Russlands Krieg Ukraine stoppt sämtliche Importe aus Russland - Die Nacht im Überblick

Kiew · Der ukrainische Präsident Selenskyj appelliert nach einem Besuch westlicher Politiker in Kiew, den Druck auf Russland weiter zu erhöhen. Sein Land verhängt einen kompletten Importstopp. Ein Überblick zum Geschehen in der Nacht.

Ukrainische Feuerwehrleute sichern ein bei einem russischen Angriff beschädigtes Gebäude in Charkiw.

Ukrainische Feuerwehrleute sichern ein bei einem russischen Angriff beschädigtes Gebäude in Charkiw.

Foto: AP/Felipe Dana

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seine Forderung nach einem Importstopp von Öl aus Russland bekräftigt. „Wenn die Tyrannei eine Aggression gegen alles gestartet hat, worauf der Frieden in Europa ruht, müssen wir sofort handeln“, sagte er in einer am Samstagabend veröffentlichten Videobotschaft.

Wegen des Angriffskriegs verhängte die Ukraine selbst ein komplettes Handelsembargo gegen Russland. „Das ist die juristische Verankerung der faktischen Einstellung der Handelsbeziehungen mit der Russischen Föderation vom 24. Februar“, sagte Wirtschaftsministerin Julia Swyrydenko gemäß dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk. Damit wird die Einstellung der Importe zum Gesetz. Vor dem Krieg war die Ukraine ein wichtiger Handelspartner Russlands. Die Regierung schätzt die Verluste Moskaus aus dem Boykott auf umgerechnet rund 5,5 Milliarden Euro. Ein Teilimportstopp für russische Waren gilt bereits seit 2015. Kiew transportiert aber weiter täglich mehr als 100 Millionen Kubikmeter russischen Erdgases nach Westen.

Selenskyj dankte dem britischen Premierminister Boris Johnson und dem österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer für ihren Besuch am Samstag in Kiew. Das Treffen mit Johnson zeige, dass es „keine Hindernisse für die Freiheit“ gebe, sagte der Präsident in der Videobotschaft. „Die Führungsrolle Großbritanniens bei unserer Unterstützung, insbesondere im Bereich der Verteidigung, und auch die Führungsrolle in der Sanktionspolitik - sie werden für immer in die Geschichte eingehen.“ Mit Johnson habe er auch über weitere finanzielle und verteidigungspolitische Hilfen für Kiew gesprochen.

Mit einem baldigen Treffen von Selenskyj mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin rechnet die Ukraine hingegen nicht. „Zu sagen, dass sie sich in einer Woche, in zwei Wochen treffen werden - nein, das wird so nicht passieren“, sagte Präsidentenberater Mychajlo Podoljak im ukrainischen Fernsehen mit Blick auf mögliche Verhandlungen über ein Ende des Krieges. Die Ukraine bestehe weiter auf starke Sicherheitsgarantien und zahle dafür einen sehr hohen Preis, meinte Podoljak.

Der ukrainische Chefunterhändler David Arachamija sagte, es gebe keine greifbaren Fortschritte. Für Kiew bleibe die territoriale Einheit eine rote Linie. „Wir werden keine Gebiete aufgeben, und wir werden nichts anerkennen“, sagte er mit Blick auf die 2014 von Russland annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim und die ostukrainischen Regionen Luhansk und Donezk. Putin hatte beide als unabhängige Staaten anerkannt und danach einen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen.

Die militärische Lage in der Ukraine bleibt schwer einzuschätzen. Es fehlen unabhängige Berichte. Mitteilungen der Kriegsparteien können von Eigeninteressen gefärbt sein. Nach ukrainischen Angaben sind durch Beschuss in der Region Donezk mindestens fünf Zivilisten getötet und fünf weitere verletzt worden. Die örtliche Militärverwaltung machte Russland für die Opfer verantwortlich. Auch im nordöstlichen Gebiet Charkiw habe die russische Artillerie am Samstag Siedlungen beschossen, teilten ukrainische Behörden mit. Dabei seien mindestens zwei Menschen getötet und ein Mensch verletzt worden. Viele Häuser seien zerstört.

In der Region Mykolajiw im Süden habe das ukrainische Militär sieben Raketenangriffe der russischen Armee gezählt, hieß es. Dabei sei niemand getötet worden. Ukrainische Kräfte hätten ihrerseits bei drei Angriffen auf russische Truppen am Samstag unter anderem 80 Soldaten getötet sowie drei Panzer und je ein Flugzeug und einen Hubschrauber zerstört. Die Angaben konnten nicht unabhängig geprüft werden.

