Umsturz in der Ukraine Timoschenko spricht in Kiew - Janukowitsch abgesetzt

Kiew · Oppositionsheldin Julia Timoschenko sprach am Samstagabend auf dem Unabhängigkeitsplatz Maidan in Kiew. Präsident Viktor Janukowitsch wurde zuvor abgesetzt, das Volk hat die Straßen von Kiew übernommen. In der Residenz des Präsidenten öffnen die Wachen die Türen für Schaulustige.

 Viktor Janukowitsch bei einer Ansprache, die am Samstagabend im TV ausgestrahlt werden soll

Viktor Janukowitsch bei einer Ansprache, die am Samstagabend im TV ausgestrahlt werden soll

Foto: afp, ss/sd

Die ukrainische Oppositionsführerin Julia Timoschenko ist nach ihrer Haftentlassung unter gewaltigem Jubel auf dem Maidan in Kiew empfangen worden. Eine Menge aus Zehntausenden Menschen feierte die frühere Regierungschefin lautstark. Timoschenko, die bei ihrer Ansprache im Rollstuhl saß, forderte die Regierungsgegner zum weiteren Kampf gegen Präsident Viktor Janukowitsch auf. "Kämpft bis zum Ende!", sagte sie auf dem Maidan. Der Platz ist der Mittelpunkt der Proteste gegen Präsident Viktor Janukowitsch - Timoschenkos Erzfeind, der die Stadt verlassen hat.

Timoschenko erklärt laut Interfax, sie sei sich sicher, dass die Ukraine in naher Zukunft der EU beitreten werde. Dies werde "alles verändern". Außerdem forderte sie eine Bestrafung der Täter, die für den Tod zahlreicher Demonstranten verantwortlich sind. Es gelte, das Andenken der Menschen zu ehren, die für die Freiheit der Ukraine gestorben seien, sagte Timoschenko. "Wir haben es nicht auf friedliche Weise erreicht, aber diese Jungen haben das Ende der Diktatur erreicht", sagte sie. Die Täter müssten bestraft werden.

Immer wieder warnte sie davor, den Maidan jetzt zu räumen. "Wenn irgendjemand Euch sagt, Ihr sollt nach Hause gehen, traut ihm nicht, geht bis zum letzten Schritt!", sagte die Politikerin. "Ihr müsst bleiben bis zum Ende, bis Politiker gewählt sind, die das Vertrauen verdienen. Wir müssen es vollenden. Ihr habt ein neues Land verdient. Erlaubt ihnen nicht, ein Land aufzubauen, das ihr nicht wollt!", betonte Timoschenko.

Seit dem frühen Samstagabend ist Timoschenko nach mehr als zweieinhalb Jahren Haft wieder frei. Die frühere Ministerpräsidentin verbüßte seit 2011 eine wegen Amtsmissbrauchs verhängte siebenjährige Gefängnisstrafe. Sie ist eine der schärfsten Widersacherinnen von Präsident Viktor Janukowitsch. Nach ihrer Freilassung kündigte sie an, bei anstehenden Wahlen kandidieren zu wollen.

In diesem Protz lebte Präsident Viktor Janukowitsch
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In diesem Protz lebte Präsident Viktor Janukowitsch

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Das Parlament in Kiew hatte am Samstag für die sofortige Freilassung Timoschenkos gestimmt und zwei ihrer Vertrauten zum Parlamentspräsidenten und Innenminister gewählt. Das Innenministerium hatte erklärt, dass die Sicherheitskräfte in Kiew ab sofort den Regierungsgegner unterstützen. Die Opposition ordnete für den 25. Mai Neuwahlen an. Den Präsidenten erklärten sie für abgesetzt. Janukowitsch will dies nicht akzeptieren.

Janukowitsch schließt Rücktritt aus

Experten halten die Amtsenthebung durch das Parlament juristisch zumindest für fragwürdig. Einen Rücktritt schließt Janukowitsch unterdessen klipp und klar aus. Was sich in der Ukraine abspiele, ähnele der Machtergreifung der Nazis in Deutschland, sagte Janukowitsch am Samstag. Janukowitsch selbst hat nach Angaben der Opposition am Samstagabend versucht, das Land in Richtung Russland zu verlassen. "Er hat versucht, ein Flugzeug in Richtung Russland zu nehmen, wurde aber vom Grenzschutz daran gehindert", teilte der neue Parlamentspräsident Alexander Turtschinow, ein Vertrauter Timoschenkos, nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax mit. "Er versteckt sich derzeit irgendwo in der Region von Donezk", hieß es weiter. Dagegen bestätigte die ukrainische Grenzpolizei der Nachrichtenagentur AP, dass der Gouverneur von Charkow und der Bürgermeister der Janukowitsch-Hochburg, Michailo Dobkin und Gennadi Kernes, am Samstag nach Russland ausgereist seien. Beide sind wichtige Verbündete Janukowitschs.

Schaulustige in Janukowitschs Residenz

Keine 20 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt: Auch durch Janukowitschs Residenz Meschigorje strömen Schaulustige. Überstürzt, mit wenigen Vertrauten und Leibwächtern, soll Janukowitsch in der Nacht aufgebrochen sein. Nun lassen die Wachen jeden herein, der einmal gucken möchte, wie der Präsident lebt, dem Kritiker Korruption und Vetternwirtschaft vorwerfen. "Aber bitte nicht plündern", sagen sie noch. Viele Besucher an diesem "Tag der offenen Tür" sehen sogar ihre kühnsten Vorstellungen noch übertroffen.

Da gibt es einen riesigen Golfplatz, wo behelmte Kämpfer den Schläger schwingen. Da gibt es ein riesiges Segelschiff, eine gewaltige Jacht, ein flottes Motorboot. Schwere Goldmünzen mit Janukowitschs Antlitz. Eine gewaltige Garage voller Luxuswagen. Edle Badezimmer, gar eine Orangerie - es ist ein Anwesen voller Dekadenz und Pracht.

Doch die Schaulustigen, darunter viele Journalisten, finden noch mehr. Aus einem See fischen sie Dokumente, die offenbar eilig vernichtet werden sollten, und trocknen sie in einer Halle. Es sind Listen über horrende Ausgaben, wohl für Renovierungen und Angestellte.

Aber es sind anscheinend auch Dokumente über Personen zu finden, die Janukowitsch als seine Gegner betrachtet. So soll der Name von Tatjana Tschornowol auf einer Schwarzen Liste von Reportern stehen. Unbekannte hatten die investigative Journalistin Ende Dezember massiv verprügelt und lebensgefährlich verletzt. Tschornowol wirft Janukowitsch vor, hinter der brutalen Attacke zu stecken.

(dpa)
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