Krieg in der Ukraine Lage laut Selenskyj angespannt - Die Nacht im Überblick

Kiew · In Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine stehen neue Verhandlungen an. Die USA schicken Radarabwehr nach Deutschland. Der Kreml schließt einen Stopp der Gaslieferungen nicht aus. Ein Überblick zum Geschehen in der Nacht.

Sandsäcke zum Schutz eines Freiwilligenzentrums in der umkämpften Großstadt Mykolajiw.

Sandsäcke zum Schutz eines Freiwilligenzentrums in der umkämpften Großstadt Mykolajiw.

Foto: dpa/Petros Giannakouris

 Vor einer neuen Verhandlungsrunde zwischen der Ukraine und Russland gehen Kämpfe um viele ukrainische Städte weiter. Unabhängige Berichte von Kampfhandlungen fehlen jedoch. Offizielle Mitteilungen der Kriegsparteien können von Eigeninteressen gefärbt sein und lassen sich derzeit nicht überprüfen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach in der Nacht zum Dienstag von einer angespannten Lage trotz mancher militärischer Erfolge der Ukrainer. Selenskyj zufolge wurden die russischen Einheiten aus der wochenlang umkämpften Stadt Irpin bei Kiew zurückgeschlagen. Die Kämpfe dauerten jedoch dort und auch in anderen Landesteilen weiter an. Russische Truppen hielten den Norden des Kiewer Gebiets unter ihrer Kontrolle, verfügten über Ressourcen und Kräfte. Sie versuchten, zerschlagene Einheiten wieder aufzubauen. Auch in den Gebieten Tschernihiw, Sumy, Charkiw, Donbass und im Süden der Ukraine bleibe die Lage „sehr schwierig“.

Selenskyj forderte erneut schärfere Sanktionen gegen Russland wegen des vor über einem Monat begonnenen Angriffskrieges. Er kündigte an, diese Woche im Präsidialamt in Kiew eine Expertengruppe aus ukrainischen und internationalen Fachleuten einzusetzen, die die Sanktionen gegen Russland und ihre Auswirkungen laufend analysieren sollen.

Die ukrainischen Streitkräfte versuchen nach eigenen Angaben an mehreren Orten, Angriffe russischer Einheiten abzuwehren. Man sei dabei, den russischen Vormarsch auf die Großstadt Slowjansk im Gebiet Donezk im Südosten des Landes sowie auf die rund eine Autostunde entfernte Kleinstadt Barwinkowe im Gebiet Charkiw zu stoppen, heißt es im Lagebericht des ukrainischen Generalstabs, der in der Nacht zu Dienstag auf Facebook veröffentlicht wurde.

Nach Einschätzung britischer Geheimdienste ist die russische Wagner-Söldnergruppe in den Osten der Ukraine geschickt worden. Es werde damit gerechnet, dass mehr als 1000 Söldner im Kampf eingesetzt werden sollen, erklärt das Verteidigungsministerium in London. Die Europäische Union hat Sanktionen gegen die Wagner-Gruppe erlassen. Präsident Wladimir Putin hat erklärt, sie und ähnliche Organisationen würden weder vom russischen Staat bezahlt noch würden sie Russland vertreten.

Das türkische Verteidigungsministerium hat am Montag mitgeteilt, erneut eine Seemine in seinen Gewässern entdeckt zu haben. Zuvor hatte es Warnungen gegeben, dass Seeminen von der ukrainischen Küste abgetrieben sein könnten. Bereits am Samstag war an der Meerenge Bosporus, die das Schwarze Meer mit dem Mittelmeer verbindet, eine Seemine entdeckt und unschädlich gemacht worden. Russland und die Ukraine werfen sich unterdessen gegenseitig vor, das Schwarze Meer vermint zu haben.