Auch Angaben darüber, wie vielen Menschen die Flucht aus umkämpften Städten gelungen ist, stammen bislang fast ausschließlich von den Kriegsparteien. Die Ukraine und Russland beschuldigen sich gegenseitig, Evakuierungsversuche zu behindern. Allerdings macht Russland erst seit Kurzem Mitteilungen über eigene Anstrengungen. Nach Militärangaben in Moskau sollen dennoch bereits mehr als 700.000 Menschen aus den Separatistengebieten Donezk und Luhansk sowie anderen Teilen der Ukraine seit dem 24. Februar nach Russland evakuiert worden sein. Allein am Samstag hätten knapp 27.000 Menschen die umkämpften Regionen Richtung Russland verlassen, sagte Generaloberst Michail Misinzew vom russischen Verteidigungsministerium. Aus der seit Anfang März umkämpften südukrainischen Hafenstadt Mariupol seien 134.000 Menschen gerettet worden. Die Zahlen sind nicht unabhängig zu prüfen. Die Ukraine wirft Russland vor, Menschen gegen ihren Willen nach Russland zu verfrachten.

Wie üblich veröffentlichte die britische Regierung auch in der Nacht zum Sonntag Erkenntnisse ihres Geheimdienstes über die Vorgänge in der Ukraine. Demnach gibt es Beweise, dass nicht am Kampfgeschehen beteiligte Menschen auf unverhältnismäßige Weise zur Zielscheibe geworden sind. Es gebe Massengräber, Geiseln seien als menschliche Schutzschilde gebraucht und zivile Infrastruktur vermint worden, teilte das britische Verteidigungsministerium in der Nacht zum Sonntag bei Twitter mit.

Einem Zeitungsbericht zufolge will die Ukraine beim Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall Schützenpanzer des Typs Marder kaufen. Bis Jahresende wolle der Konzern 35 dieser Fahrzeuge an die Ukraine ausliefern, berichtet "Bild am Sonntag". Die ausgemusterten Panzer müssen zunächst instandgesetzt werden. Von Rheinmetall und der ukrainischen Regierung waren zunächst keine Stellungnahmen zu dem Bericht zu erhalten. Die Ukraine hatte Deutschland aufgefordert, unter anderem Marder-Schützenpanzer aus Bundeswehrbeständen zu liefern und die Bestände anschließend von der Industrie wieder auffüllen zu lassen. Dies hatte die Bundesregierung unter Verweis auf eigenen Bedarf abgelehnt.

Wegen künftiger russischer Aggressionen arbeitet die Nato nach Angaben ihres Generalsekretärs Jens Stoltenberg an Plänen für eine ständige Militärpräsenz an ihren Grenzen. "Was wir jetzt sehen, ist eine neue Realität, eine neue Normalität für die europäische Sicherheit", sagt Stoltenberg der Zeitung "The Telegraph". Die Nato befände sich in einer grundlegenden Umgestaltung. Diese spiegele die langfristigen Folgen der Handlungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin wider.

Unterdessen sind bei einer gemeinsamen Kampagne der EU, Kanadas und der Organisation Global Citizen mehr als zehn Milliarden Euro für ukrainische Flüchtlinge zusammengekommen. Das gaben die Beteiligten am Samstag bei einer Geberkonferenz in Warschau bekannt. Unter dem Motto "Stand Up For Ukraine" hatten zuvor Stars aus Sport und Unterhaltung von Billie Eilish bis WWE-Star Seth "Freakin" Rollins sowie Bands von One Republic bis Metallica dazu aufgerufen, politischen Druck für mehr Ukraine-Hilfe zu machen.

Bislang haben sich wenige Putin-Freunde öffentlich abgewandt. Nun äußerte sich der italienische Milliardär und Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Der 85-Jährige ist nach eigenen Worten "zutiefst enttäuscht" vom russischen Präsidenten Wladimir Putin, den er jahrelang als guten Freund bezeichnet hatte. "Ich kann und will nicht verhehlen, dass ich zutiefst enttäuscht und traurig bin über das Verhalten von Wladimir Putin", sagte Berlusconi am Samstag bei einer Veranstaltung seiner Partei Forza Italia in Rom. Angesichts der "Massaker an Zivilisten in Butscha und anderen ukrainischen Orten, die echte Kriegsverbrechen sind, kann Russland seine Verantwortung nicht leugnen".

Die Polizei in Lübeck stoppte am Samstag einen Autokorso, weil Teilnehmer eine Billigung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gezeigt hätten. Demnach seien auch Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet worden, teilte die Polizei in der Nacht zum Sonntag mit. Eigentlich hatte die Demonstration im Stadtteil St. Lorenz mit Bezug auf den Krieg in der Ukraine unter dem Motto „Gegen den Hass!“, stattgefunden. Etwa 150 Menschen hatten sich dazu am Nachmittag versammelt und nach einer Auftaktkundgebung den Korso aus 60 Fahrzeugen gestartet.

In mehreren deutschen Städten sind für den heutigen Sonntag prorussische Demonstrationen und pro-ukrainische Gegenveranstaltungen geplant. So soll in Frankfurt eine Kundgebung unter strengen Auflagen stattfinden - aber kein Autokorso. Laut der Stadt werden bis zu 2000 Teilnehmer erwartet. Die Polizei will die Demonstration „engmaschig begleiten“ und Verstöße ahnden. Mehrere Gruppierungen rufen zu Gegendemonstrationen auf.

(peng/dpa/Reuters/AFP)
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