Russlands Krieg Ukrainer sitzen in Sjewjerodonezk fest - Die Nacht im Überblick

Kiew · Bahnt sich ein Drama wie in Mariupol an? In Bunkern unter einem Chemiewerk in der Ostukraine sitzen Hunderte Zivilisten fest. Russland kündigt einen Fluchtkorridor an - allerdings nicht in ukrainisches Gebiet. Ein Überblick über die Entwicklungen der Nacht.

Russische Soldaten in der russisch besetzten Region Saporischschja. Dieses Foto wurde während einer vom russischen Verteidigungsministerium organisierten Reise aufgenommen.

Russische Soldaten in der russisch besetzten Region Saporischschja. Dieses Foto wurde während einer vom russischen Verteidigungsministerium organisierten Reise aufgenommen.

Foto: dpa/Uncredited

Die Ukraine hat von ihren ausländischen Partnern erneut moderne Raketenabwehrwaffen angefordert, um russische Angriffe aus der Distanz zurückschlagen zu können. Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte noch für diese Woche wichtige Gespräche über die Beschaffung solcher Systeme an. Er sagte nicht, mit wem er sprechen werde - es seien aber nicht nur europäische Politiker. „Wir wiederholen gegenüber unseren Partnern, dass die Ukraine moderne Raketenabwehrwaffen benötigt“, sagte er.

In der Ostukraine dauerten die erbitterten Kämpfe um die Großstadt Sjewjerodonezk an. Russland kündigte für Mittwoch die Schaffung eines humanitären Korridors an. Durch diesen sollen sich Zivilisten in Sicherheit bringen können, die im örtlichen Chemiewerk Azot Zuflucht gesucht haben. In den Kellern unter dem Werk werden dem Verteidigungsministerium in Moskau zufolge 540 bis 560 Zivilisten vermutet. In anderen ukrainischen Städten waren Evakuierungen trotz Ankündigungen oft gescheitert.

Nach Moskauer Angaben soll der Fluchtweg für Zivilisten aus dem Chemiewerk Azot in Sjewjerodonezk am Mittwoch von 7.00 bis 19.00 Uhr MESZ (Ortszeit: 8.00 bis 20.00 Uhr) offen sein. Er führe in nördlicher Richtung in die Stadt Swatowe (Swatowo), sagte der General Michail Misinzew vom russischen Verteidigungsministerium.

Swatowe liegt in der Region Luhansk, die von den an der Seite russischer Truppen kämpfenden Separatisten kontrolliert wird. Moskau lehnte den ukrainischen Vorschlag ab, die Menschen auf von Kiew kontrolliertes Gebiet fliehen zu lassen. Misinzew forderte die ukrainischen Soldaten auf, sich zu ergeben. Selenskyj rief dagegen angesichts der verlustreichen Abwehrschlacht im Osten seine Truppen zum Durchhalten auf.

Zum Kriegsgeschehen fehlen unabhängige Berichte. Mitteilungen der Kriegsbeteiligten können hingegen von Eigeninteressen gefärbt sein. Selenskyj sagte, dass die Ukraine bei russischen Angriffen am Dienstag zwar einige Raketen habe abschießen können, aber nicht alle. Die Ziele des Beschusses lagen in den westukrainischen Gebieten Lwiw und Ternopil. Nach Angaben örtlicher Behörden wurden sechs Menschen verletzt. Die Trümmer einer abgeschossenen Rakete trafen demnach eine Ziegelei in Solotschiw im Gebiet Lwiw.

Die Ukraine habe schon vor der russischen Invasion vom 24. Februar um moderne Raketenabwehr gebeten, sagte der Präsident am Dienstagabend in Kiew. Ein Aufschub sei nicht zu rechtfertigen. Die Ukraine habe derzeit „den größten Bedarf an solchen Waffen in Europa“.

Die russische Armee feuert seit Beginn des Krieges immer wieder aus sicherer Distanz von Land, aus der Luft oder vom Meer aus Raketen und Marschflugkörper auf Ziele in der Ukraine ab. Getroffen werden nicht nur militärische Ziele, sondern auch viele teils zivile Gebäude in den großen Städten. Luftalarm zwingt die Bewohnerinnen und Bewohner immer wieder in Schutzräume.

Die Forderung der Ukraine nach einem gewaltsam durchgesetzten Flugverbot an Himmel über dem Land haben ihre ausländischen Unterstützer abgelehnt. Sie wollten nicht in eine direkte militärische Konfrontation mit Russland hineingezogen werden.