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges sind nach Angaben der ukrainischen Grenzpolizei rund 510.000 Menschen aus dem Ausland zurückgekehrt. Allein in der vergangenen Woche seien es 110.000 Menschen gewesen, sagte ein Sprecher der Behörde der Tageszeitung „Welt“. Acht von zehn Einreisenden seien Männer. Die meisten kämen aus Polen. Vor Beginn des Krieges lebten rund 44 Millionen Menschen in der Ukraine. Rund 3,9 Millionen Menschen sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR ins Ausland geflüchtet.

Nach der von der EU weitgehend abgelehnten Bezahlung von Gaslieferungen in Rubel hält Russland die Drohung eines Lieferstopps aufrecht. „Keine Bezahlung - kein Gas“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow dem amerikanischen TV-Sender PBS. Moskau wolle die endgültige Antwort der EU abwarten und dann die nächsten Schritte festlegen. „Wir beabsichtigen aber auf keinen Fall, uns als Wohltäter zu zeigen und Westeuropa kostenloses Gas zu liefern“, betonte Peskow. Kremlchef Wladimir Putin hatte angeordnet, dass Erdgas an „unfreundliche“ Staaten wie Deutschland nur noch gegen Zahlung in Rubel zu liefern sei. Dies wurde bereits von einigen Ländern mit dem Hinweis auf Vertragsbruch zurückgewiesen.

Kremlsprecher Peskow trat zugleich Spekulationen entgegen, Moskau könne im Ukraine-Krieg Atomwaffen einsetzen. „Niemand in Russland denkt an den Einsatz oder auch nur an die Idee eines Einsatzes von Atomwaffen“, sagte er im PBS-Interview. Russland greife zum Atomwaffenarsenal nur bei einer „Bedrohung der Existenz“ einsetzen werde. Die staatliche Existenz Russlands und die Ereignisse in der Ukraine hätten „nichts miteinander zu tun“. Die Sorge im Westen über mögliche Atomwaffenpläne Moskaus war gestiegen, als Putin zum Auftakt des Angriffskrieges in der Ukraine eine erhöhte Alarmbereitschaft der russischen Nuklearstreitkräfte anordnete.

US-Präsident Joe Biden steht zu seiner umstrittenen Aussage über Putin im Ukraine-Krieg, will diese aber nicht als Aufruf zum Machtwechsel in Moskau verstanden wissen. „Ich nehme nichts zurück“, sagte Biden im Weißen Haus. „Solche Menschen sollten keine Länder regieren, aber sie tun es. Die Tatsache, dass sie es tun, bedeutet aber nicht, dass ich meine Empörung darüber nicht zum Ausdruck bringen kann.“ Damit sei kein Aufruf zum Machtwechsel im Kreml verbunden. Biden hatte Putin am Samstagabend bei einer Rede in Warschau einen „Diktator“ genannt und mit den Worten geschlossen: Um Gottes willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben.“

Die USA schicken Kampfjets zur Radarabwehr nach Deutschland. Das kündigte die US-Regierung an. Vorgesehen sind demnach sechs für die Störung von Radarsignalen ausgerüstete Kampfflugzeuge. Dabei betonte Pentagon-Sprecher John Kirby am Montag, dass die Flugzeuge vom Typ EA-18G Growler "nicht gegen die russischen Streitkräfte in der Ukraine eingesetzt" werden sollen, sondern nur die "Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeiten der Nato" stärken. Sie sollen auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Spangdahlem in Rheinland-Pfalz stationiert werden.

Rund viereinhalb Wochen nach der russischen Invasion in die Ukraine starten Moskau und Kiew am Dienstag in der Türkei eine neue Verhandlungsrunde. Die Delegationen aus Russland und der Ukraine kommen am Dienstagmorgen um etwa 9.30 Uhr MESZ im Dolmabahce-Büro des Präsidenten in Istanbul zusammen, wie das türkische Präsidialbüro am Montagabend mitteilte. Vor Beginn der Gespräche wolle sich die türkische Seite jeweils mit den Delegationen treffen, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan nach einer Kabinettssitzung in Ankara.

(peng/dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort