten Staatsmann“, für den er „enormen Respekt habe“. Der Sprecher des Außenministeriums Ned Price sagte zu den Äußerungen des möglichen Bewerbers für die Präsidentschafts-Nominierung der Republikaner. „Mir fehlen die Worte.“

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