Staats- und Regierungschefs mehrerer Nato-Staaten haben der Ukraine am Dienstag aber eine weitere Lieferung schwerer Waffen in Aussicht gestellt. Das Land sollte mehr Waffen dieser Art haben und Partner und Verbündete der Militärallianz würden dies nun forcieren, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach einem Treffen im Amtssitz des niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte am Dienstagabend in Den Haag. Das Bündnis habe seine Lieferungen bereits „intensiviert“. Auch würden Beamte am Mittwoch in Brüssel zusammenkommen, um weitere Unterstützung, einschließlich der Lieferung schwerer Waffen, zu koordinieren, sagte Stoltenberg.

Um Waffenlieferungen dürfte es auch gehen, wenn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der italienische Regierungschef Mario Draghi Kiew besuchen. Die Reise wird erwartet, allerdings ist offiziell noch kein Termin mitgeteilt.

Die Ukraine hat nach Angaben ihrer Militärführung aus dem Ausland bislang nur ein Zehntel der notwendigen Waffenhilfe bekommen. „Von dem, was die Ukraine gesagt hat, dass sie es braucht, haben wir bis heute etwa zehn Prozent“, sagte Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar im ukrainischen Fernsehen. Russland sei an Rüstung und Zahl der Soldaten unendlich überlegen. „Egal wie die Ukraine sich anstrengt, egal wie professionell unsere Armee ist, ohne Hilfe von Partnern werden wir diesen Krieg nicht gewinnen können.“

US-Präsident Joe Biden unterstützt den Vorstoß europäischer Länder, mit dem Bau von Silos entlang der ukrainischen Grenze den Getreide-Export zur Eindämmung der weltweiten Nahrungsmittelkrise zu ermöglichen. Die Regierung in Washington entwickle in Abstimmung mit den europäischen Partnern einen Plan für den Abtransport von Getreide auf dem Schienenweg, sagt Biden auf einem Gewerkschaftstag in Philadelphia. Ukrainische Gleise hätten eine andere Spurweite als in der EU. „Deshalb werden wir an den Grenzen der Ukraine, auch in Polen, Silos bauen, vorläufige Silos.“

Das Getreide könne somit von ukrainischen Eisenbahnwaggons in die neuen Silos und dann auf europäische Güterwaggons verladen werden, um es „auf dem Seeweg in die ganze Welt zu bringen.“ Ein Abtransport über das Schwarze Meer sei wegen der russischen Seeminen nicht möglich. Die Ukraine begrüßt den Schritt. „Dies ist nur einer der möglicherweise nützlichen Wege zur Gewährleistung der Ernährungssicherheit“, sagt Stabschef Andrij Yermak. Aber es brauche auch einen sicheren Korridor aus den ukrainischen Häfen.

Der russische Energieriese Gazprom hat die maximalen Gasliefermengen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 nach Deutschland um 40 Prozent verringert. Grund seien Verzögerungen bei Reparaturarbeiten durch die Firma Siemens, teilte der Staatskonzern in Moskau mit. Ein Gasverdichteraggregat sei nicht rechtzeitig aus der Reparatur zurückgekommen. Deshalb könnten täglich nur noch bis zu 100 Millionen Kubikmeter Gas durch die Pipeline gepumpt werden - rund 60 Prozent des bisher geplanten Tagesvolumens von 167 Millionen.

Die Bundesregierung sieht die Versorgungssicherheit dennoch als gewährleistet an. Für Deutschland ist Nord Stream 1 die Hauptversorgungsleitung mit russischem Gas.

Um die Versorgung mit Erdgas zu sichern, stützt die Bundesregierung ein früher russisches Gasunterunternehmen mit Milliardenbeträgen. Die jetzt von Deutschland kontrollierte Gazprom Germania soll nach Angaben aus Regierungskreisen neun bis zehn Milliarden Euro als Hilfen der staatlichen Förderbank KfW erhalten.

Unterdessen will die Europäische Union (EU) zur Reduzierung der Abhängigkeit von russischer Energie enger mit Israel kooperieren. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagt bei einem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett in Jerusalem, dass man die Zusammenarbeit bei Gas ausbauen wolle. Die EU-Kommission wolle am Mittwoch eine gemeinsame Absichtserklärung für ein Energieabkommen mit Israel und Ägypten über Flüssiggas-Lieferungen für Europa unterzeichnen. Geplant seien Gaslieferungen aus Israel über eine Pipeline nach Ägypten. Dort sei die Umwandlung in Flüssiggas vorgesehen, das dann wiederum in die EU-Mitgliedsländer befördert werden könne.

(peng/dpa/Reuters/AFP)
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