Krieg in der Ukraine Russland fordert Sicherheitsgarantien von der Ukraine statt den USA - Die Nacht im Überblick
Kiew/Moskau · Russland macht eine Kehrtwende und steigt wieder in das Abkommen zum Export von Getreide aus der Ukraine ein. Auch vor dem UN-Sicherheitsrat erlebt Moskau eine Schlappe. Ein Überblick zum Geschehen in der Nacht.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht die Wiederaufnahme des Getreideabkommens als Teilerfolg im Krieg mit Russland. „Die russische Erpressung hat zu nichts geführt“, sagte Selenskyj am Mittwoch in seiner abendlichen Videoansprache. Er lobte insbesondere UN-Generalsekretär António Guterres und den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sowie weitere Schlüsselpartner als Vermittler. „Wieder einmal hat jeder gesehen, dass es in unserer Region nur eine Bedrohung für die globale Ernährungssicherheit gibt, und das ist die Russische Föderation und sonst niemand“, betonte er nach mehr als acht Monaten Krieg.
Kremlchef Wladimir Putin schloss jedoch einen neuen Ausstieg aus dem Getreideabkommen mit der Ukraine nicht aus, sollte es aus russischer Sicht Verstöße dagegen geben. „Russland behält sich das Recht vor, aus diesen Vereinbarungen auszusteigen für den Fall, dass die Garantien seitens der Ukraine verletzt werden“, sagte Putin am Mittwoch bei einer Videokonferenz mit dem nationalen Sicherheitsrat. Auch bei einem Ausstieg aus dem Abkommen sei Russland aber bereit, die für ärmere Länder bestimmten Getreidelieferungen durch den vereinbarten Korridor passieren zu lassen. Russland hatte am Mittwoch eine Kehrtwende vollzogen. Erst am Samstag hatte das Land seinen Ausstieg aus dem Getreideabkommen mitgeteilt. Am Mittwoch erklärte das russische Verteidigungsministerium dann, Moskau habe von Kiew „schriftliche Garantien“ erhalten, dass der für den Getreidetransport genutzte Schiffskorridor nicht für militärische Zwecke genutzt werde.
Diese Formulierung griff Selenskyj in seiner Videoansprache auf. Noch vor Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine habe Russland Sicherheitsgarantien von den USA gefordert, sagte der ukrainische Präsident. Nun, nach mehr als acht Monaten Krieg, fordere der Kreml Sicherheitsgarantien von der Ukraine. “Dies zeigt sowohl das Scheitern der russischen Aggression als auch, wie stark Sie und ich sind, wenn wir vereint bleiben”, sagte er.
Vor dem UN-Sicherheitsrat scheiterte Russland mit einer gegen die USA und die Ukraine gerichteten Resolution zu Biowaffen. Nur zwei Stimmen - die von Moskau selbst sowie von China - bekam der Text, der sich an unbelegte russische Vorwürfe anlehnt, die USA würden biologische Waffen in der Ukraine produzieren. In einem zuvor beim Sicherheitsrat eingereichten 310 Seiten langen Dokument konnte Russland dafür keine konkreten Beweise vorlegen. Die USA, Großbritannien und Frankreich stimmten gegen die Beschlussvorlage. Die übrigen zehn Länder des 15-köpfigen Rates enthielten sich. Für eine Annahme wären mindestens neun Stimmen nötig gewesen.
Die Resolution galt als erneuter Versuch Moskaus, seinen nicht belegten Behauptungen Geltung zu verschaffen. Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, nannte die Sitzung eine „kolossale Zeitverschwendung“.
In der Ukraine gibt es zwar ein Netzwerk von Bio-Laboren, die von den USA bei der Forschung und finanziell unterstützt werden. Sie sind aber Teil einer Initiative namens Biological Threat Reduction Program, die darauf hinarbeitet, die Wahrscheinlichkeit eines Ausbruchs tödlicher Infektionskrankheiten zu verringern.
