Fünf Orte zurückerobert Ukraine vermeldet weitere Erfolge bei Gegenoffensive

Moskau/Kiew/Cherson · Die ukrainische Armee rückt nach eigenen Angaben weiter gegen russische Truppen vor. Moskau hat nach Ansicht von Experten auch Probleme bei der Ausrüstung - und Hinweise auf einen möglichen Einsatz von Nuklearwaffen gibt es demnach nicht.

Ukrainische Soldaten nehmen während einer von den Streitkräften der Ukraine organisierten Pressetour an einem Training in der Region Tschernihiw zur Abwehr einer möglichen feindlichen Offensive teil.

Ukrainische Soldaten nehmen während einer von den Streitkräften der Ukraine organisierten Pressetour an einem Training in der Region Tschernihiw zur Abwehr einer möglichen feindlichen Offensive teil.

Foto: dpa/-

Die Ukraine vermeldet nach der völkerrechtswidrigen Annexion mehrerer Gebiete durch Russland weitere Erfolge bei ihrer Gegenoffensive. In der Südukraine habe die Armee fünf weitere Orte zurückerobert, schrieb der Chef des Präsidentenbüros, Andrij Jermak, am Dienstag beim Nachrichtendienst Telegram. Die ukrainische Gegenoffensive bereitet den russischen Einheiten nach Experten-Ansicht gleich am mehreren Fronten enorme Probleme.

„Die Ukraine diktiert im Moment das Tempo“, sagte ein Vertreter westlicher Sicherheitskreise in einem Briefing zu Journalisten in London. Einige russische Einheiten stünden so unter Druck, dass sie sich zum Rückzug gezwungen sähen - teilweise gegen den Willen der russischen Führung. Mit Blick auf den möglichen Einsatz von Nuklearwaffen hieß es von dem westlichen Beamten, man sehe keinerlei Anzeichen dafür, dass Moskau einen solchen Schritt vorbereite.

Zuvor hatten Videoaufnahmen eines russischen Güterzuges für Spekulationen gesorgt. In Medien wurden unter anderem gemutmaßt, die auf dem Zug transportierten Fahrzeuge könnten zu einer Abteilung gehören, die für die Wartung des russischen Atomwaffenarsenals verantwortlich ist. Belege dafür gab es nicht.

Russland war am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert und hat inzwischen vier Gebiete in der Süd- und Ostukraine annektiert. Präsident Wladimir Putin hatte am Freitag mit den von Moskau eingesetzten Besatzern die international nicht anerkannten Verträge über den Beitritt unterzeichnet. Nach Russlands Staatsduma ratifizierte am Dienstag auch der Föderationsrat Moskaus die völkerrechtswidrige Einverleibung. Putin muss das Annexionsgesetz nun noch unterschreiben, dann tritt es in Kraft.

London: Russland überfordert mit Ausrüstung und Training von Rekruten

Auch britische Militärexperten sehen Probleme auf russischer Seite - Moskau ist demnach nicht mehr in der Lage, ausreichend Ausrüstung und militärisches Training für eine große Zahl an Rekruten bereitzustellen. Ein Anzeichen dafür sei, dass der Einberufungszyklus in diesem Jahr einen Monat später als üblich beginnen solle, hieß es im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums zum Krieg in der Ukraine. Die jährliche Einberufung von etwa 120 000 Wehrpflichtigen in Russland unterscheide sich von der kürzlich beschlossenen Teilmobilmachung von Reservisten.

Russlands Präsident Wladimir Putin will nach offizieller Darstellung rund 300 000 Reservisten einziehen lassen, um nach den Niederlagen der russischen Armee in der Ukraine die besetzten Gebiete zu halten. Er hatte deshalb eine Teilmobilmachung angeordnet, was bei vielen Russen Panik auslöste - viele verließen das Land.

Angst vor Kriegsdienst - 200 000 Russen nach Kasachstan gereist

Russlands Nachbarland Kasachstan vermeldete etwa, dass seit der Teilmobilmachung vor knapp zwei Wochen bereits mehr als 200 000 russische Staatsbürger eingereist seien. Seit dem 21. September hätten 147 000 Russen die Ex-Sowjetrepublik aber wieder verlassen, sagte Innenminister Marat Achmetdschanow der Staatsagentur Kazinform zufolge. Zu den Hintergründen äußerte sich der Minister nicht.

Schoigu: Schon mehr als 200 000 Russen zum Militärdienst eingezogen

Moskau sieht die Teilmobilmachung dagegen als Erfolg: Nach Angaben von Verteidigungsminister Sergej Schoigu wurden bereits mehr als 200 000 Menschen eingezogen. „Die Ausbildung erfolgt auf 80 Übungsplätzen und in 6 Ausbildungszentren“, sagte er in Moskau seinem Ministerium zufolge. Schoigu sagte, die zuständigen Stellen seien angewiesen worden, den Rekruten die notwendige Kleidung und Ausrüstung zur Verfügung zu stellen und sie einzuweisen. Nach Schoigus Darstellung haben sich viele Freiwillige gemeldet. Zahlen nannte er nicht. Es sollte niemand abgelehnt werden, „wenn es keine schwerwiegenden Gründe gibt“.

Ukraine verbietet Gespräche mit Wladimir Putin

Die Ukraine untersagte unterdessen - wie schon am Freitag angekündigt - Verhandlungen mit Putin. Ein entsprechendes Dekret des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wurde am Dienstag auf dessen Webseite veröffentlicht. Dem ging eine Entscheidung des Rates für Sicherheit und Verteidigung voraus. In den ersten Wochen des Krieges gab es Gespräche zwischen der Ukraine und Russland vor allem auf Ebene von Unterhändlern. Nach den zunehmenden Erfolgen der ukrainischen Armee schließt Kiew Verhandlungen vor dem kompletten Abzug der russischen Truppen von ukrainischem Staatsgebiet praktisch aus.

Videostreaming-Dienst Twitch in Russland zu Geldstrafe verurteilt

Wegen der Verbreitung angeblicher Falschinformationen über den Krieg in der Ukraine verurteilte die russische Justiz den Videostreaming-Dienst Twitch zu einer Geldstrafe. Ein Gericht in Moskau legte die Höhe der Strafzahlung auf vier Millionen Rubel (rund 69 400 Euro) fest, wie die staatliche Nachrichtenagentur Tass meldete. Konkret geht es demnach um ein Interview mit dem Berater im ukrainischen Präsidialamt, Olexij Arestowytsch, der irreführende Angaben zu Luftangriffen auf das Gebiet Odessa im Süden der Ukraine gemacht haben soll. Twitch sei aufgefordert worden, es zu löschen.

Lauterbach: Deutschland keine Kriegspartei, aber an der Seite Kiews

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat seine Aussage, dass sich Deutschland mit Putin „im Krieg“ befinde, relativiert. Die Bundesrepublik sei „natürlich keine Kriegspartei“, stehe aber „trotzdem voll an der Seite der Ukrainer“, sagte der SPD-Politiker am Dienstag in der RTL/ntv-Sendung „Frühstart“. Dazu zählten auch Waffenlieferungen. „Wir sind nicht im Krieg, aber wir unterstützen die Ukraine nach Kräften“, sagte Lauterbach.

(mzu/dpa)
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