Konflikt mit Russland Ukrainischer Botschafter fordert 12.000 deutsche Panzerabwehrraketen

Berlin · Bundeskanzler Olaf Scholz reist am Montag nach Kiew. Vor seinem Besuch hat der ukrainische Botschafter die Forderung nach schweren Waffen aus Deutschland erneuert.

 Ukrainische Soldaten verladen auf dem Flughafen-Boryspil Javelin-Panzerabwehrlenkraketen, die von der USA an die Ukraine geliefert wurden.

Ukrainische Soldaten verladen auf dem Flughafen-Boryspil Javelin-Panzerabwehrlenkraketen, die von der USA an die Ukraine geliefert wurden.

Foto: dpa/Efrem Lukatsky

Vor der Reise von Olaf Scholz (SPD) am Montag in die Ukraine hat der Botschafter des Landes in Deutschland, Andrij Melnyk, die Forderung seiner Regierung nach schweren Waffen aus Deutschland bekräftigt. Die Ukraine brauche 12.000 Panzerabwehrraketen sowie tausend Luftabwehrraketen, um sich gegen einen russischen Angriff verteidigen zu können, sagte Melnyk dem Sender Bild TV am Sonntagabend.

Moskau hat nach westlichen Angaben in den vergangenen Monaten mehr als 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Russland bestreitet jegliche Angriffspläne und führt an, sich von der Nato bedroht zu fühlen. Die Ukraine hat wiederholt Deutschlands Verweigerungshaltung bei Waffenlieferungen kritisiert. Die Bundesregierung lehnt die Lieferung tödlicher Waffen an die Ukraine ab. Sie prüft allerdings, Rüstungsgütern unterhalb dieser Schwelle zur Verfügung zu stellen. Auf einer Wunschliste der ukrainischen Botschaft vom 3. Februar stehen eine Reihe Rüstungsgüter, die eindeutig keine tödlichen Waffen sind. Dazu gehören elektronische Ortungssysteme, Minenräumgeräte, Schutzanzüge, digitale Funkgeräte, Radarstationen oder Nachtsichtgeräte. Panzerabwehrraketen stehen auf dieser Wunschliste nicht.

Melnyk sagte bei Bild TV, dass Scholz' Reise nach Kiew am Montag und Moskau am Dienstag "die letzte Chance" für eine diplomatische Lösung im Ukraine-Konflikt sein könnte. Er bekräftigte: "Wir haben schon das Gefühl, dass ein Krieg immer unausweichlicher wird." Seine Regierung mache sich auf das "schlimmste Szenario" gefasst, nämlich "dass die Hauptstadt vielleicht schon in den nächsten Tagen bombardiert werden kann". Bei Flugzeugen und Schiffen sei Russland der Ukraine überlegen: "Da sind wir wirklich eine leichte Beute" für den russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warnte vor einer "brenzligen Situation". Sie sagte allerdings am Sonntagabend in den ARD-"Tagesthemen", dass es bislang "keine Anzeichen" gebe, "dass die kriegerische Auseinandersetzung schon beschlossene Sache ist". Scholz wolle in Kiew und Moskau über weitere Abrüstungsschritte und mehr Transparenz auf beiden Seiten reden. Sie unterstrich: "Wir versuchen auf allen Kanälen, Russland am Verhandlungstisch zu halten."

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bekräftigte die Sanktionsdrohungen der Bundesregierung: "Der Kreml sollte nicht der Fehlannahme unterliegen, dass er politische und territoriale Grenzen überschreiten kann, ohne dafür einen hohen Preis zu zahlen", sagte Lindner dem "Handelsblatt".

"Die Inbetriebnahme einer Pipeline ist da nur ein Teilaspekt", fügte er mit Blick auf die umstrittene deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 hinzu. Der FDP-Vorsitzende verteidigte, dass Scholz nicht explizit mit dem Ende von Nord Stream 2 droht. "Die schlechteste Abschreckung ist die Ankündigung von Maßnahmen, auf die sich ein Gegenüber taktisch vorbereiten kann, um sie zu umgehen", sagte Lindner.

Lindners Parteifreund und Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff schlug unterdessen als weitere mögliche Sanktion die Beschlagnahmung der Immobilien russischer Oligarchen in Deutschland vor. Manche Oligarchen hätten "in Berlin riesigen Immobilienbesitz", sagte Lambsdorff Bild TV. "Wir müssen politischer an diesen Sanktionsgedanken herangehen, wir haben bisher ein sehr juristisches Verständnis von Sanktionen", argumentierte der FDP-Abgeordnete.

Währenddessen laufen die internationalen Bemühungen um ein Abwenden der Eskalation weiter. Der britische Premierminister Boris Johnson will in den kommenden Tagen mit den Staats- und Regierungschefs der nordischen und baltischen Länder sprechen. "Es gibt noch ein Zeitfenster für Deeskalation und Diplomatie", betonte sein Sprecher in London.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj lud US-Präsident Joe Biden am Sonntag nach Kiew ein. "Ich bin überzeugt, dass Ihr Besuch in Kiew in den kommenden Tagen (...) ein starkes Signal wäre und zur Stabilisierung der Lage beitragen würde", zitierte das Büro des Präsidenten in Kiew am Sonntagabend aus einem Telefonat der beiden Staatschefs.

Die US-Regierung hatte in den vergangenen Tagen wiederholt vor einem "jederzeit" möglichen Einmarsch Russlands in die Ukraine gewarnt. In US-Medien war von einem möglichen Großangriff Mitte der Woche die Rede. Der ukrainische Präsident warnte dagegen immer wieder vor dem Schüren von "Panik in unserem Land".

(lha/dpa/afp)
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