Zur militärischen Lage in der Ukraine fehlen weiterhin unabhängige Berichte. Offizielle Mitteilungen der Kriegsparteien können von Eigeninteressen gefärbt sein. Die Ukraine berichtet von intensiven Kämpfen mit russischen Einheiten im Donbass um die Städte Bachmut und Soledar. „Dutzende Angriffe an einem Tag“ seien zurückgeschlagen worden, sagte die stellvertretende Verteidigungsministerin Hanna Maljar am Mittwoch im ukrainischen Fernsehen. Rücke die russische Armee vor, antworte die Ukraine umgehend mit einer Gegenattacke. Russland setzte nach Angaben des Generalstabs in Kiew Angriffe mit Raketen und iranischen Drohnen auf Infrastruktur in mehreren Regionen fort. Unabhängig bestätigen ließen sich die Angaben aus dem Kampfgebiet nicht.
Nach Spekulationen über eine mögliche nukleare Eskalation im Ukraine-Krieg hat Russland den rein defensiven Charakter seiner Atomdoktrin unterstrichen. In der gegenwärtigen turbulenten Lage sei es die wichtigste Aufgabe, „jedwede militärische Konfrontation zwischen Nuklearmächten zu vermeiden“, erklärte das Außenministerium in Moskau am Mittwoch. Russland halte sich in seiner Abschreckungspolitik daran, dass ein Atomkrieg unzulässig sei. Es gebe bei einem solchen Krieg keine Sieger, und er dürfe niemals entfesselt werden. Die russische Doktrin sei zutiefst defensiv.
Laut westlichen Regierungsvertretern sind infolge der teilweisen Mobilmachung schätzungsweise 400.000 Russen aus ihrer Heimat geflohen. Bei der Zahl seien noch nicht jene berücksichtigt, die wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine das Land schon vorher verlassen hätten. Neben der Flucht ins Ausland seien auch viele Russen im eigenen Land untergetaucht, um der Einziehung in die Streitkräfte zu entgehen, sagten die Vertreter einer westlichen Regierung am Mittwoch im Gespräch mit Journalisten. Wenn man das zu der Zahl der Menschen addiere, die tatsächlich eingezogen wurden, sei der Rückgang der berufstätigen Bevölkerung „eine erhebliche zusätzliche Last für Russlands Wirtschaft und seine öffentlichen Finanzen“, erklärten sie weiter.
Russlands Einmarsch in die Ukraine hat nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR zur größten Vertreibung von Menschen seit Jahrzehnten geführt. „Etwa 14 Millionen Menschen wurden seit dem 24. Februar aus ihren Häusern vertrieben“, sagte UNHCR-Chef Filippo Grandi am Mittwoch (Ortszeit) in New York. Die Situation verbessere sich vor einem mutmaßlich harten Winter nicht. Die humanitäre Hilfe müsse weiter ausgeweitet, der „sinnlose“ Krieg beendet werden.
Wegen der Kriegsschäden an Strom- und Wärmeversorgung hatte die ukrainische Regierung ins Ausland Geflüchtete zuletzt dazu aufgefordert, erst im kommenden Frühjahr zurückzukehren. Dem UNHCR zufolge haben mehr als sieben Millionen Menschen aus der Ukraine im Ausland Schutz gesucht - davon etwa eine Million in Deutschland.
Die Schweiz hat der Ukraine weitere finanzielle Unterstützung in Höhe von umgerechnet rund 100 Millionen Euro zugesagt. Mit dem Geld sollen die Folgen des russischen Angriffskriegs im Winter abgemildert werden, wie die Schweizer Regierung am Mittwoch mitteilte. Insbesondere sollen demnach Projekte zur Instandhaltung der Energie-Infrastruktur und zur Sicherung der Trinkwasserversorgung finanziert werden. Zudem solle die prekäre humanitäre Situation in der Ukraine gelindert werden.