Verdacht auf Kriegsverbrechen in der Ukraine Russische Soldaten sollen gezielt Gewalt gegen Frauen eingesetzt haben

Kiew · Ukrainische Politiker werfen den russischen Truppen gezielte Gewalt gegen Frauen und Mädchen vor. Im Raum stehen Vergewaltigungen und Erschießungen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch geht davon aus, dass Kriegsverbrechen von der russischen Armee geduldet werden.

Butscha: Fotos von Zerstörung in Stadt nahe Kiew - EU spricht von einem "Massaker"
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Russische Armee hinterlässt Spur der Zerstörung in Butscha

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Foto: dpa/Rodrigo Abd

Der Parlamentsabgeordnete Olexij Gontscharenko berichtete in einem am Sonntag auf Twitter veröffentlichten Video von nackten Frauenleichen, die unweit von Kiew am Straßenrand gefunden worden seien. „Sie verstehen, was passiert ist“, sagte er - und deutete damit offensichtlich Vergewaltigungen an. Die Russen hätten versucht, die Leichen der Frauen zu verbrennen, sagte Gontscharenko weiter. Das ließ sich zunächst nicht überprüfen.

Im Ort Irpen unweit von Kiew seien Frauen und Mädchen erschossen worden, sagte Bürgermeister Olexander Markuschyn der Deutschen Welle. „Dann sind sie mit Panzern überfahren worden.“ Von russischer Seite gab es zunächst keine Reaktion zu den Vorwürfen.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sagte in einer auf Twitter veröffentlichten Videobotschaft zu den berichteten Gräueltaten, je schneller die ukrainische Armee die von Russland besetzen Gebiete „befreien“ könne, desto mehr würden die Menschenrechte dort gewahrt: „Frauen werden nicht vergewaltigt. Kinder werden nicht mitansehen müssen, wie ihre Mütter vergewaltigt werden. Zivilisten werden nicht getötet.“ Er fügte hinzu, sein Land brauche daher Unterstützung. „Wir brauchen Waffen - jetzt.“

Insgesamt sind aus den von russischen Streitkräften zurückgewonnenen Städten und Vororten im Raum Kiew nach ukrainischen Angaben die Leichen von 410 Zivilisten entfernt worden. Das teilte die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa am Sonntag mit. Wenediktowa erklärte bei Facebook, die Leichen seien am Freitag, Samstag und Sonntag entfernt worden. 140 von ihnen seien von Staatsanwälten und anderen Spezialisten untersucht worden.

Journalisten der Nachrichtenagentur AP sahen die Leichen von mindestens 21 Menschen an unterschiedlichen Orten in der nordwestlich der Hauptstadt gelegenen Stadt Butscha. Eine Gruppe von neun Toten, alle in Zivilkleidung, lag über einen Ort verstreut, der nach Angaben von Anwohnern von russischen Streitkräften als Stützpunkt genutzt worden war. Sie schienen aus kurzer Distanz getötet worden zu sein. Mindestens zwei von ihnen hatten die Hände auf dem Rücken gefesselt, einer der beiden hatte eine Schusswunde im Kopf. Bei einer weiteren Leiche waren die Beine gefesselt.

Kriegsverbrechen gegen Zivilisten in der Ukraine sind nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch keine Ausnahmen und werden von der russischen Armee offenbar geduldet. „Einzelfälle sind das bestimmt nicht“, sagte der Deutschland-Direktor der Organisation, Wenzel Michalski, am Sonntagabend in der ARD. Er wies auf Tötungen, Vergewaltigungen und den Beschuss ziviler Wohnblöcke hin. „Das deutet eigentlich darauf hin, das zumindest Kriegsverbrechen geduldet werden. Vielleicht ist das nicht systematisch geplant. Allerdings: Der Beschuss ziviler Wohngegenden und die Benutzung von geächteten Waffen deuten darauf hin, dass man das in Kauf nimmt und mit als Kriegstaktik benutzt.“

Michalski forderte eine von den Vereinten Nationen mandatierte Untersuchungskommission. Wichtig sei, dass die Toten jetzt nicht begraben würden, um keine Beweise zu vernichten. „Wir fordern von der russischen Regierung, dass diese Verbrechen untersucht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden“, sagte er weiter, gab sich aber nicht zuversichtlich, dass dies geschehen wird.

HRW hatte am Sonntag in Warschau einen Bericht veröffentlicht, der Fälle in der Umgebung der Städte Kiew, Charkiw und Tschernihiw dokumentiert. Grundlage dafür ist nach Angaben der Menschenrechtler die Befragung von zehn Augenzeugen, Opfern und Bewohnern. Dazu gehört die Erschießung eines Mannes am 4. März in Butscha, nordwestlich von Kiew, sowie von mindestens sechs Männern im Dorf Staryi Bykiw bei Tschernihiw durch russische Soldaten. Eine Frau berichtete, dass sie in der Region Charkiw mehrmals von einem Soldaten vergewaltigt worden sei.

(felt/dpa)
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