Angriff auf die Ukraine USA bereiten neues Sanktionspaket vor
Washington · US-Präsident Joe Biden verurteilte den russischen Einmarsch als Angriffskrieg und kündigte Konsequenzen an. Es wird eine Vielzahl verschiedener Sanktionen erwartet.
Der Notruf auf dem Telefon des US-Präsidenten traf nicht um 3 Uhr nachts, sondern in den späten Abendstunden ein. Joe Biden war auf diesen Moment so gut vorbereitet, wie seine Geheimdienste mit erstaunlicher Präzision die Ereignisse in der Ukraine vorausgesagt hatten, die am Donnerstagmorgen in einem Angriffskrieg Russlands auf breiter Front gegen das Nachbarland mündeten.
Wladimir Putin hatte seine zornige Kriegserklärung aus dem Kreml gerade beendet, da feuerte das Weiße Haus bereits eine Erklärung ab, die keinen Zweifel an der Entschlossenheit der Supermacht ließ.
„Die Gebete der ganzen Welt schließen heute Nacht die Menschen in der Ukraine ein, die einen nicht provozierten und ungerechtfertigten Angriff durch russische Militärkräfte erleiden,“ verurteilte Biden die Invasion. „Präsident Putin hat sich für einen vorsätzlichen Krieg entschieden, der zu einem katastrophalen Verlust von Menschenleben und zu menschlichem Leid führen wird. Russland alleine ist verantwortlich für den Tod und die Zerstörung, welche dieser Angriff mit sich bringen wird.“
Kurz darauf klingelte noch einmal das Telefon. Am anderen Ende meldete sich der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij, der ihn darum bat, die Führer der Welt zu vereinen, um mit einer Stimme gegen die Aggression Putins zu sprechen und den 40 Millionen Menschen in der Ukraine zu helfen. „Die Welt wird Russland zur Rechenschaft ziehen,“ versicherte ihm Biden, dessen UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield bei einer kurzfristig einberufenen Sitzung des Weltsicherheitsrats in der Nacht klare Worte fand.
Putin zeige mit seiner Kriegserklärung „völlige Verachtung“ für die Vereinten Nationen. „Das ist ein todernster Notfall.“ Die Amerikaner, die zu dieser späten Stunde an der Ostküste noch wach waren, erleben den Kriegsbeginn im Fernsehen mit Bildern, die unter anderem Einschläge russischer Raketen hören ließen. Ein CNN-Moderator in der Hauptstadt Kiew zuckte vor laufenden Kameras zusammen, bevor er sich eilig Schutzweste und Helm überstreifte.
Biden versammelte in den frühen Morgenstunden im Lageraum des Weißen Hauses sein sicherheitspolitisches Team, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Später standen Konsultationen mit den Führern der sieben wichtigsten Industrienationen G7 und der NATO an. Für den frühen Nachmittag (EST) waren die Ankündigung weiterer Strafmaßnahmen gegen Russland erwartet worden.
Nach der „ersten Tranche“ an Sanktionen, die Biden proportional zu dem Vorgehen Putins in den umstrittenen Ostgebieten der Ukraine angekündigt hatte, gingen Beobachter jetzt von der Inkraftsetzung des „gesamten Pakets“ aus. Dazu gehört neben dem dauerhaften „Aus“ für Nord Stream 2, strikte Exportkontrollen für Hochtechnologie nach Russland, Finanzmarkt-Sanktionen sowie Maßnahmen, die sich direkt gegen Putin und die russischen Eliten richten.
Als sicher gilt auch die militärische Verstärkung in den baltischen Staaten, Polen und Rumänien. Biden hat für die Verlegung weiterer US-Streitkräfte nach Europa solide Unterstützung in der Bevölkerung. Laut einer Umfrage von Quinnipiac sind mehr als 54 % der Amerikaner für eine robustere Präsenz.
US-Außenminister Tony Blinken und Pentagon-Chef Lloyd Austin sprachen am Donnerstag mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg über eine Verstärkung der Ostflanke der NATO. Blinken versicherte den besorgten Bündnisstaaten an der Grenze zur Ukraine und Belarus, die USA stünden hinter der Beistandspflicht nach Artikel 5 des Nato-Vertrages.
Die Strafmaßnahmen könnten in den kommenden Tagen durch den US-Kongress noch weiter verschärft werden. Eine überparteiliche Koalition aus Senatoren drängt auf Maßnahmen, die noch über die Ankündigungen Bidens hinausgingen. Dazu könnte unter anderem der gesetzlich abgesicherte Ausschluss Russlands aus dem internationalen Dollar-Zahlungsverkehr SWIFT gehören.
Der mächtige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im US-Senat, Bob Menendez, forderte, Russland aus der internationalen Gemeinschaft auszuschließen. „Der heutige Tag muss eine historische Wende bringen in der Art und Weise, wie die Welt mit dem Despoten in Moskau umgeht.“ Der Demokrat hat ein Gesetz vorbereitet, das in Washington als „Mutter aller Sanktionen“ bekannt ist.
Der Streit mit den Republikanern, die bereits vor einer Invasion zu dieser Maßnahme greifen wollten, ist nach Beginn des Einmarschs obsolet geworden. Senator Lindsey Graham sagte Biden demonstrativ seine Unterstützung in der Krise zu und forderte, Putin müsse den Krieg persönlich zu spüren bekommen. Der russische Staatschef und sein Umfeld sollten von der internationalen Strafjustiz verfolgt werden. Graham verlangte auch eine Beschlagnahmung von Luxuswohnungen sowie Jachten im Westen.
Einen ganz anderen Ton schlug der frühere US-Präsident Donald Trump an, der Putin „genial“ nannte. Dessen Ex-Außenminister Mike Pompeo bezeichnete den russischen Machthaber als „talentierten Staatsmann“, für den er „enormen Respekt habe“. Der Sprecher des Außenministeriums Ned Price sagte zu den Äußerungen des möglichen Bewerbers für die Präsidentschafts-Nominierung der Republikaner. „Mir fehlen die Worte.“