Düsseldorfer berichtet aus Tel Aviv Unterschwellig stieg die Panik

Tel Aviv · Normalerweise ist vom Konflikt mit Palästina in Tel Aviv nicht viel zu spüren. Am Donnerstag schlug die Stimmung plötzlich um. Erstmals seit 20 Jahren gab es Luftalarm. Mittendrin: Unser Autor Hans Rusinek. In seinem Bericht schildert er, wie er die Stunden erlebte, an dem Raketen auf Tel Aviv flogen.

November 2012: Israel bombardiert den Gaza-Streifen
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"Als ich mit meiner Freundin daheim in Europa unser regelmäßiges Skype-Gespräch führte, ging nahe meiner WG in Tel Aviv-Yafo der Alarm los. Es hörte sich an wie der Feueralarm, den ich aus der Düsseldorfer Heimat kenne.

Danach Ruhe. Etwa ein-zwei Minuten. Meine Freundin fragte mich darauf, ob alles in Ordnung sei: "Ja, da brennt es sicher nur irgendwo"

Kurz danach zwei deutlich hörbare Explosionen.

Wieder war am Telefon aus Europa zu hören: "Was war das?" "Sicher nur ein Autounfall - das passiert hier in Yafo oft" - Yafo ein Viertel, welches sicher nicht für vorausschauende Autofahrer bekannt war, ein arabisches Viertel mit langer Tradition.

Und hier nun Raketenalarm aus Gaza. Dies war mir zu dem Zeitpunkt aber nicht bewusst. Ich telefonierte also oberflächlich entspannt mit meiner Freundin weiter, doch so richtig konnte ich meinen Schreck nicht verbergen.

Ich erwischte mich dabei, meine Panik zu unterdrücken. Zeigte ihr lustige Fotos von dösenden Koalabären aus dem Internet. Während des Gesprächs aktualisierte ich die Internetseiten der gängigen Zeitungen: "Tel Aviv under attack", "First Rockets fired at Tel Aviv since 1991" las ich da.

Zwanzig Jahre — solange her, dass selbst meine israelischen Freunde keineswegs routiniert waren im Umgang mit der Lebensgefahr.

Es war klar: kein Verkehrsunfall. Dies war selbst für mich nach eineinhalb Jahren in Tel Aviv neu - nach einem Freiwilligensdienst in einem Nahost-Forschungszentrum, nach Aufenhalten in zahlreichen benachbarten Ländern: Der Konflikt wird von einem virtuellen Forschungs- und Erkundungsfeld, von einem Gesprächsthema mit Kommilitonen, zu einer realen Gegebenheit.

Verstörend ist nicht die eigentliche Gefahr hier in Tel Aviv zu sein, die doch gemessen an allem im südlichen Israel sehr gering ist, sondern die Gewissheit, dass Tel Aviv, das kulturelle und ökonomische Zentrum Israels, nicht länger die Blase, die "Bubble" ist, wie diese Stadt liebevoll umschrieben wird.

Ein paar meiner israelischen Freunde haben die Stadt verlassen, sind zu Freunden in den Norden oder nach Jerusalem, andere bleiben ruhig und schreiben bei Facebook: "We will remain strong against the lousy attempts to affect our lives." Eine Freundin von mir fragt sogar in jenem Netzwerk, wie sie diesen Vorfall ihrem sechsjährigen Sohn erklären soll.

Man kann hunderte Raketen im Fernsehen sehen, kann unzählige wissenschaftliche Analysen über die Hamas lesen. Dieses Geräusch zu hören und dabei zu sehen, wie dieser Knall während eines Telefonats zu dem Topthema in allen internationalen Medien wird, war eine schockierende Erfahrung. Raketen, die vermutlich aus iranischer Produktion stammen und so nah, dass sie mein Skype-Gespräch schmerzhaft unterbrachen.

(pst)
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