Vor Idlib-Offensive UN warnen vor größter humanitärer Katastrophe

Damaskus/Berlin · Die Regierung zieht Truppen zusammen, Moskau sagt, das Problem Idlib werde bald gelöst: Die Drohkulisse vor der erwarteten Offensive auf die syrische Rebellenhochburg wächst. Dabei leben in der Region nicht nur Extremisten, sondern auch Millionen Zivilisten.

Vor der erwarteten Offensive auf die Rebellenhochburg Idlib in Syrien warnen die Vereinten Nationen vor der größten humanitären Katastrophe im 21. Jahrhundert. Die Welt dürfe nicht „schlafwandlerisch“ in diese Krise gehen, sagte UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock am Dienstag in Berlin angesichts der geschätzten drei Millionen Zivilisten in der Provinz im Nordwesten des Bürgerkriegslandes. UN-Syrienvermittler Staffan de Mistura appellierte in Genf an die Präsidenten Russlands und der Türkei, Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan, in einem direkten Telefonat im letzten Moment eine Eskalation zu verhindern. Auf dieser Ebene könne noch ein Ausweg gefunden werden, der zumindest das Leben der Zivilisten schone.

Derweil wurde die Region Menschenrechtlern und Rebellen zufolge von Dutzenden russischen Bombardements getroffen, die eine Bodenoffensive vorbereiten sollen.

Die Region im Nordwesten Syriens ist das letzte große Gebiet des Bürgerkriegslandes, das noch von Rebellen beherrscht wird. Dominiert werden diese von dem Al-Kaida-Ableger Haiat Tahrir al-Scham (HTS), der früheren Al-Nusra-Front. Syriens Regierung hat Truppen zusammengezogen und droht mit einem Angriff zusammen mit ihren Verbündeten Russland und Iran.

Lowcock zufolge leben in Idlib mehr als eine Million Kinder. Auf einen der oft extremistischen Kämpfer kämen rund 100 Zivilisten. Er sei in der vergangenen Woche in Damaskus gewesen und sei nach den Gesprächen höchst alarmiert. Es müsse alles unternommen werden, um eine blutige Schlacht zu verhindern. Gleichzeitig müsse es aber Vorbereitungen geben, um in diesem Falle Zivilisten helfen zu können.

Das Nachbarland Türkei, das im Falle einer Eskalation Flüchtlingsströme in Richtung seiner Grenze befürchtet, brachte einem Medienbericht zufolge weiteres Kriegsgerät in die Grenzregion. Acht Frachtfahrzeuge beladen mit Panzern und schweren Geschützen hätten die Grenzprovinz Kilis passiert, meldete die Zeitung „Hürriyet“ am Dienstag.

Idlib liegt nur etwa 30 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Die Türkei unterhält in der Provinz Beobachtungsposten und ist Schutzmacht einer De-Eskalationszone. Die Panzer habe das Militär auf die andere Seite der Grenze gebracht. Sie sollen laut Quellen aus Sicherheitskreisen helfen, mögliche Flüchtlingswellen in Richtung Türkei aufzuhalten, berichtete „Hürriyet“ weiter.

Russische Kriegsflugzeuge hatten am Morgen der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge etwa 45 Luftangriffe über weite Teile der Provinz geflogen. Dabei seien mindestens zwölf Menschen getötet und 30 verletzt worden.

Kremlsprecher Dmitri Peskow sprach davon, dass sich in der Provinz „das nächste Terroristennest gebildet“ habe. „Wir wissen, dass die syrischen Streitkräfte sich darauf vorbereiten, das Problem zu lösen“, sagte er der Agentur Interfax zufolge. Ein Datum für die Offensive nannte er nicht.

Der Westen ist aufgrund der Pläne und früheren blutigen Offensiven auf Rebellengebiete in Aleppo oder Ost-Ghuta alarmiert. US-Präsident Donald Trump warnte Russland und den Iran, im Falle einer Schlacht in die Kämpfe einzugreifen. „Die Russen und Iraner würden einen schwerwiegenden humanitären Fehler machen, wenn sie bei dieser möglichen menschlichen Tragödie mitmachen“, twitterte Trump am Montag (Ortszeit). Hunderttausende Menschen könnten bei einem Angriff des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad getötet werden. „Lasst das nicht zu!“, schrieb Trump. Am Montag hatte auch Bundesaußenminister Heiko Maas vor einer humanitären Katastrophe gewarnt.

Am Freitag wollen Russland und der Iran als Unterstützer der Regierung und die Türkei als Schutzmacht der Opposition über die Krise in Syrien beraten. Beobachter rechnen damit, dass sich dort das Schicksal Idlibs entscheiden könnte. UN-Syrienvermittler de Mistura sah am Dienstag eine gewisse Chance für eine Wiederbelebung des Friedensprozesses in dem Bürgerkriegsland. Er sprach von einem „Moment der Wahrheit“, wenn er sich am 10. und 11. September mit Vertretern der Türkei, des Irans und Russlands in Genf treffe.

(ubg/dpa)
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